Kann die Ökologische Wende des Kapitalismus gelingen?
Von Ralf Fücks und Kristina SteenbockDer Klimawandel wird mehr und mehr nicht nur zum ökologischen, sondern auch zum ökonomischen Risiko. Um die globalen Herausforderungen des Klimawandels zu meistern, ist eine Umwandlung der Marktwirtschaft in eine ökologische dringender denn je. Wie und mit welchen Akteuren dies gelingen kann, das beschreiben Ralf Fücks und Kristina Steenbock in ihrem Beitrag.
Der Beitrag ist dem neuen Heft des Magazins Boell.Thema, "Grüne Marktwirtschaft", entnommen.
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I Die Aufgabe
Spätestens seit dem Report des britischen Regierungsökonomen Nicolas Stern wissen wir, dass der Klimawandel nicht nur ein ökologisches Risiko erster Ordnung darstellt – auch die ökonomischen Risiken sind gewaltig. Falls das Ruder nicht rasch herumgeworfen wird, werden die hausgemachten „Naturkatastrophen“, die mit einem exponentiellen Anstieg der Temperaturen einhergehen, zu einer massiven Vernichtung wirtschaftlicher Werte führen. Dagegen schätzt Stern die Kosten für effektiven Klimaschutz auf ca. ein Prozent der globalen Wertschöpfung pro Jahr. Ihnen stehen enorme Wachstumspotenziale auf dem Feld der „Green Economy“ gegenüber. Fazit: Investitionen in Klimaschutz sind volkswirtschaftlich hoch rentabel – und sie können zum Auslöser eines grünen Wirtschaftswunders werden.
Das klingt fast wie die Quadratur des Kreises: Ökologie als Jungbrunnen der Ökonomie. Aber dahinter steckt eine gewaltige Herausforderung. Es geht um die Reduzierung der globalen CO2-Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts um 50 Prozent; das entspricht einer Reduktion in den „alten“ Industriemetropolen in einer Größenordnung von 80–90 Prozent. Das bedeutet nichts weniger als eine neue industrielle Revolution. In den letzten 150 Jahren hat sich der Kapitalismus die fossilen Energierohstoffe der Erde einverleibt: Kohle, Öl, Gas. Dieses Entwicklungsmuster ist jetzt an seine ökologische Grenze gestoßen – nicht durch die physische Erschöpfung dieser Rohstoffe, sondern durch das Übermaß an Kohlendioxid, das durch ihre Verbrennung freigesetzt wird. Jetzt muss innerhalb weniger Jahrzehnte der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise vollzogen werden, die auf erneuerbaren Energien und geschlossenen Stoffkreisläufen basiert.
Politische Zielvorgaben und rechtliche Normen sind unabdingbar, um die Dynamik des Marktes in eine ökologische Richtung zu lenken. Aber sie können die Kreativität der Marktwirtschaft nicht ersetzen, in der Millionen und Abermillionen von Produzenten und Konsumenten eigenverantwortlich handeln. Unternehmen und Verbraucher müssen selbst zu Akteuren der ökologischen Innovation werden.
II Ökokapitalismus – ein Widerspruch in sich?
Von Karl Marx stammt der berühmte Satz „Der Kapitalismus ruiniert die Springquellen des Reichtums, auf denen er beruht: den Arbeiter und die Natur“. Das war scharfsinnig beobachtet. Man muss die Aussage allerdings als Analyse einer Tendenz, nicht als unumstößliche „Gesetzmäßigkeit“ lesen. Denn der Kapitalismus ist ein lernfähiges, evolutionäres System, das bisher noch jede Opposition in Innovation verwandelt hat.
