Wie kann Demokratie gelernt werden und wie müssen Bildungseinrichtungen beschaffen sein, um Jugendliche zu befähigen, ihre Freiheit selbst zu gestalten? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des 10. Gesprächs über Bildung der Heinrich-Böll-Stiftung am 11.11.2005. Lesen Sie hier die Dokumentation der Veranstaltung. -> Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen zu Bildung & Wissenschaft.
10. Gespräch über Bildung der Heinrich-Böll-Stiftung
Wie kann Demokratie gelernt werden und wie müssen Bildungseinrichtungen beschaffen sein, um Jugendliche zu befähigen, ihre Freiheit selbst zu gestalten?
Von Jan Kröger
Der Bericht zur Veranstaltung als PDF
Einen anschaulicheren Rahmen als das Berliner Abgeordnetenhaus konnte man dem 10. Gespräch über Bildung kaum wünschen: Das Thema „Demokratie lernen“ lasse sich gerade in diesem Haus sehr gut vermitteln. Denn es stehe - geschichtsträchtig wie kaum ein anderes - für die deutsche parlamentarische Demokratie, so der Parlamentspräsident Walter Momper in seinem Grußwort. Veranstalter der Konferenz am 11. November 2005 war die Heinrich-Böll-Stiftung mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung.
Draußen feierten die Närrinnen und Narren lautstark den Beginn der Faschingszeit, drinnen wurde die Forderung nach mehr Emotionalität in der Demokratiepädagogik zu einem zentralen Anspruch: Von der Demokratie müsse Faszination ausgehen!
Wie dies zu erreichen sei- wie also Kinder und Jugendliche zu Partizipation zu ermutigen seien - war die Leitfrage, die Sybille Volkholz, die Koordinatorin der Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung der Konferenz mit auf den Weg gab.
Demokratische Kompetenz versus Basiskompetenzen?
Der Anlass für die Tagung sei nicht nur das „European Year of Citizenship through Education“, auch die Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung habe sich von der Frage leiten lassen, wie die gesellschaftliche Verantwortung zwischen Individuen und Staat neu verteilt werden könnten. Und das vor dem Hintergrund der allgemeinen Erfahrung, dass die Beschäftigung mit Politik in der Bevölkerung zunehmend auf Unwillen stößt.
Unter der normativen Annahme, dass der/die Einzelne Verantwortung für die gesellschaftlichen Zusammenhänge übernehmen muss, stellte Volkholz zwei Fragen in den Mittelpunkt:
» Wie kann der Mensch dazu befähigt werden, die Freiheit selbst zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen?
» Wie müssen die Bildungseinrichtungen beschaffen sein, um Jugendliche zu befähigen, dieses Ziel zu erreichen?
Dabei sei der Erwerb von demokratischer Kompetenz und von Basiskompetenzen (z.B. Lesekompetenz, mathematische und naturwissenschaftliche) kein Widerspruch. Im Gegenteil beeinflusse sich beides: „Wir wissen, wie wichtig ein demokratisches Schulumfeld für das Lernklima ist.“ Doch was genau sind günstige Bedingungen, um mehr Jugendliche zu politischer Partizipation zu ermutigen? Dieser Frage widmeten sich die Einführungsvorträge von Wolfgang Edelstein (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung) und Gerd de Haan (FU Berlin), den beiden „Vätern“ des BLK-Programms „Demokratie lernen und leben“.
»Schule muss demokratischer Erfahrungsraum sein
Wolfgang Edelstein steckte in seinem Statement „Demokratie lernen und leben“ den theoretischen Rahmen zur Beantwortung dieser Frage ab. Zentrale Kenntnisse, um in der Demokratie erfolgreich partizipieren zu können, seien
- die Fähigkeit zum selbständigen Handeln,
- das Geschick moderne Kommunikationsinstrumente erfolgreichen zu nutzen und
- die Fertigkeit zum Agieren in heterogenen Gruppen.
Diese demokratischen Kompetenzen sollten in Tests wie „PISA“ berücksichtigt werden, denn sie „befähigen in der wohlgeordneten Demokratie zu aktiven Beteiligung“.
