Ein bunter Haufen namens NGO

Lesedauer: 6 Minuten

26. März 2008
Barbara Unmüßig
Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Was verbirgt sich eigentlich hinter der Abkürzung NGO? Wer ist dieser bunte Haufen, dem dieses Kürzel verpasst wird? NGO ist der Sammelbegriff für ganz verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen aber auch informelle Zusammenschlüsse. Den einen gelten sie als Störenfriede der Globalisierung und vor allem in Ländern der Dritten Welt auch als herrschaftsgefährdend. Für andere sind sie zu einem wichtigen Akteur in der globalen Politik aufgestiegen. Keine UN-Konferenz ist ohne ihre Präsenz und ihre Einmischung ins Verhandlungsgeschehen mehr denkbar. Sie werden mit hoch fliegenden Erwartungen konfrontiert und zu Hoffnungsträgern stilisiert: In Umfragen erhalten sie Sympathiewerte bei der Bevölkerung von denen Politiker nur träumen können. Greenpeace und Amnesty International werden ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit und Integrität attestiert. Sogar als ‚Sauerteig für eine bessere Welt‘ werden sie ab und an bezeichnet.
Für Teile der globalisierungskritischen Bewegung  ist das Kürzel NGO allerdings schon zum Schimpfwort geworden: NGO gelten als Erfüllungsgehilfen neoliberaler Globalisierung. Von parlamentarischer Seite aus wird die fehlende Legitimation von NGO als Problem gesehen.

Allerdings, weder Idealisierung noch Verdammung werden dem „Phänomen NGO“ gerecht.  Für jede der genannten Einschätzungen – ob überschwänglich, skeptisch oder ablehnend – lässt sich jeweils genügend empirisches Material zusammentragen. Schließlich gibt es weltweit mehrere zehntausend NGOs und  solche wie Greenpeace, amnesty international oder wichtige Geldgeber im Entwicklungs- und Umweltbereich (Brot für die Welt, Misereor, Oxfam, World Wide Fund for Nature, WWF) lassen sich nicht in einen Topf werfen mit kleinen Organisationen, die sich auf ein Thema wie Kinder in Not oder auf den Schutz der Wale spezialisiert haben. Eine Bewertung muss also die unterschiedlichen Interessen, Wertvorstellungen und Organisationsstrukturen sowie den jeweiligen nationalen und internationalen Kontext bearbeiten berücksichtigen.

