Erosion von Staatlichkeit

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26. März 2008

Interview mit Barbara Unmüßig, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung in "E+Z" (Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit) Heft 10/2006

Was halten Sie für das größte Risiko des PPP-Konzepts?

Barbara Unmüßig: Das größte Risiko ist, dass Unternehmen öffentliche Gelder nur in Trittbrettfahrerfunktion mitnehmen. Die Mischung von öffentlichen und privaten Mitteln führt nicht automatisch dazu, dass Firmen flächendeckend sozial und ökologisch verantwortlich handeln. Das zweite Risiko ist, dass nicht genug öffentliche Mittel für vernachlässigte öffentliche Aufgaben aufgebracht werden. PPP-Politik orientiert sich tendenziell an Unternehmensinteressen, also letztlich Profitchancen.

Was heißt das konkret?

Barbara Unmüßig: Im Gesundheitswesen beispielsweise gibt es sehr viele Private Public Partnerships. Wenn sie zu höheren Aufwendungen für Impfstoffe, AIDS-Prävention und ähnliches führen, ist das zu begrüßen. Aber ich finde wichtig, dass öffentliches Geld in die Forschung über Krankheiten fließt, die zwar die Pharmaindustrie nicht interessieren, für viele Dritte-Welt-Länder aber wichtig sind. Öffentliche Mittel müssen dahin gehen, wo der Markt versagt.

Den Regeln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zufolge werden PPP-Projekte auch nur unterstützt, wenn etwas getan wird, was nicht zum Kerngeschäft des Partners gehört.

Barbara Unmüßig: Ja, aber den Nachweis, dass dem wirklich so ist, müssen die PPP-Projekte noch bringen. In vielen Fällen geht es um die Einführung von ökologischen und sozialen Standards. Warum können sich Unternehmen darum nicht selbst kümmern? Das sind doch klassische Managementaufgaben. Ich will solche Projekte nicht verdammen, sie bringen den betroffenen Menschen sicherlich etwas, aber es bleiben viele Fragen offen.

Einzelhandelsvertreter würden jetzt sagen, dass der Wettbewerb sie zwingt, T-Shirts möglichst billig zu verkaufen – und das mache es ihnen schwer, sich sozial zu engagieren.

Barbara Unmüßig:
Aber dann könnten sich doch die Firmen branchenspezifisch untereinander verständigen, dass sie fairen Wettbewerb herstellen, anstatt mit öffentlichen Mitteln ihre Standards anzuheben. So sähe echte Unternehmensverantwortung für soziale und ökologische Belange aus. Die Verbände müssen miteinander sprechen. Sonst schaffen wir doch nur isolierte Inseln des Fortschritts in einem Ozean der Missstände.

Verbandsvertreter würden jetzt sagen, dass sie ihre Mitglieder nicht zu Wohlverhalten zwingen können und dass sie kein Mandat für solche Verhandlungen haben.

Barbara Unmüßig: Und dann komme ich mit meinem Totschlagargument: Ist die deutsche Entwicklungspolitik dazu da, Wettbewerbskonditionen der deutschen Wirtschaft zu optimieren? Ich finde nicht. Wir stehen vor der Frage, was genuin staatliche Aufgaben sind und was der Markt regeln kann. Wenn es Win-win-Situationen gibt, von denen wirklich beide Seiten profitieren, erhebe ich keinen Einwand. Aber wir müssen darauf achten, dass staatliche Mittel dazu dienen, Rahmenbedingungen flächendeckend zu verbessern.

Gibt es solche Win-win-Situationen?

Barbara Unmüßig: Es ist positiv, wenn Bill Gates mit seiner Stiftung in den globalen Fonds für Impfstoffe und Immunisierung investiert. Dann werden acht Millionen Kinder geimpft. Aber wo kommen wir langfristig hin, wenn privatrechtliche Akteure zu zentralen Akteuren der globalen Gesundheitspolitik werden? Die Bill and Melinda Gates Foundation verfügt bald über mehr Investitionskapital als die Weltgesundheitsorganisation WHO. Entsprechend sitzt Gates auch im Aufsichtsrat des Global Fund. Demokratisch legitimiert ist Gates nicht. Ich meine, gewählte Regierungen sollten den Kurs bestimmen und nicht private Philanthropen. Und was ist überhaupt mit deren persönlichen Interessen? Auf Gates’ Website ist nachzulesen, dass er genetisch modifizierte Anbauformen fördert, weil er meint, sie seien für die Nahrungsmittelversorgung der Menschheit nötig. Weltweiter Konsens ist das nicht.

In den USA kümmert sich die Stiftung auch darum, Grundschulen an das Internet anzuschließen. Das hat viel mit Gates’ Konzern Microsoft zu tun.