Außerdem hob Edelstein hervor, dass Demokratie auf alltägliche Erfahrungen angewiesen seien. Daher solle Schule einen Erfahrungsraum bieten, in dem „im Kleinen geübt werden kann, was im Großen das Leben bestimmt“. In der Schule sollen Kinder und Jugendliche aber „keine demokratisch verfasste Herrschaft simulieren, sondern einen demokratischen Habitus erwerben“, den sie dann als Erwachsene ausbauen können, so Edelstein.
Wie also muss Schule strukturiert sein, um diesen Habitus erlernen zu können? Diese Frage würde auch in der EU zu wenig thematisiert. In Deutschland habe das BLK-Programm „Demokratie lernen und leben“ die sich entwickelnden rechten Strukturen in Deutschland als Herausforderung begriffen und darauf mit der Etablierung demokratiefördernder Programme (entimon, civitas, Xenos) reagiert. Erwerb sozialer Kompetenz ist wichtig, denn „ein demokratischer Habitus bildet Demokraten für das Leben“. Nach Hartmut von Hentig habe die demokratische Schule den Auftrag, bei den Akteuren Bildungskompetenzen zu fördern, Schule solle so als polis wirken können. Demgegenüber sei das BLK-Programm weniger radikal. Mit vier Modulen wolle es an die Schulpraxis anschließen, um eine Dynamik zu entfalten, in der Schule schließlich als Ganzes umgestaltet werde:
- der Unterricht müsse demokratisch umgestaltet werden
- Projekte müssten als „paradigmatische Gelegenheitsstrukturen“ zentral im Schulalltag etabliert werden
- Partizipation müsse als grundlegendes Motiv verstanden werden, mittels dessen die Schule bottom up organisiert werden kann (Schule als Demokratie)
- Schule müsse sich in die demokratische Gesellschaft öffnen (Schule in der Demokratie).
In der nachfolgenden Diskussion wurde gefragt, ob das Konzept nicht zu idealistisch sei. Empirisch sei nicht wirklich eine demokratische Struktur in der Schule auszumachen. Außerdem müsse man fragen, welchen Stellenwert die Menschenrechte im BLK-Konzept hätten. Edelstein appellierte an die Akteure, ihre Kräfte zu bündeln, um den Gefahren des trägen deutschen Schulsystems zu entgehen.
»Wie kann der Erfahrungstransfer gelingen?
Eine der Schwächen des BLK-Programms ist laut Edelstein, dass zu wenig Augenmerk auf den Transfer demokratischer Bildung gelegt werde. Dass dies ein brennendes Thema ist, wurde in wiederholten Wortmeldungen in der Diskussion deutlich. Edelstein wies darauf hin, dass es Transfer nach innen durchaus gibt, es mangele jedoch am Transfer in die Fläche. Es müsse aber beides betrieben werden. Eine Idee, um das umzusetzen, sei die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik, die sich als Plattform für die Verbreitung demokratiepädagogischer Überzeugung versteht. Sie vermittelt dies in Sommerakademien, Beratungs- und Unterstützungsleistungen. Sie müsse aber noch eine kampagnenfähige Kraft werden. Als eines der größten Hindernisse bezeichnete Edelstein die deutsche Halbtagsschule. Es fehle ihr ganz einfach „die zentrale Ressource Zeit“. In der Ganztagsschule könne dagegen kommunitäre Praxis besser geübt werden.
»Jugendliche sind keine Egotaktiker
Der zentralen Frage der Motivationsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen widmete sich Gerd de Haan im zweiten Vormittagsstatement. De Haan betonte, dass die von der OECD definierten Kompetenzen noch kaum Eingang in die Standards der KMK gefunden haben, dass z.B. die Fähigkeit zum autonomen Handeln in heterogenen Gruppen in den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz nur als „schmaler Pfad“ vorkäme, der dringend nachgebessert werden müsse. Anders als die öffentliche Meinung es vermuten lässt, sah de Haan Kinder und Jugendliche keineswegs als „Egotaktiker“: Sie seien durchaus interessiert an ihrem gesellschaftlichen Umfeld und engagierten sich in ihm. Empirische Befunde, wie die Mannheimer oder die Shell-Jugendstudie belegten dies. De Haan appellierte daher hoffnungsvoll: „Wenn wir diesen Fundus heben, dann können wir eine Menge bewegen!“ Das Publikum stärkte de Haans These aus der Sicht der PraktikerInnen. Nur verstünden Jugendliche ihr gesellschaftliches Engagement selten als „politisch“.
Demokratie muss Sinn stiftend sein
Zentral, so de Haan, sei das Moment der Sinnstiftung, das auch im BLK-Programm noch nicht präzise genug mitgedacht sei. Religiöse oder Jugendbewegungen würden von vielen Jugendlichen als Sinn stiftend erlebt, nicht jedoch der Lernort Schule. Diesen Aspekt untermauerte eine Multiplikatorin aus dem Publikum in der Diskussion: Das Hauptproblem sei, dass die Pädagogen diese Lusterfahrung selbst nie gemacht hätten. Man müsse diese Lust aber erst erfahren, um sie weitergeben zu können. Mit der für diese Tagung zentralen Forderung „Man muss Demokratie sinnhaft erfahren können“, schloss de Haan sein Statement. Ein Appell, dessen gelungene Umsetzung die am Nachmittag präsentierten Praxisbeispiele plastisch veranschaulichten. Während sich draußen der Faschingslärm legte, stürmten Schülerinnen und Schüler in der Pause den Saal und besetzten wie selbstverständlich das den ReferentInnen vorbehaltenen Podium.
Schülerinnen auf dem Weg vom Objekt zum Subjkt ihrer Schulen
Nach der Pause stellten drei Berliner Schulen, die am BLK-Programm teilnehmen, ihre Arbeit vor. Dabei bildete das Beteiligungsmodell „Aushandlungsrunde“ den jeweiligen Ausgangspunkt für unterschiedlichste schulspezifische Projekte. Das von Dorothea Schütze und Markus Hildebrandt entwickelte Konzept setzt auf konsensuale Ideenentwicklung und Konfliktlösung. Sowohl LehrerInnen als auch SchülerInnen, ihre Eltern und das weitere Schulpersonal werden hierbei paritätisch einbezogen.
»Spaß an der Mitgestaltung
Die Kreuzberger Fichtelgebirge-Grundschule beispielsweise hatte mit massiven Sprachproblemen (88% Kinder nichtdeutscher Herkunft) und den daraus resultierenden Vermittlungsproblemen demokratischer Mitbestimmung zu kämpfen. In einer Aushandlungsrunde arbeitete die gesamte Schule ihre Stärken und Wünsche heraus. Das Ergebnis war beachtlich: das große Elterninteresse führte u.a. zur Einführung eines offenen Cafés und einer MultiplikatorInnenausbildung für Eltern. Zwei Eltern berichteten, dass Ihnen die mit dem so erworbenen Zertifikat verbundene Anerkennung eine wichtige Motivation für das weitere Engagement war.
Bemerkenswert stolz und selbstsicher präsentierten die SchülerInnen ihre vielfältigen Projekte. Die Kinder, die durch die Aushandlungsrunde schon in der 1. Klasse gelernt hatten, ihre Meinungen und Wünsche vor den LehrerInnen zu vertreten, schufen sich u.a. ein Traumhaus, erstellten ein Theaterstück und gaben sich selbst verbindliche Umgangsregeln.
Deutlich zeigten sie: Die grundlegende Motivation für ihre Beteiligung war neben dem Spaß die Erfahrung, ernst genommen zu werden und mitgestalten zu können. Dass dies jedoch ohne die umfangreiche Unterstützung durch das benachbarte Quartiersmanagement und das Jugendamt sowie die Finanzierung durch BLK-Programm und das Berliner Programm „Soziale Stadtentwicklung“ nicht möglich gewesen wäre, machte die Schulleiterin Annette Spieler klar.
»Aushandlungsrunden als sozialer Lernort
In den Aushandlungsrunden an der Werner-Stephan-Oberschule in Berlin Tempelhof entwickelten die Beteiligten beispielsweise einen Aktionstag „Rauchfreie Schule“. Die begleitende Lehrerin Ruth Jordan hob die dabei gemachten guten Erfahrungen hervor: Die Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Interessensgruppen wurden per Konsensprinzip ausgeräumt, die Beteiligten erfuhren das Zuhören und Verhandeln als sehr konstruktiv und Eltern und SchülerInnen hätten gelernt, sich gegenseitig zum Engagement in ihrem sozialen Umfeld zu motivieren. Als Ergebnis soll diese SchülerInnen- und Elternbeteiligung künftig als fester Bestandteil in das Schulprogramm aufgenommen werden.