Lückenbüßer oder Vorreiter politischer Partizipation 

Eine wichtige  Entscheidungskategorie innerhalb der vielstimmigen Gruppe der NGO ist ihr Verhältnis zur staatlichen und zwischenstaatlichen Politik: In den letzten beiden Jahrzehnten sind Entwicklungshilfe-NGO wie Pilze aus dem Boden geschossenen. Bei ihnen ist das Verhältnis zur staatlichen Politik besonders problematisch.
Ein immer größerer Teil öffentlicher Entwicklungshilfegelder wird mittlerweile über sie abgewickelt. Zurückzuführen ist diese Aufwertung in der internationalen Zusammenarbeit im wesentlichen auf die vermeintlichen komparativen Vorteile von NGO. Anders als Dritte-Welt-Regierungen gelten sie als basisnäher und partizipativer. Entscheidender Grund ihrer Aufwertung dürfte jedoch die Tatsache sein, dass sie effizienter und kostengünstiger arbeiten als die meisten staatlichen Entwicklungsbürokratien.
 Wo der Staat mit seinen Dienstleistungen vor allem in den Ländern des Südens versagt, füllen sie bereitwillig die durch staatliche Sparmaßnahmen entstehenden Lücken vor allem im Bildungs- und Gesundheitsbereich. NGO sind deshalb nicht  allein Ausdruck einer neuen Partizipationskultur: sie sind vielmehr Produkt erfolgreicher „Privatisierung“ der Sozial- und Entwicklungspolitik. Einige sehen in ihnen sogar ‚nützliche Idioten‘ in der Sozial- und Entwicklungspolitik: Als Lückenbüßer sind sie weitgehend politisch neutralisiert und nicht selten entfremden sie sich von der Basis. Alle Phänomene der (staatlichen) Vereinnahmung und Instrumentalisierung von NGO bis hin zur Korruption sind hier zu beobachten. Mit wirklicher Partizipation oder gar Empowerment hat diese Arbeit dabei wenig zu tun. Humanitären Hilfsorganisationen, die in akuten Krisen vor allem in Kriegsgebieten die Bevölkerung und Flüchtlinge mit dem Nötigsten versorgen wird nicht zu Unrecht vorgeworfen,  ein Glied in der Kette der entstehenden Gewaltmärkte verschiedenster Warlords zu sein, in dem sie einen Teil der Nahrungsmittellieferungen an sie abgeben müssen oder Zwangsabgaben und Schutzgeld für ihre Anwesenheit in einer bestimmten Region abgeben müssen.
Die Gruppe der Enwicklungshilfe-NGO sind von denen zu unterscheiden, die auf politische Veränderung, auf demokratische Lösungen von Problemen und die Beseitigung ihrer Ursachen orientiert sind.  Sie verstehen sich häufig als Widerpart von Regierungen und Wirtschaftsakteuren. Skandalisierung von einzelnen politischen Entscheidungen oder ganzer Institutionen wie zum Beispiel des Internationalen Währungsfonds oder der Welthandelsorganisation (WTO) sowie die Herstellung von Gegenöffentlichkeit und die Mobilisierung von Bevölkerungskreisen gehören zu ihren Instrumenten.
In vielen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas haben sich den „traditionellen“ NGO neue soziale Bewegungen  zugesellt. Sie mischen sich aktiv in Landrechtsfragen ein, engagieren sich gegen Gewalt gegen Frauen und thematisieren öffentlich Menschenrechtsverletzungen  und Umweltfrevel. Und mehr und mehr wird internationale Verschuldungs-, Handels- und Agrarpolitik zum Thema für NGO im Süden. Aus Einpunktakteuren werden häufig politische Gruppen und Netzwerke, die sich aktiv in nationale und internationale Entscheidungsprozesse einzumischen versuchen. Politisch orientierte NGO und soziale Bewegungen wirken so aktiv an der politischen Öffnung und im Kampf gegen autoritäre Regime entscheidend mit.

Schmusekurs und Repression

Wie reagieren Regierungen und internationale Institutionen wie IWF, Weltbank oder WTO auf diesen wachsenden Einfluss von NGO und Bewegungen? Weltweit ist zu beobachten, dass Regierungen und Institutionen unterschiedlich damit  umgehen. Mit einer „Offensive des Lächelns“ werden NGO und Bewegungen von Regierungen und internationalen zwischenstaatlichen Organisationen umgarnt und vielfach als Gesprächspartner akzeptiert. Der  IWF und die Weltbank haben mit Ombudspersonen und anderen Kontaktstellen den Austausch mit NGO mittlerweile institutionalisiert.  Das  heißt allerdings noch lange nicht, dass der Einfluss auf konkrete politische Entscheidungen sich tatsächlich erhöht hat.  Die „radikalen“ NGO und Bewegungen werden dagegen ausgegrenzt und im schlimmsten Fall kriminalisiert vor allem von Regimen im Süden und Regierungen in Osteuropa , sogar mit dem Leben bedroht. Dort wo sie sich direkt mit konkreten Interessen anlegen, bekommen sie staatliche Repression sofort zu spüren. Wer zum Beispiel ein konkretes Entwicklungsprojekt wie die Erdölerschließung im Tschad oder ein Staudammprojekt in Indien verzögern oder gar verhindern will, ist ständigen Bedrohungen durch die staatliche Apparate ausgesetzt. Viel hängt davon ab, ob dieser lokale Widerstand von NGO im Norden unterstützt und öffentlich gemacht werden kann.
Neue und alte soziale Bewegungen wie die Landlosenbewegung und Gewerkschaften sowie „traditionelle“ NGO und globalisierungskritische Bewegung arbeiten immer häufiger Hand in Hand miteinander und versuchen ihre komplementären Stärken zu nutzen. Mit dem Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre ist ein Ort geschaffen worden, der die strategische Kooperation von alten und neuen sozialen Bewegungen des Südens, der weltweiten globalisierungskritischen Bewegung und den NGO vorantreiben könnte.
Wenn diese Kooperationen fruchtbar gemacht werden können, dann dürften sich  auch die Einflussmöglichkeiten auf konkrete politische Entscheidungen für ein gerechteres Nord-Süd-Verhältnis und insgesamt für eine soziale, ökologische und geschlechtergerechte Globalisierung erhöhen.

Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht. 

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