von Ralf Fücks
Der Artikel wurde zuerst in der Ausgabe vom Dezember 2003 der Zeitschrift "Internationale Politik" mit dem Schwerpunkt Informationsgesellschaft veröffentlicht.Der vollständige Artikel kann von dieser Seite heruntergeladen werden (PDF, 5 S., 110 KB).
Das öffentliche Desinteresse am World Summit on the Information Society (WSIS) steht im krassen Kontrast zur Relevanz der Gegenstände, die auf der Konferenz verhandelt werden.Dabei ist der offizielle Auftrag des WSIS nichts weniger als die Verständigung auf eine gemeinsame Vision von der Zukunft der globalen Informationsgesellschaft und auf eine Strategie zu ihrer Verwirklichung.
Die Konferenz ist eine Reaktion auf den atemberaubenden Siegeszug der elektronischen Informations- und Kommunikationstechnologien. Sie ist zugleich eine Antwort auf die Ungleichzeitigkeit, mit der diese Entwicklung vonstatten geht: sowohl hinsichtlich der ungleichen Verteilung des Zugangs zu IuK-Medien zwischen wohlhabenden und armen Weltregionen wie des Machtungleichgewichts, das im Hinblick auf die Kontrolle von Schlüsseltechnologien und Inhalten der digitalen Welt besteht.
Die Konflikte zwischen armen Entwicklungsländern, aufstrebenden Schwellenländern und den reichen Staaten des globalen Nordens um Fragen der Weltwirtschaftsordnung sind schärfer geworden. Auch der WSIS droht, wie der Welthandelsgipfel in Cancun im September des Jahres, an diesen Konfliktlinien zu scheitern.
Bisher wurden alle grundlegenden Fragen streitig diskutiert: Die Einrichtung eines supranationalen Fonds zur Finanzierung von IuK-Investitionen in Entwicklungsländern wird von den USA, der EU und Japan bislang abgelehnt. Die Mehrheit der Entwicklungsländer fordert die Einrichtung einer supranationalen Regulierungsbehörde für das Internet unter dem Dach der UN.
Dieser Konflikt wird auch an der Frage deutlich, ob eine künftige Charta der Informationsgesellschaft sich ausdrücklich auf die Charta der Menschenrechte berufen und damit das Recht auf freien Zugang zu IuK-Medien zu einem unveräußerlichen Grundrecht deklarieren soll. Umgekehrt zeichnen sich an der Frage des internationalen Patentrechts für Software und der kommerziellen Vermarktung von Wissen durch Verlage und Medienkonzerne eher Allianzen zwischen Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungsländern ab.
Der viel beschworene Grundsatz der "digitalen Chancengleichheit" bleibt eine hohle Phrase, solange der Zugang zu Bildung und technischen Kommunikationsmitteln für einen Großteil der Weltbevölkerung unerreichbar ist. Während bisher kein substanzieller Fortschritt in der Sache erzielt wurde, zeichnet sich der Vorbereitungsprozess des WSIS durch neue partizipatorische Ansätze aus. Zum ersten Mal wurde bei einem UN-Gipfel eine so weitgehende Einbeziehung von Akteuren der Zivilgesellschaft (NGO’s) wie der Wirtschaft praktiziert.
Das ist keine Lappalie. Ungeachtet des Ausgangs der Genfer Gipfelkonferenz bleibt als positives Resultat, dass sie erheblich zur programmatischen Verständigung und praktischen Vernetzung unter zivilgesellschaftlichen Akteuren beigetragen hat.
Ein Resultat dieses alternativen Vorbereitungsprozesses ist die "Charta der Bürgerrechte für eine nachhaltige Wissensgesellschaft", die von einem Netzwerk aus Wissenschaftlern und NGO-Aktivisten in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung erarbeitet wurde.