»Kreativität und Kooperation als Ergebnis von Partizipation
Aus einer der Aushandlungsrunden am Biesdorfer Otto-Nagel-Gymnasium entsprang die Idee einer Unterrichtsevaluierung. Ziel war hier explizit kein Ranking des Lehrpersonals, sondern die Verbesserung von Unterricht, Schulklima und Kommunikation, wie der Direktor Lutz Seele anführte. Das Ergebnis verdeutlicht, welches Potenzial an Kreativität und Kooperationsfähigkeit unter Jugendlichen die direkte Partizipation wecken kann. SchülerInnen der 10. und 11. Klasse entwickelten eine eigene Software zur Erfassung und Auswertung der Umfrageergebnisse. Sie stellten diese Software der Allgemeinheit mit einer GPL frei zur Verfügung und gründeten eine Schülerfirma, um Vertrieb und Support dieser Software sicherzustellen (Infos unter http://www.ono-systems.de/). Das große Publikumsinteresse sowohl an der von den SchülerInnen vorgestellten Software als auch an den Begleitbedingungen des Projektes zeigte, dass sich hier die Leitfrage der Tagung nach einem erfolgreichen Transfer von Partizipationsmodellen wie von selbst beantwortete. Es wurde aber auch klar, dass man die Bedingungen erfolgreicher Projekte nicht einfach kopieren kann. Jede Schule müsse ihren eigenen Weg finden. In der Diskussion wurde überdies deutlich, wie wichtig die Verbindlichkeit der in den Aushandlungsrunden gefällten Entscheidungen ist.
»Aushandeln und Umsetzen
Als Resümee aus den Erfahrungen mit dem Beteiligungsmodell „Aushandlungsrunde“ formulierte dessen Entwicklerin Dorothea Schütze: Die damit verbundene starke Wunschanalyse wirke sehr konstruktiv; Die Aushandlungsrunden etablierten eine Anerkennungskultur, in der sich alle Beteiligten als gleichberechtigt erlebten; Sehr wichtig sei dass es tatsächlich zur Umsetzung der entwickelten Ideen kommt und nicht nur bei deren Diskussion bleibt.
Stadt der Kinder
Zum Auftakt des sich am Nachmittag anschließenden Panels kommunaler Kinder- und Jugendbeteiligungsprojekte formulierte Sybille Volkholz die Frage, wie das politische System in den Lebensalltag der Betroffenen integriert werden könne.
»München: Kinder gestalten ihr Lebensumfeld aktiv mit
Die Kinderbeauftragte der Stadt München, Jana Frädrich, veranschaulichte, wie in einer Großstadt Kinder erfolgreich zur Gestaltung ihres Lebensumfeldes motiviert werden können. Im Projekt „Kinder mischen mit“ beteiligen sich schon GrundschülerInnen mittels verschiedener methodischer Angebote (Aktionskoffer, Kinderplanbauwagen) und Entscheidungsgremien (Kinderforum) an der baulichen Veränderung ihres jeweiligen Stadtteils. Dass es dabei gegen die verbreitete Meinung sogar möglich ist, in Verkehrsprojekten Einfluss zu nehmen, berichtete Frädrich nicht ohne Stolz. Sie hob aber auch hervor, wie wichtig das ehrenamtliche Engagement und die Kooperation zivilgesellschaftlicher Akteure für das Gelingen sind. Außerdem sei es unerlässlich, den Erfolg solcher Projekte und deren wirkliche Umsetzung zeitnah zu kontrollieren.
