Waldschutz Amazonien – die Erhaltung von Lebenswelt und Klima

Lesedauer: 11 Minuten

4. März 2008

Von Thilo Hoppe

Zum Dossier: Klima und Wandel in Amazonien

Entwaldung vermeiden - ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz

Durch die weltweite Waldzerstörung werden jährlich Treibhausgase im Umfang der gesamten US-Emissionen freigesetzt. Dieser unangenehmen Wahrheit sieht die Weltgemeinschaft spätestens seit Bali ins Auge. Dort wurde vereinbart positive Anreizstrukturen für den Waldschutz zu entwickeln und es wurde eine Waldpartnerschaft (Forest Carbon Partnership Facility (FCPF))  ins Leben gerufen. Über Pilotprogramme in Tropenwaldländern soll bis zur Vertragsstaatenkonferenz 2009 einen Rahmen für einen effizienten Waldschutz erarbeitet werden. Kernpunkt ist die Einführung eines Kompensationsregimes für „vermiedene Entwaldung“. D.h., Entwicklungsländer, die ihren Wald schützen, erhalten einen finanziellen Ausgleich dafür. Dabei handelt es sich um eine der billigsten Formen des Klimaschutzes. Ich begrüße ausdrücklich, dass der Tropenwaldschutz in Bali zu einem wichtigen Kooperationsfeld des Klimaschutzes zwischen Entwicklungs- und Industrieländer gemacht wurde, wohl wissend, dass noch viel konzeptionelle Arbeit und politische Überzeugungskraft notwendig sind, um die Entwaldung definitiv zu stoppen.

Der Wald ist mehr als Kohlenstoffspeicher – sein Erhalt ist heute aber am ehesten über den Klimaschutz zu erreichen

Das in Tropenwälder gespeicherte CO2 entspricht den Weltemissionen von 50 Jahren. Die größten noch intakten tropischen Wälder gibt es in Amazonien, im Kongo-Becken und im indo-malayischen Raum (Indonesien, Malaysia, Papua-Neuguinea). Regenwälder sind jedoch sehr viel mehr als simple CO2-Speicher! Sie sind große Klimaanlagen, die Sonnenenergie in Wasserdampf verwandeln und damit auch die Niederschläge in den temperierten Gebieten nördlich und südlich des Äquators, beeinflussen. Und sie sind zuerst und vor allem Lebenswelten für Mensch und Tier. Niemand bezweifelt den Reichtum von Artenvielfalt und die enormen Ökosystemleistungen, die Wälder erbringen. Eine Bewertung der Leistungen des Waldes in Geld ist heute jedoch nur im Rahmen des Klimaschutzes möglich. Deshalb wird die Debatte über die Kompensation von „vermiedener Entwaldung“ eine enorme politische Hebelwirkung auch in Richtung Biodiversitätenschutz haben.

Die treibenden Kräfte der Waldzerstörung

Wenn wir im Wald nur die Bäume und deren „Holzwert“ sehen, dann „unterschätzen“ wir ihn gehörig. Ein solches Denken führt schnell zu „perversen Anreizen“ zugunsten von Viehzucht und Sojaanbau. Der größte Teil der Waldzerstörung geht auf diese Anreize zurück.
Die Entwaldung nimmt in Amazonien vor allem aufgrund der Ausbreitung der Landwirtschaft zu. Die Zerstörung schreitet in den letzten 30 Jahren mit einer durchschnittlichen jährlichen Entwaldung von 15.000 bis 20.000 km2 voran. Die Expansion der Agrarunternehmen ist vor allem vom Fleischkonsum getrieben. Dabei handeln nicht nur profitgierige Individuen, sondern es ist ein System am Werk, das die Regierungen der Tropenwaldländer durch Außenhandelspolitik, Kreditpolitik, Subventionen, Agrarforschung und Ausbau der Infrastruktur mitgestalten. Gerade die handelspolitischen Entscheidungen betreffen uns aber auch selbst. Das Ende der Tiermehlverfütterung hat zu einem starken Anstieg des Sojakonsums in Europa geführt. Wachsende Einkommen in China verändern die Ernährungsgewohnheiten, mit dem Ergebnis, dass mehr Rind, Schwein und Huhn gegessen wird.