Barbara Unmüßig: Auch dagegen ist erst einmal nichts einzuwenden, es bleiben jedoch Fragen: Hier ist das Mischverhältnis von Eigeninteressen und öffentlichen Gütern doch problematisch. Wir diskutieren ständig über die Erosion von Staatlichkeit. Vor allem in Dritte-Welt-Länder sind Institutionen fragil, unfähig oder gar nicht existent. Ich glaube nicht, dass multinationale Konzerne einen substanziellen Beitrag dazu leisten, staatliche Leistungsfähigkeit und Verantwortung in solchen Ländern aufzubauen. Im Gegenteil kann die Vermischung von privaten und öffentlichen Anliegen Good Governance geradezu unterhöhlen. Die Grenzen sind arg fließend. In Deutschland haben wir die Bertelsmann-Stiftung. Sie ist unbestritten ein hervorragender Think Tank, macht gute Arbeit, betreibt aber ganz sicherlich Agenda-Setting in eigenem Interesse. Sie ist auch Mehrheitseignerin der Bertelsmann AG. Das als gemeinnützig geltende Engagement mindert ihre Steuerlast. Die Stiftung mischt sich also mit Konzern-Motiven und Geld, das eigentlich am Finanzamt und damit am Staat vorbeigeflossen ist, in öffentliche Angelegenheiten ein.

Nun sagen aber Fachleute für Regierbarkeit , moderne Staaten sollten eher Mittlerrollen übernehmen als alle Aufgaben selbst zu stemmen.

Barbara Unmüßig: Ähnlich argumentiert auch Inge Kaul, die Wissenschaftlerin vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Sie sagt, der PPP-Ansatz sei sinnvoll, aber staatliche Akteure müssten viel stärker die Regeln und Konditionen bestimmen als bislang üblich. Das klingt schön. Aber wir wissen doch, dass korrupte und schwache Staaten genau dazu nicht in der Lage sind. Es gibt unendlich viele Beispiele dafür, dass etwa Vorhaben der Privatsektorbeteiligung an der Wasserversorgung gescheitert sind. Erst einmal geht es, wie die Entwicklungspolitik mittlerweile auch begriffen hat, darum, stabile Institutionen und Behörden aufzubauen, die ihren Aufgaben gerecht werden. Sie müssen für die richtige Wasserqualität sorgen und auch für sozial einigermaßen ausgewogene Tarife. Privatisierung funktioniert allenfalls dort, wo es starke Regulierungsbehörden – also einen handlungsfähigen Staat – gibt.

Befürworter des PPP-Ansatzes betonen empirisch fundiert, dass private Akteure effizienter und sparsamer wirtschaften als Behörden.

Barbara Unmüßig: Selbstverständlich gibt die Empirie Privatsektor-Leuten Recht, die sagen, ich mache etwas lieber selbst, als dass ich es einem Amt anvertraue. Der Multimilliardär Warren Buffett hat versprochen, der Gates-Stiftung 30 Milliarden Dollar zu vermachen. Er begründete dies damit, Gates würde das Geld sinnvoll und effizient für humanitäre Zwecke einsetzen. Es mag ja stimmen, dass privatwirtschaftliche Akteure auf eigene Rechnung manches besser, effizienter, schneller und direkter anpacken können. Dennoch ist es in Demokratien unverzichtbar, dass öffentliche Institutionen Verantwortung für das Gemeinwohl tragen. Wir kommen also um die Aufgabe nicht herum, staatliche Institutionen in Stand zu setzen, gemeinwohlorientierte Aufgaben effizient zu erledigen, in diesem Sinne gibt es auch ein öffentliches Interesse an Entbürokratisierung.

Können Sie sich Regeln vorstellen, die sicherstellen würden, dass PPP tatsächlich dem Gemeinwohl dienen? Wir können nicht öffentlich und detailliert jedes einzelne Projekt untersuchen.

Barbara Unmüßig: Genau deshalb brauchen wir die öffentliche Diskussion über Grenzen und Gefahren von Public Private Partnerships. Wir müssen den Ansatz nicht verteufeln, aber wir müssen uns darüber klar sein, in welchem Fahrwasser der Erosion öffentlicher Aufgaben wir uns bewegen. Das BMZ betont gern, pro Euro öffentlicher Mittel flößen bei PPP-Projekten zwei Euro aus dem Privatsektor. Das mag stimmen, aber den einen Euro kann das BMZ auch nur einmal ausgeben. Wir müssen darauf achten, dass das nicht zu Lasten anderer Aufgaben, die vielleicht wichtiger sind, geht.

Die Fragen stellte Dr. Hans Dembowski, Chefredakteur E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit