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Über die Gefährdung der Menschenrechte durch europäische Firmen in Lateinamerika

Lesedauer: 7 Minuten

3. April 2008
Die Menschenrechte gelten universell. Ihrer universellen Anwendung und Durchsetzung sind jedoch immer noch enge Grenzen gesetzt. Über Verletzungen der Menschenrechte durch transnationale Unternehmen sprach Sven Hilbig mit dem Anwalt Wolfgang Kaleck, Ko-Autor der Studie „Transnationale Unternehmen vor Gericht”.

Sven Hilbig:
Sehr geehrter Herr Kaleck, wie ist die Idee zur Erstellung der Studie "Transnationale Unternehmen vor Gericht" entstanden?

Wolfgang Kaleck: Das 2007 gegründete European Center for Constitutional and Human Rights e.V. (ECCHR) versucht, universelle Menschenrechte mit juristischen Mitteln durchzusetzen. Einer unserer Arbeitsschwerpunkte ist der Frage gewidmet, inwieweit transnationale Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden können. Unmittelbarer Anlass für die Fallstudie, die sich speziell auf europäische Unternehmen in Lateinamerika konzentriert, ist das 5. Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU, Lateinamerikas und der Karibik im Mai 2008 in Lima. Auf diesem Gipfeltreffen werden - entsprechend dem neuen Außenwirtschaftskonzept der EU - Verhandlungen mit der Andengemeinschaft und dem MERCOSUR über bilaterale Abkommen zur Absicherung europäischer Investitionen in dieser Region geführt. Die Studie soll zeigen, dass – vorsichtig ausgedrückt - das Engagement europäischer Unternehmen nicht von allen Teilen der lateinamerikanischen Zivilgesellschaft uneingeschränkt begrüßt wird, sondern es vielmehr Bemühungen gibt, auf rechtlichem Wege gegen unangemessenes, teilweise auch rechtswidriges Verhalten der Unternehmen vorzugehen.

Sven Hilbig: An welches Publikum richtet sich die Studie?

Wolfgang Kaleck: Die Studie soll insbesondere Nichtjuristen einen Überblick über die Möglichkeiten geben, Unternehmen auf nationaler und internationaler Ebene gegen Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung zu ziehen. Wir haben versucht, einen allgemein verständlichen, möglichst umfassenden Überblick über die juristischen Sanktionsmechanismen auf nationaler wie internationaler Ebene gegen Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen zu geben. Bei den vier untersuchten Fällen handelt es sich um aktuelle Konflikte, in denen sich Wirtschaftsunternehmen aus Europa wegen ihrer Tätigkeit in lateinamerikanischen Staaten gerichtlich zu verantworten haben. Wir haben die juristischen Verfahren analysiert, mit denen versucht wird, gegen Unternehmen wegen unwürdiger Arbeitsbedingungen, befürchteter Umweltverschmutzungen oder Übergriffen von privaten Werkschutzleuten vorzugehen. Da keines der untersuchten Verfahren bei Beendigung der Studie abgeschlossen war, haben wir großen Wert darauf gelegt, unsere Quellen kritisch zu betrachten und keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und schnelle Schuldzuweisungen zu treffen. Denn gerade wenn man Unternehmen juristisch zur Verantwortung ziehen will, ist eine sorgfältige Beweisführung unerlässlich, um Erfolg zu haben.

Sven Hilbig: Welche Vorteile bietet ein juristisches Vorgehen gegen Unternehmen im Vergleich zu politischen Kampagnen?

Wolfgang Kaleck: Man kann nicht generell der einen oder anderen Form des Vorgehens gegen durch Unternehmen verursachte Rechtsverletzungen den Vorrang geben. Rechtliche Instrumente bieten eine eigenständige Möglichkeit, die Menschenrechtsverletzungen, an denen transnationale Unternehmen beteiligt sind, aufzuklären und zu sanktionieren. Die Globalisierung universeller menschenrechtlicher Standards und die zunehmende transnationale Organisierung der Menschenrechtsbewegung haben die Erfolgsaussichten juristischer Verfahren deutlich erhöht. Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen oder andere andauernde Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen können nicht allein auf konventionellem justiziellem Wege verhindert werden. Politische, ökonomische und soziale Mechanismen müssen angesichts - oftmals struktureller - Missstände im Vordergrund stehen. Juristische Verfahren können allerdings bei der Entwicklung solcher Lösungen helfen, vor allem dann, wenn die nationalen Rechtsordnungen weiterentwickelt und die bereits bestehenden Initiativen der Vereinten Nationen gefördert werden; hin zu einer internationalen Konvention, die im Sinne eines Minimalstandards Staaten verbindlich dazu anhält, das Verhalten der transnationalen Unternehmen auf ihrem Staatsgebiet in einer die Menschenrechte schützenden Form zu kontrollieren.

Sven Hilbig: Was sind die Haupthindernisse bei der juristischen Ahndung von Menschenrechtsverletzungen, die von Unternehmen begangen wurden?

Wolfgang Kaleck: Geltende rechtliche Standards gegen mächtige Akteure wie Unternehmen durchzusetzen, ist immer problematisch. Daher stellt sich von der direkten politischen Intervention, oft korrupten und mangelhaft ausgestatteten Justizapparaten bis zur schwierigen Informationsbeschaffung und Beweisbarkeit von konkreten Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzungen jede Art von Problemen. Auf nationaler Ebene bergen zivilrechtliche Verfahren in Europa häufig ein hohes Kostenrisiko für klagende Opfer, da sie für alle Kosten des Verfahrens, auch für die der gegnerischen Seite im Falle des Unterliegens aufkommen müssen. Weiterhin besteht in den nationalen Strafverfolgungsbehörden teilweise ein nicht besonders ausgeprägtes Verständnis für Menschenrechtsproblematiken, was die Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen gegen Manager von Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen nicht erleichtert. Auf internationaler Ebene stellt sich das grundsätzliche Problem, dass es bisher keine rechtlich verbindlichen Standards für Unternehmen gibt. Am ehesten Erfolg versprechend ist die Haftbarmachung von transnationalen Unternehmen im Bereich des Völkerstrafrechts. Die Erstattung völkerstrafrechtlicher Strafanzeigen gehören daher längst zum Repertoire der Nichtregierungsorganisationen ebenso wie Klagen nach dem US-amerikanischen Alien Torts Claims Act.

Sven Hilbig: Gibt es innerhalb oder außerhalb Europas dem ECCHR vergleichbare Menschenrechtsorganisationen?

Wolfgang Kaleck: Die aus der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung hervorgegangenen Organisationen wie das Center for Constitutional Rights (CCR) und American Civil Liberties Union (ACLU) gebrauchen seit Jahrzehnten in offensiver Weise das Recht und rechtliche Verfahren als Instrument im Kampf gegen Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen und für soziale Gerechtigkeit. Wir arbeiten seit Jahren mit diesen Organisationen zusammen, z.B. in den deutschen Strafverfahren gegen Donald Rumsfeld wegen Folter. Sie haben uns inspiriert, diesen für das alte Westeuropa ungewöhnlichen Ansatz zu importieren und unterstützen uns stark. Neben dieser, aus der Gründungsphase herrührenden Zusammenarbeit mit US-Organisationen wollen wir aber eine eigene europäische bzw. deutsche Agenda entwickeln und uns mit europäischen Problemen und Menschenrechtsverletzungen durch europäische Akteure beschäftigen.

Sven Hilbig: Mit welchen Institutionen kooperiert das ECCHR?

Wolfgang Kaleck: Das ECCHR kooperiert unter anderem mit Amnesty International, Human Rights Watch und dem Center for Constitutional Rights in New York, mit Reprieve aus England, FIDH aus Frankreich und APDEH aus Spanien. Lotte Leicht, EU Direktorin von Human Rights Watch, und Michael Ratner, Präsident des Center for Constitutional Rights, sitzen im Vorstand unserer Organisation. Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, gehört ebenso wie der ehemaligen UN-Sonderberichterstatter Theo van Boven aus den Niederlanden dem Beirat an.