Klimaschutz und Biodiversität verhandeln - Regenwaldschutz funktioniert nicht vom hohen Ross herab

Es stellt sich die Frage, was können wir zum Waldschutz beitragen? Um überhaupt verhandlungsfähig zu sein, müssen wir als EU (und als Industrieländer insgesamt) einer einfachen klimapolitischen Wahrheit ins Auge sehen: In den Industrieländern müssen die Emissionen ganz erheblich zurückgehen, damit für EL noch Spielraum bleibt. Und ich würde eine zweite „Wahrheit“ hinzufügen: wichtige Schwellenländer müssen ab 2012 auch verstärkt selbst zum Klimaschutz beitragen. Damit sie das tun, brauchen sie unsere finanzielle Unterstützung und den billigen Zugang zu klimaeffizienter Technologie.

Von grundsätzlicher Bedeutung ist jedoch noch etwas anderes: die Haltung, mit der wir verhandeln: Wir können mit Brasilien und anderen Amazonasländern in Sachen Wald nicht von hohen Ross herab, mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger, antreten. Wir können es generell nicht, weil wir Europäer (und die US-Amerikaner) als Hauptverschmutzer auch die Hauptverantwortlichen für die sich anbahnende Klimakatastrophe sind. Und wir können es auch beim Wald nicht, weil wir unsere Primärwälder schon vor langer Zeit im Dienste von Agrarwirtschaft und Industrialisierung platt gemacht haben.

Brasilianische Politiker und Wissenschaftler weisen darauf hin, dass weltweit von den ursprünglichen Primärwäldern kaum etwas übrig geblieben ist, auf jeden Fall viel, viel weniger als in Brasilien. In Afrika sind noch 7,8%, in Asien 5,6% in Zentralamerika 9,7% und in Europa – ohne Russland – ganze 0,3% übrig geblieben; während in Brasilien immerhin knapp 70% der Wälder erhalten wurden. Dies soll keine Aufforderung zum Abholzen Amazoniens sein, es zeigt vielmehr die Zerstörungskraft von Landwirtschaft, Urbanisierung und industrieller Entwicklung, die von den Urwäldern in Europa nichts übrig gelassen hat.

Wir müssen uns den Waldschutz etwas kosten lassen – Finanzierungsinstrumente zur Kompensation

Wir stehen vor der Herausforderung große Summen für einen effizienten Waldschutz zu bewegen. Nicolas Stern spricht von jährlich 15 Mrd. Dollar. Das heißt, die in Bali beschlossenen Pilotmaßnahmen können lediglich dazu beitragen, einen Rahmen für ein zukünftiges Finanzierungsmodell und für die Gestaltung der Transfers auszuarbeiten.

Dabei ist besonders wichtig: Entwaldung findet nicht im sozialen Vakuum statt. Neue Finanzierungsinstrumente müssen indigene Völker und Kleinbauern für ihre unschätzbaren Dienste belohnen. Sie leisten Großes für den Klimaschutz und das Überleben von Pflanzen und Tieren.

Es gibt in diesem Kreis sicher berufene Sachverständige, die zu den technischen Details einer Fazilität der „vermiedenen Entwaldung“ (REDD – Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) eine Menge sagen können. Ich möchte nur kurz einige politische Punkte ansprechen:

  1. Zunächst ist noch mal die Hebelwirkung hervorzuheben, die aus meiner Sicht vom Waldschutz als Klimaschutz auch in Richtung Biodiversität entsteht. Ich warne davor hier Gegensätze aufzubauen und plädiere dafür Klimaschutz und Natur- und Artenschutz konsequent zusammen zu denken.

  2. Ich habe bereits erwähnt, dass wir für den Klimaschutz im Allgemeinen und für den Waldschutz im Speziellen gehörige Summen bewegen müssen. Mit den 300 Mio. Dollar, die für die Weltbank-Pilotfazilität vorgesehen sind, können wirklich nur Vorarbeiten geleistet werden. Darüber wie „vermiedene Entwaldung“ nach 2012 finanziert werden soll, gibt es bereits eine heftige Debatte. Soweit ich es überblicke haben wir zwei Optionen:
    a) eine Einbeziehung des Waldschutzes in den Emissionshandel und
    b) eine Fondslösung.

    Beide Optionen haben Vor- und Nachteile und ich plädiere dafür hier wirklich ergebnisorientiert und nicht ideologisch heranzugehen.

    Wenn die Industrieländer in der Lage sind insgesamt eine verpflichtende Reduktion der Gesamtemissionen zu vereinbaren, die die Erderwärmung unter 2 Grad hält, dann spricht nichts dagegen, den Waldschutz als billige Form des Klimaschutzes über den Emissionshandel zu gestalten. Eine solche Marktlösung würde sowohl für die Tropenwaldländer, die in Vorleistung treten müssen, als auch für Investoren klare und verlässliche Spielregeln vorgeben. Und sie könnte große Summen bewegen, ohne in Konflikt mit der Entwicklungsfinanzierung zu geraten. Anders als beim Kyoto-Abkommen, können die Reduktion von industriellen Emissionen und der Waldschutz für die Zeit nach 2012 von Anfang an gemeinsam gedacht werden. Der Tropenwaldschutz bietet auch für Länder wie Brasilien und Indonesien die Gelegenheit nationale Kohlenstoffmärkte überhaupt erst zu entwickelt.