Als erste historische Antwort auf die zerstörerischen Tendenzen des Kapitalismus trat im 19. Jahrhundert die Arbeiterbewegung auf den Plan, und mit ihr die Sozialdemokratie als ihr politischer Ausdruck. Ihr Projekt war die soziale Zivilisierung des Kapitalismus. Sie erkämpfte ein weitverzweigtes Netz von Institutionen: Gewerkschaften, Genossenschaften, Sozialversicherungen, berufliche Bildung, Arbeitsgesetzgebung, Tarifverträge, Mitbestimmung etc. Im Ergebnis stiegen Lebenserwartung und Lebensstandard der arbeitenden Klassen auf breiter Front, der Anstieg der Massenkaufkraft führte zur modernen Konsumgesellschaft. Zwar ist die soziale Einhegung des Kapitalismus ein immer wieder umkämpfter, von Rückschlägen bedrohter Prozess, aber sie ist entgegen aller Unkenrufe auch im Zeitalter der Globalisierung nicht außer Kraft gesetzt. Gerade in den neuen Industrieländern steigen Bildungsniveau und Massenkaufkraft, gleichzeitig wachsen mit den modernen Technologien und Dienstleistungen auch die Nachfrage nach qualifizierter Arbeit und die Bedeutung des „Humankapitals“ für die Wirtschaft. Ob die Analogie zur sozialen Marktwirtschaft trägt, muss sich noch erweisen. Aber wer genau hinsieht, findet viele Anzeichen dafür, dass die ökologische Modernisierung des Kapitalismus bereits begonnen hat. Wenn es stimmt, dass im Wettlauf mit der Klimakatastrophe nur eine kurze historische Frist bleibt, gibt es dazu auch keine ernsthafte Alternative.
III Das Neue wächst im Schoß des Alten
Es geht uns nicht um Spekulationen, sondern um einen geschärften Blick für neue Entwicklungen und Akteure, die bereits zur ökologischen Transformation der Wirtschaft beitragen:
- Zahl und politische Reichweite zivilgesellschaftlicher Organisationen haben in den letzten zwei Jahrzehnten enorm zugenommen. Während 1992 bei der Weltkonferenz in Rio de Janeiro noch 1400 Nichtregierungsorganisationen akkreditiert waren, waren es in Johannesburg 2002 bereits 3000. NGOs sind heute international vernetzt und haben Zugang zu Medien und politischen Instanzen in vielen Ländern. Mit ihrer Fähigkeit zur Skandalisierung fungieren sie als Wächtersystem gegenüber transnationalen Unternehmen.
- Das „Reputationsrisiko“ ist vor allem bei Konzernen, die im konsumnahen Bereich tätig sind und einen Markennamen zu verlieren haben, ein harter ökonomischer Faktor. Ihre Umsätze und ihr Börsenwert reagieren empfindlich auf Rufschädigungen. Internationale Kampagnen wie „Nestlé tötet Babies“, die Brent-Spar-Aktion von Greenpeace oder die Kampagne gegen ausbeuterische Zustände in den Produktionsstätten von Nike haben Unternehmensleitungen zur Veränderung ihrer Geschäftspolitik gezwungen.
- Umweltrisiken, insbesondere die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen, werden zunehmend zum ökonomischen Risiko. Gleichzeitig führen langfristig steigende Preise für Rohstoffe und Energie zu einem effektiveren Ressourcenmanagement. Die Verknappung und Verteuerung von CO2-Emissionsrechten wird diesen Prozess beschleunigen. Ein energieintensives Unternehmen, das keine Strategie vorweisen kann, seine Emissionen zu reduzieren, gefährdet seinen Unternehmenswert.
- Der internationale Aufstieg der grünen Bewegung hat zur Institutionalisierung des Umweltschutzes auf breiter Front geführt. Umweltministerien, Grenzwerte, Umweltabgaben, Ökosteuern, Förderprogramme (wie das Erneuerbare Energien-Gesetz), Umweltverträglichkeitsprüfungen und Zertifizierungen haben wiederum dazu beigetragen, dass Umwelttechnologien, alternative Energien und ökologische Dienstleistungen zu einem Wachstumsmarkt wurden, der Kapital anzieht und Arbeitsplätze schafft.
- Die aktuelle Diskussion über den Klimawandel signalisiert selbst hartleibigen Unternehmen, dass sie nicht mehr auf eine fortgesetzte Ignoranz gegenüber globalen Umweltproblemen setzen können. Wer die ökologische Trendwende verpasst, wird von den Märkten abgestraft – siehe die Krise der US-Autoindustrie. Das setzt einen Innovationswettlauf für mehr Ressourceneffizienz und umweltverträgliche Produkte in Gang, der nach und nach alle Branchen erfasst.
- Eine neue Generation von Managern erlebt in ihrer Ausbildung, dass „Corporate Social Responsibilty“ und Ökomanagement selbstverständliche Bestandteile ihres Berufsbilds sind. Heutige Ausnahmeerscheinungen wie der neue US-Finanzminister, der als Chairman von Chase Manhattan zugleich Präsident einer der größten amerikanischen Naturschutzorganisationen war, müssen keine Ausnahmen bleiben.
- Die Finanzmärkte reagieren. Investoren, die auf die mittel- und langfristige Stabilität ihres Anlagekapitals angewiesen sind, wie zum Beispiel die großen Pensionsfonds in den USA, beziehen zunehmend klimarelevante, ökologische und soziale Kriterien in ihre Entscheidungen ein. Sie erhöhen damit den Druck auf Unternehmen, sich diesen Fragen zu stellen. Auch die großen Rückversicherer sind zu Verbündeten im Kampf gegen die Erderwärmung geworden, weil die Hurrikan-Schäden astronomische Größenordnungen angenommen haben.
- Grünes Wagniskapital: Vor allem in den USA, dem Mutterland privaten Wagniskapitals, ist eine grüne Welle bei Unternehmensbeteiligungen und Gründungsfinanzierungen zu beobachten. Allein im Sektor alternativer Energien wurden dort im letzten Jahr rund 30 Milliarden Dollar investiert. „Grüne“ Investmentfonds boomen. Auch das spricht dafür, dass die nächste große Innovationswelle im ökologischen Bereich stattfinden wird.
Viele dieser Veränderungen stehen noch am Anfang, und für sich genommen reichen sie nicht aus, um eine ökologische Wende in der nötigen Geschwindigkeit herbeizuführen. Aber sie verweisen auf neue Potenziale, Akteure und Allianzen, auf die wir uns beziehen können.
IV Neue Allianzen: „Multistakeholder“-Initiativen
Als „liberalization’s unexpected consequences“ bezeichnet ein Artikel in der Harvard Business Review die zunehmende Kooperation von internationalen Unternehmen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. So arbeiten 90 Unternehmen mit einem Gesamtjahresumsatz von 400 Milliarden Dollar zusammen mit Transparency International in der Anti-Korruptions-Initiative PACI. Die International Union for the Conservation of Nature schließt Verträge mit Unternehmen über Konsultationen bei Investitionsprojekten und zur Weiterbildung von Mitarbeitern. ABN Amro, die größte holländische Bank, entwickelt zusammen mit Accion International Mikrofinanzmodelle in Lateinamerika. BP kooperiert mit indischen NGOs bei Entwicklung und Vertrieb eines hocheffizienten Kleinofens für den privaten Gebrauch in ländlichen Gebieten, der die berüchtigten Atemwegserkrankungen beim herkömmlichen Verfeuern von Biomasse verhindert. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Spannender noch als die Einzelkooperation von Unternehmen und NGOs ist die wachsende Zahl von Initiativen, die auf eine kooperative Regulierung der Märkte zielen. Sie setzen da an, wo staatliche Regulierung wegen fehlender internationaler Übereinstimmung nicht greift. Zu den wichtigsten gehören:
- Extractive Industry Transparency Initiative: Eine Kooperation der marktführenden Öl- und Gaskonzerne, institutioneller Investoren, NGOs, Regierungen und Entwicklungsbanken mit dem Ziel, Transparenz-Standards für die Geldflüsse aus Öl- und Gasprojekten in ressourcenreichen Ländern festzulegen.
- Ethical Trading Initiative und Fair Labor Association: 111 Unternehmen (u.a.: Puma, Reebok, Adidas, Nike, H+M, Levi-Strauss, Marks and Spencer, BodyShop, Chiquita), die sich auf die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verpflichtet haben.
- Kimberley-Process: Ein Zertifikatssystem für Rohdiamanten, das alle Marktakteure umfasst, um das Problem der „Blut-Diamanten“ in den Griff zu bekommen.
- Forest Stewardship Council: Ein Zertifizierungssystem für Holz und Holzprodukte, das inzwischen fast zehn Prozent der kommerziellen Waldflächen erfasst. Zu den Abnehmern der FSC-Produkte gehören heute u.a. Random House Group („Harry Potter auf FSC“) und der größte US-Baumarkt Home-Depot.
V Der Finanzmarkt als Seismograph
Für jeden international tätigen Konzern ist die Bewertung durch institutionelle Investoren, also durch die potenziellen Geldgeber, von zentraler Bedeutung. Etwa seit dem Jahr 2000 ist eine zunehmende Relevanz von Nachhaltigkeitsindikatoren für das Rating von Unternehmen zu beobachten. Pensionsfonds sprechen inzwischen von einer „fiduciary duty“ (Treuhänderpflicht), Nachhaltigkeitskriterien in ihre Anlagestrategie einzubeziehen, um das Risiko für ihre Anleger zu reduzieren.
Damit ernst gemacht hat im vergangenen Jahr der weltgrößte Pensionsfonds TI-AA-CREF: Er verkaufte seine Coca-Cola-Anteile (Marktwert 52,4 Mio. Dollar), nachdem bekannt wurde, dass der Konzern gegen Kinderschutz, ILO- und Umweltstandards verstoßen hatte.
Der bislang erfolgreichste Zusammenschluss institutioneller Investoren ist das Carbon Disclosure Project (CDP), das sich auf klimarelevante Risiken und Daten konzentriert. Seit seiner Gründung im Jahr 2000 ist das CDP von 25 auf 211 Investoren gewachsen und hat heute ein Anlagevolumen von sagenhaften 31 Billionen Dollar. CDP befragt regelmäßig die 500 weltweit größten börsennotierten Unternehmen zu Treibhausgasemissionen und Emissionsminderungsprogrammen. Die Tätigkeit des CDP hat den Druck auf Börsenaufsicht, Unternehmensleitungen und Wirtschaftsprüfer verstärkt, transparente Berichtsstandards zu Klimarisiken zu entwickeln.
VI Was kann, was muss Politik bewirken?
Mit den neuen Dynamiken in der Unternehmenswelt, dem Auftreten neuer Akteure und Allianzen wird staatliche Regulierung nicht überflüssig. Originäre Aufgabe der Politik bleibt, den Märkten ökologische Zielvorgaben und einen ökologischen Ordnungsrahmen zu geben. Im Kern geht es um Erwartungssicherheit hinsichtlich umweltpolitischer Ziele, an denen die Unternehmen ihre Investitionen ausrichten müssen, sowie um Kostenwahrheit durch die Einbeziehung ökologischer Folgekosten in die Preise für Energie, Produkte und Dienstleistungen. Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen, das bleibt das A und O einer ökologischen Marktwirtschaft. Die wichtigsten Hebel staatlicher Politik, um diese Transformation zu beschleunigen, sind deshalb:
- Umstellung des Steuer- und Abgabensystems von der Besteuerung der Arbeit auf Ressourcensteuern;
- Einführung eines effektiven Emissionshandelssystems, zunächst auf europäischer, im nächsten Schritt auf globaler Ebene;
- Verbindliche Zielkorridore für Energieeffizienz und erneuerbare Energien, flankiert durch Förderprogramme für Forschung und Entwicklung;
- Stärkung von Verbraucherrechten (Informationspflicht hinsichtlich der Ökobilanz von Produkten und Materialien, erweitertes Haftungsrecht bei Gesundheitsrisiken);
- Verankerung internationaler Mindeststandards im Hinblick auf soziale Rechte und Umweltschutz in Freihandelsabkommen;
- Verstärkter Transfer umweltfreundlicher Technologien in die Entwicklungsländer, um deren wirtschaftliches Wachstum in ökologische Bahnen zu lenken.
Machen wir uns keine Illusionen: Allein der absehbare Zuwachs der Weltbevölkerung auf ca. 9,2 Milliarden Menschen wird das globale Wirtschaftswachstum weiter ankurbeln. Die entscheidende Herausforderung besteht deshalb darin, ein wachsendes Volumen an Gütern und Dienstleistungen mit einer drastischen Minderung des Naturverbrauchs zu kombinieren. Ohne konsequente staatliche und globale Ordnungspolitik wird das nicht gelingen. Aber die ökologische Transformation der Marktwirtschaft kann nicht nur „von oben“ erfolgen. Sie muss durch eine ökologische Dynamik „von unten“ getragen werden, die Öko-Bauern und High-Tech-Unternehmen, Erfinder und Investoren, Umweltverbände und aufgeklärte Konsumenten umfasst. Diese Dynamik zu beschleunigen, darauf muss (grüne) Politik abzielen.