Sven Hilbig: Welche konkreten Fortschritte erwarten Sie von Ihrer Arbeit?

Wolfgang Kaleck: Wir initiieren, entwickeln und unterstützen beispielhafte juristische Verfahren, um staatliche und nicht-staatliche Akteure für die von ihnen begangenen Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zu machen. Auf diesem Wege wollen wir durch ausgewählte Fälle, Präzedenzfälle schaffen, die den Menschenrechtsschutz in Europa und in der Welt voranbringen. Weiterhin wollen wir die Menschenrechtsbewegung dadurch stärken, dass wir uns um eine Vernetzung erfahrener Menschenrechtsanwälte und um die Aus- und Weiterbildung junger Anwälte bemühen. Zudem wollen wir als juristische Experten Menschenrechtsorganisationen und Politiker beraten.

Sven Hilbig: Was müssten die EU und/oder ihre Mitgliedstaaten tun, um die Unternehmen bei den Auslandsaktivitäten stärker an die Einhaltung der Menschenrechte zu binden?

Wolfgang Kaleck: Die EU sollte sich um die Festlegung international gültiger und einklagbarer Standards für unternehmerisches Handeln bemühen. Eine extraterritoriale Anwendung von EU-Recht ist einerseits rechtlich problematisch, da es zu einer Kollision mit dem Souveränitätsgrundsatz kommt, den man nicht so einfach aufgeben kann. Andererseits ist eine globale Lösung notwendig, da es sonst nur zu einer Verschiebung der Probleme kommt. Transnationale Unternehmen können sich immer stärker ihren rechtlichen Hauptsitz aussuchen und sich damit nationalen Gesetzgebungen entziehen.

Sven Hilbig ist Referent EU/ Mercosur im Lateinamerika-Referat der Heinrich-Böll-Stiftung. Kontakt: hilbig@boell.de

Weitere Informationen

Zur Person:

Wolfgang Kaleck ist Fachanwalt für europäisches und internationales Strafrecht, Wehr- und Kriegsdienstverweigerungsrecht sowie Menschenrechte. Er ist ferner Bundesvorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV e.V.) und ehemaliger Generalsekretär der Europäischen Demokratischen Anwälte.

Zur Organisation:

Das Ziel des in Berlin ansässigen European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) ist es, die Menschenrechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN sowie anderen Menschenrechtsdeklarationen und Verfassungen garantiert werden, mit juristischen Mitteln zu schützen und durchzusetzen. Dazu zählen etwa der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte oder die UN-Anti-Folterkonvention. Die Initiatorinnen und Initiatoren des Projekts fühlen sich dabei dem kreativen und effektiven Gebrauch des Rechts als Motor für gesellschaftliche und soziale Veränderungen verpflichtet. Das ECCHR beschränkt seinen Aktionsradius nicht auf die Bundesrepublik Deutschland, sondern agiert europaweit – vor allem mit einem Netzwerk aus Juristinnen und Juristen sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten aus verschiedenen europäischen Staaten. Das ECCHR will europäische Menschenrechtsanwältinnen und Menschenrechtsanwälte zusammenbringen, damit sie ihr Wissen und ihre Erfahrung austauschen und gemeinsam Strategien über die Grenzen hinweg entwickeln können.

Zur Studie:

Die Studie „Transnationale Unternehmen vor Gericht“ (in Deutsch und Spanisch) ist im Rahmen der Schriften zur Demokratie der Heinrich-Böll-Stiftung erschienen.

Vorgestellt wird die Studie im Rahmen der Veranstaltung "Europäische Union und Lateinamerika: Gefährden Rohstoffboom und Freihandelspolitik die Menschen- und Umweltrechte?" am 07. April in der Heinrich-Böll-Stiftung.