    Skeptiker sagen, wir werden es nicht schaffen, die Emissionen der Industrieländer ausreichend weit nach unten zu drücken. Deshalb sind wir auf den zusätzlichen Beitrag der Entwicklungsländer aus dem Waldschutz angewiesen. Wenn dieser Beitrag mit den Verpflichtungen der Industrieländer verrechnet wird (was beim Emissionshandel geschieht), dann kriegen wir ein Problem: der Zertifikatpreis sinkt und damit der Anreiz, die industriepolitischen Weichen in Industrieländern in Richtung Klimaschutz zu stellen.

    Diejenigen, die diese Kritik formulieren, plädieren i.d.R. für eine Fondslösung. Für eine solche Lösung müssen in den Industrieländern zusätzliche Haushaltsmittel bereitgestellt oder private Beiträge eingeworben werden. Ich habe mich in den letzten Jahren an exponierter Stelle für das 0,7%-Ziel in der Entwicklungsfinanzierung eingesetzt, so dass ich die gesamte Palette der „Vermeidungsstrategien“ bei der Bereitstellung zusätzlicher Haushaltsmittel für Entwicklungsaufgaben kenne. Ich kenne auch die Probleme, die alljährlich mit der Haushaltsaufstellung in den OECD-Ländern verbunden sind und zu viel Unsicherheit und Fluktuation in den Finanzzusagen an Entwicklungsländer und Entwicklungsinstitutionen führen. Schließlich gebe ich seit Jahren Impulse in Richtung Einführung neuer Finanzierungsinstrumente – auch das ist ein äußerst mühsames Geschäft.

    Ein Vorschlag ist nun Waldfonds über einen Teil der Versteigerungserlöse der Emissionszertifikate im Europäischen Handelssystem (oder aus der Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel) zu speisen. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen einen Teil der erwarteten jährlich 50 Milliarden Euro Einnahmen aus der Auktionierung für den internationalen Waldschutz einzusetzen. Auch dies ist im Prinzip keine schlechte Idee, klar ist jedoch, dass die Verteilungskämpfe um die Versteigerungsmilliarden sehr hart werden. Im Kleinen haben wir diese Auseinandersetzung in Deutschland bereits in zweifacher Hinsicht. Erstens darüber, wie viel von den Erlösen überhaupt in den internationalen Bereich fließt und zweitens darüber, wer die Akzente setzt, das Umweltministerium oder das BMZ, das beim Tropenwaldschutz zweifelsfrei mehr Erfahrung hat.

    Schließlich wurde auch ein „duales“ Emissionshandelssystem vorgeschlagen, bei dem die Waldzertifikate nur eingeschränkt, bis zu einem bestimmten Prozentsatz, für die Reduzierung von Industrieemissionen herangezogen werden können. Aus meiner Sicht ist das ein Modell, das man sich noch genauer ansehen sollte.

    Soweit ich das heute überblicke, gibt es noch keinen Königsweg für die Finanzierung eines effizienten Waldschutzes. Aber die in Bali auf den Weg gebrachte Debatte über positive Anreize zum Waldschutz soll ja gerade dazu beitragen mehr Klarheit zu schaffen. Das heißt, wir werden diese Frage hier nicht zum letzten Mal diskutieren.

    Eins will ich jedoch klar sagen: Klimaschutz ist ohne Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern undenkbar. Bisher wird er aus den Kassen der Entwicklungszusammenarbeit finanziert. Wir können nicht einfach zu den Kosten der Armutsbekämpfung noch alle Lasten der Vermeidung des Klimawandels und der Anpassung draufpacken und alles zusammen aus den Mitteln decken, die im Rahmen des 0,7%-Ziels bis 2015 versprochen wurden. Bei der Kooperation im Bereich Klimaschutz handelt es sich, wie Inge Kaul bereits vor Jahren bemerkte, entweder um ein internationales Tauschgeschäft – etwa den Erhalt von Biodiversität gegen finanzielle Unterstützung – oder um die Kofinanzierung eines globalen Gemeinschaftsgutes wie Klimastabilität. Deswegen ist es nicht angemessen, den Klimaschutz  – von dem doch die reichen Länder auch, wenn nicht sogar in überwiegendem Maße profitieren – aus den laufenden Etats für Entwicklungszusammenarbeit zu finanzieren. Es muss neues Geld in erheblichem Umfang dazu kommen oder wir brauchen einen effizienten Marktmechanismus. Vielleicht läuft es aber auch auf eine Kombination von beidem hinaus…