»Dortmund: Kooperation, Kooperation, Kooperation
Wie selbstverständlich sich Jugendliche für Politik engagieren können, zeigten die Redaktionsmitglieder der Dortmunder Jugendzeitschrift „Splash“. In einem fiktiven Gruppeninterview führten sie das Publikum durch Probleme und Begleitbedingungen der Projektarbeit in ihrer Jugendfreizeitstätte. So initiierten sie eine Aufklärungskampagne „Wahl ab 16“. Klar wurde, wie sie durch die Übernahme von Verantwortung Verbindlichkeit und das Entwickeln eigener Standpunkte erlernten. Ihre Motivation zögen sie aus dem positiven Feedback, das sie erhielten und dem Gefühl, etwas verändern zu können. Die Quintessenz zog Sascha Schmidtke, einer der Jugendlichen, der mit seinem offensiv zur Schau gestellten Ruhrpott-Idiom für Heiterkeit sorgte: „Dat geht aber nur durch Kooperation, Kooperation, Kooperation!“ Dem entsprechend stellten die Beteiligten klar, dass ohne die Unterstützung des Jugendamtes solche Projekte kaum auf die Beine zu stellen seien. Die immer wieder angesprochene Frage nach den Transfermöglichkeiten stellte sich hier allerdings nicht, da es sich um ein offenes Angebot handele, das nicht den Anspruch habe, sich zu verbreiten.
»Magdeburg: Das Jugendforum
Einen anderen Ansatz verfolgt das Magdeburger Jugendforum. Dessen explizites Ziel ist die Mitwirkung in der Kommunalpolitik durch überparteiliche Jugendbeteiligung. Seit 2004 hat das Jugendforum eine Unzahl partizipativer Jugendprojekte auf kommunaler Ebene initiiert oder begleitet. Stellvertretend für die Beteiligten führten Juliane Meyer und Kevin Lüdemann durch einige der Projekte. Bei „Jugend im Stadtrat“ seien die Jugendlichen in die Rolle der Stadträte geschlüpft, und deren Anträge dann regulär in die Ausschüsse verwiesen und behandelt worden. Mit der in einem anderen Projekt erstellten Schülerrechtsbroschüre setzte das Jugendforum ein konkretes Anliegen von Jugendlichen um: Sie „übersetzten“ das schwer lesbare geltende Recht in eine jugendgerechte Form, warben Sponsorengelder ein und verbreiteten die Broschüre.
In ihrer überaus professionellen Präsentation veranschaulichte Juliane Meyer, dass auch in diesem Fall die Erfahrung von „self empowerment“ und der damit verbundene Spaß eine wichtige Motivation sei. Die zuvor kritisch geäußerte Frage nach der Dauer des jugendlichen Engagements beantwortete Juliane Meyer damit, dass das Jugendforum eine kontinuierlich arbeitende Kerngruppe sei, der sich je nach Projekt weitere Interessierte anschlössen. Ihr „Das ist doch aber auch okay so, oder?“ blieb denn auch unwidersprochen.
Etwas verwundert konnte das Publikum allerdings zur Kenntnis nehmen, dass das Jugendforum bisher noch keine negativen Erfahrungen mit Instrumentalisierungsversuchen seitens rechter Organisationen gemacht hat. Dafür sei die interne Struktur des Forums Schutz genug, so Juliane Meyer und Kevin Lüdemann.
(Wie) Kann man Demokratie lernen?
Die Leitfrage des abschließenden Podiums „Kann man Demokratie lernen?“ konnte nach den anschaulichen Beispielen der Tagung nur rhetorischer Natur sein. Denn sie war längst mit „Ja“ beantwortet. Wichtiger wurde daher die Frage nach den günstigen Rahmenbedingungen.
»An der Alltagskultur Jugendlicher ansetzen
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, sah den Erfolg seiner Behörde darin, dass sie die Abkehr von der reinen Informationsvermittlung hin zu einer Motivierung Jugendlicher durch offene Bildungsprozesse geschafft habe. Voraussetzung dafür sei der Verzicht auf einen „Allwissenheitsanspruch“. Demokratiepädagogik müsse an der Alltagskultur und Lebenswelt Jugendlicher ansetzen, um erfolgreich sein zu können. Krüger betonte am Beispiel des Projektes „Bürgerhaushalt“ in Berlin-Lichtenberg, dass solche basisdemokratischen Entscheidungen immer auch zu den gewählten Parlamenten rückgekoppelt werden müssten. Denn nur so könne vermieden werden, dass weniger aktive gesellschaftliche Gruppen durch solche Entscheidungsstrukturen ausgeschlossen werden.
