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Im Analysieren sind wir stark – aber wo bleiben unsere Handlungsideen?

Lesedauer: 3 Minuten

Fünf Fragen an Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer, Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, Universität Bielefeld

5. März 2008

Hintergrundgespräch zur ZukunftsWerkStadt7: Neukölln knallhart?
Strategien gegen Jugendgewalt im Stadtquartier

 

1. Im Zuge der jüngsten Wahlkämpfe, besonders vor der Landtagswahl in Hessen, wurde verstärkt über Jugendgewalt diskutiert. In diesem Zusammenhang wurde häufig darauf hingewiesen, dass es offenbar in den letzten Jahren einen Anstieg von gefährlicher Körperverletzung und Raubdelikten durch Jugendliche gegeben hat. Was ist Ihrer Meinung nach die Ursache dafür?

Es ist auffällig; die allgemeine Jugendkriminalität hat eher abgenommen. Eine Annahme ist, dass die technischen Sicherungssysteme enorm aufgerüstet worden sind. Zum anderen wächst der Druck auf Jugendliche im Kampf um Integration und Anerkennung, denn Unterscheidung und Selbstdurchsetzung werden gesellschaftlich gefordert und prämiert. Gewalt ist dann eine attraktive und effektive Verhaltensweise.


2. Sie haben in einem Forschungsprojekt zu „Öffentlicher Gewalt im Stadtquartier“ u.a. erforscht, wie die ethnische Zusammensetzung von Jugendgruppen in bestimmten Stadtquartieren das Auftreten von individueller und Gruppengewalt beeinflusst. Was sind Ihre Ergebnisse?

Wir sind mit der Auswertung noch nicht fertig. Aber es wiederholt sich auch hier. Überall wo ethnisch oder sozial homogene Gruppen dominieren, ist die gewalthaltige Anfälligkeit besonders gegeben. Das konnten wir in früheren Untersuchungen auch bei der Zusammensetzung in Schulkassen feststellen.


3. Warum ballt sich Jugendgewalt in sog. „sozialen Brennpunkten“?

„Soziale Brennpunkte“ existieren ja nicht per se. Sie sind auch Produkte des Marktes, vor allem des Wohnungsmarktes. Bisher gilt immer noch, das sozial durchmischte Stadtviertel ein präventives „Klima“ erzeugen. Die abnehmenden Steuerungsmöglichkeiten zur Wohnungsbelegung muss schon erhebliche Sorgen machen.


 
4. Der Berliner Stadtteil Neukölln ist nicht erst durch den sog. „Rütli-Brief“ und Detlev Bucks Film „Knallhart“ in die Schlagzeilen geraten. Ist Neukölln aus Ihrer Sicht ein normaler „sozialer Brennpunkt“ wie andere auch?

Dies kann ich bisher eigentlich noch nicht sicher beurteilen. Vielleicht lässt sich ja in einem Forschungsprojekt im Vergleich mit anderen Stadtteilen eine Antwort finden. Es gibt aber deutliche Indikatoren, wie der Wegzug bestimmter Geschäfte, die nicht auf eine positive Entwicklung schließen lassen.


5. Lehrer, Sozialarbeiter, Quartiersmanager, Polizisten, Eltern, Akteure der Jugendhilfe – wer soll in Problemquartieren was gegen Jugendgewalt unternehmen? Gibt es besonders erfolgversprechende Strategien gegen Jugendgewalt im Stadtteil?

Natürlich sind alle gefordert. Aber Sie haben die lokalen Eliten vergessen. Sie haben Geld, Image und Einfluss – etwa um z.B. Ausbildungsplätze und Anerkennungsmöglichkeiten zu schaffen.
Kurz: es gibt keinen Königsweg, zumal ja auch die Gewaltentwicklung nicht stetig und linear ansteigt. Gleichwohl gilt wohl: je früher man darauf achtet, was man für Kinder tun kann, umso besser. Das ist natürlich leichter gesagt als getan, wenn man etwa die Familien in ihren ausweglosen Situationen betrachtet. Angefangen von der Zerstörung von Zeitstrukturen im Alltag, der gewalthaltigen leeren Zeit, der Normalisierung von Gewalt in den nachmittäglichen Fernsehsendungen und, und, und.
Sie sehen, im Analysieren sind wir stark – aber wo bleiben unsere Ideen?

 

Die Fragen stellte Sabine Drewes, Referentin der hbs für Kommunalpolitik und Stadtentwicklung.

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