  3. Vorausgesetzt, dass wir nun in ausreichendem Umfang Geld mobilisieren, dann stellt sich gleich die nächste Frage: Wer soll überhaupt kompensiert werden? Auch hier plädiere ich für ein differenziertes Vorgehen. Zum einen sind es die Menschen (Indigene und Kleinbauern), die im Wald und vom Wald leben und aktiven Waldschutz betreiben. Sie müssen für ihre wertvollen Dienstleistungen entlohnt werden und sie müssen als Akteure für eine nachhaltige Entwicklung gestärkt werden. Und noch mehr: Da die Entwaldung nicht im sozialen Vakuum stattfindet, muss eine Strategie, die die Erhaltung des Regenwaldes entlohnt, eine nachhaltige Bewirtschaftung mit Verbesserung der Lebensbedingungen verbinden: Beschäftigung, Gesundheit, Wasserversorgung, Schutz der Biodiversität.

    Eine Politik der „vermiedenen Entwaldung“ kann jedoch nur über die Regierungen umgesetzt werden. D.h., nur sie können dafür Sorge tragen, dass landesweite Reduktionsziele eingehalten werden. Und genau das ist ja der Unterschied zwischen einem projektbezogenen Waldschutz und dem Waldschutz als Klimaschutz, der Ausweicheffekte neutralisiert, indem die landesweite Reduzierung der Entwaldung den Referenzrahmen gibt.

    Die Regierungen müssen dabei unterstützt werden: Sie stehen vor der Herausforderung die Opportunitätskosten für die Nichtnutzung der Waldflächen im Rahmen von teuren Investitionsprojekten auszugleichen. Darüber hinaus geht es auch darum überhaupt politische Verbündete für ein Konzept der „vermiedenen Entwaldung“ zu gewinnen. D.h., es gilt nicht nur die Umweltminister, die tendenziell eher eine schwache Position in den Entwicklungsländer-Kabinetten haben, sondern auch die Finanzminister, die Infrastruktur- und Wirtschaftsminister und nicht zu vergessen, die Außenminister zu überzeugen. Letztere führen für viele Entwicklungsländer die internationalen Klimaverhandlungen.

  4. Schließlich möchte ich noch einen letzten Punkt ansprechen. Wie soll die praktische Umsetzung ein Waldfazilität vor sich gehen? Es sind bereits die ersten Kritiken gegenüber der Weltbank zu hören. Ich glaube, dass die Weltbank bei der Durchführung eines Pilotprogramms und bei der Erarbeitung eines konzeptionellen Rahmens eine wichtige Rolle spielen kann. Gleichzeitig muss jedoch auch Platz für andere Konzepte, wie die der brasilianischen Regierung und für andere Kooperationsformen, wie die bilaterale Zusammenarbeit, bleiben.

    Grundsätzlich muss die Erarbeitung eines politischen Rahmens für einen effizienten Waldschutz auf transparente und partizipative Art geschehen. Partizipativ heißt, dass zum einen die Akteure vor Ort gehört werden und ein Mitspracherecht erhalten. Partizipativ heißt, dass die Regierungen der Tropenwaldländer eine entscheidende Rolle spielen. Schließlich heißt partizipativ auch, dass bilaterale Institutionen, die über lange Jahre wertvolle Erfahrungen im Waltschutz gesammelt haben, wie z.B. die KfW und GTZ, an der konzeptionellen Entwicklung und an der operativen Umsetzung der Programme der „Vermeidung von Entwaldung“ beteilig werden. Dort wo Regierungen von Entwicklungsländern bilateralen Institutionen den Vorrang vor der Weltbank geben wollen, sollen diese bilateralen Institutionen die Kooperation im Bereich „vermiedene Entwaldung“ in eigener Federführung entwickeln. Wichtig ist lediglich, dass man sich auf einen gemeinsamen Rahmen verständigt. Gerade die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat im internationalen Waldschutz seit der Rio-Konferenz von 1992 viel erreicht. Sie hat das Pilotprogramm zum Schutze des Amazonaswaldes der G7 (PPG7) hauptsächlich getragen. Diese wertvollen Erfahrungen müssen für den Waldschutz als Klimaschutz fruchtbar gemacht werden.

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