»Kompetenz und Gelegenheitsstrukturen nötig
Sigrid Meinhold-Henschel (Bertelsmann-Stiftung), sah – mit Verweis auf die von der Stiftung durchgeführte Studie – dass das Angebot an Methoden der Partizipation ausreichend vorhanden sei. Es fehlen aber in vielen Schulen und Kommunen die tatsächlichen Angebote zur Beteiligung. Das legten jedenfalls die Ergebnisse der Bertelsmann-Studie zu „Kinder- und Jugendpartizipation in Deutschland“ nahe. Jugendliche hätten wenig Partizipationserfahrung (nur 14 Prozent der Befragten hatten viel Erfahrung in den Kommunen), jedoch sei das Potenzial hierfür durchaus vorhanden (80 Prozent seien interessiert). Sie stimmte Thomas Krüger zu, dass dieses Potenzial durch die richtigen Themen und Beteiligungsformen aktiviert werden könne. Die förderlichen Bedingungen sah Meinhold-Henschel in der Qualifizierung und Ermutigung Jugendlicher: Kompetenz und Gelegenheitsstrukturen seien die zentralen Aspekte dabei. Jugendliche müssten demokratische Verfahren erleben können. Dafür seien niedrigschwellige Angebote wie etablierte Verbände und Vereine durchaus eine gute Möglichkeit.
»Angelsächsische Verhältnisse
Für Anne Sliwka (Freudenberg-Stiftung) kann Baden-Württemberg nach mittlerweile drei Jahren BLK-Programm durchaus mit den angelsächsischen Ländern mithalten. Es gäbe in Deutschland mittlerweile zahlreiche Beteiligungsmodelle, wenn auch wenige große Projekte wie das US-amerikanische „congress in practice“. Außerdem sei politische Partizipation im angelsächsischen Raum viel stärker traditionell verankert als bei uns. Hier wie dort zeige sich im Übrigen, dass soziales Engagement Jugendlicher nicht notwendigerweise mit späterer parteipolitischer Teilhabe einhergeht.
»Reform des politischen Systems
Ein Tagungsteilnehmer brachte es auf den Punkt: „Die Unlust der Jugendlichen besteht am System, nicht an der politischen Partizipation an sich!“ So waren sich denn auch die PodiumsteilnehmerInnen einig, dass sich das politische System immer reformieren müsse, um attraktiv zu bleiben. Dissens bestand lediglich über die notwendigen Träger dieses Systemwandels. Kommen die parteinahen Stiftungen ihrer Kernaufgabe nicht nach, Alternativen aufzuzeigen (Thomas Krüger)? Müssten die Parteien ihre für Jugendlichen attraktiven Angebot stärken, um auf deren Interesse zu stoßen (Benjamin Gesing, Servicestelle Jugendbeteiligung)? Braucht es in der Umsetzung partizipativer Projekte mehr Verbindlichkeit (Anne Sliwka)? Oder geht der Trend einfach hin zu anderen politischen Beteiligungsformen als den etablierten Parteien (Sigrid Meinhold-Henschel)?
»Als zentrale Fragen bleiben:
- Wie können gelungene Beispiele von Partizipation in die Fläche verbreitet werden?
- Wie können positive Erfahrungen von Jugendlichen bei ihnen selbst dauerhaft die Motivation zur politischen Beteiligung stabilisieren?
Motivation durch Gestaltungsöglichkeiten
Viele unterschiedliche Wege hin zu mehr politischer Partizipation von Kindern und Jugendlichen wurden auf diesem 10. Gespräch über Bildung aufgezeigt. Viele Mut machende Projekte stellten ihre Arbeit vor und demonstrierten anschaulich, wozu Demokratiepädagogik in der Lage sein kann.
Diese Tagung war nicht nur vom richtigen Ort (dem Abgeordnetenhaus) beseelt, die TeilnehmerInnen konnten auch sehen und erfahren, was Demokratie-Förderung Positives bewirkt: Kinder, die selbstbewusst ihre Umwelt gestalten, Jugendliche, die in eigenen Strukturen selbst Politik machen und Eltern, die sie zu alldem ermutigen. Die auf dieser Veranstaltung präsentierten Projekte beantworteten die Eingangsfrage (Wie sind Kinder und Jugendliche zu Partizipation zu ermutigen?) auf ihre Weise: Motivation entsteht aus dem Spaß an Gestaltungsmöglichkeiten und dem Gefühl, ernst genommen zu werden. Dass daneben erfolgreiche Beteiligung der institutionellen Begleitung und finanziellen Unterstützung bedarf, belegten alle Projekte eindrücklich.