Kleine Risse im Lager der religiösen Herrscher

Wie die Iraner mit der Macht der Konservativen umgehen

7. April 2008
Von Stefan Schaaf
Von Stefan Schaaf

Wer die Ereignisse im Iran in den Medien verfolgt, hat stets Mühe, scheinbar widersprüchliche Informationen einzuordnen: Im Lande herrscht ein religiöses Regime, das bei der Bevölkerung höchst unpopulär ist, denn es unterdrückt fast sämtliche Freiheitsrechte und schafft es nicht einmal, die Iraner an den immensen Einkünften aus dem Ölgeschäft teilhaben zu lassen. Außerdem sorgt es durch sein Beharren auf seinem Nuklearprogramm dafür, dass der Iran zum Paria unter den Nationen geworden ist und mit Wirtschaftssanktionen belegt wurde.

Dennoch hält sich dieses Regime seit 1979 an der Macht. Es erlaubt sich sogar, Wahlen zum Parlament zu veranstalten – die es dann mit deutlicher Mehrheit gewinnt, wie gerade vor wenigen Wochen. Hier Aufklärung zu schaffen, hatte sich das Podium des Jour Fixe der Heinrich-Böll-Stiftung und der tageszeitung (taz) am 1. April vorgenommen. Es referierte Angelika Beer, Europaabgeordnete von Bündnis90/Die Grünen und Vorsitzende der Iran-Delegation des Europäischen Parlaments. Sie hat den Iran zuletzt im vergangenen Dezember besucht. Nur von ferne, dafür umso intensiver verfolgt Bahman Nirumand das Geschehen in seiner Heimat. Er gibt den iran-report der Böll-Stiftung heraus. Der dritte Gast war Rudolph Chimelli, der seit vielen Jahren in der Süddeutschen Zeitung für seine Analysen des Geschehens in der arabischen Welt und im Iran bekannt ist.

Nirumand wollte als erstes den Eindruck aus der Welt schaffen, dass die Iraner eine freie Wahlentscheidung treffen konnten, wer sie zukünftig im Parlament vertreten solle. „Hier von einer Wahl zu sprechen ist unsinnig“, sagte er, denn die meisten Reformer und Liberalen wurden vom Wächterrat nicht als Kandidaten zugelassen. „Alle wussten, dass die Konservativen eine absolute Mehrheit erringen werden“. Beer wies daraufhin, dass die Europäische Union sogar auf die Entsendung von Wahlbeobachtern verzichtete, so groß waren die Zweifel an der Legitimität des Votums. Nirumand wertete die äußerst niedrige Wahlbeteiligung – offiziell nur etwa 40 Prozent in Teheran, nach unabhängigen Beobachtern gar nur 30 Prozent – als Indiz, dass die Mehrheit einen Wechsel in der iranischen Politik will.

Die Wahl wurde auch als Gradmesser für die Popularität von Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad gesehen, der sich im kommenden Jahr zur Wiederwahl stellen muss – was nach Ansicht des Podiums eher unwahrscheinlich ist.

Noch sind die Lager im Parlament, dem Madschlis, nicht klar voneinander abzugrenzen. Auch steht noch der zweite Wahlgang am 25. April aus, bei dem weitere 70 Sitze vergeben werden. Gegenwärtig sind im Madschlis Konservative, Reformer und Unabhängige vertreten. Nach Nirumands Ansicht teilen sich die Konservativen selbst noch in zwei Richtungen: die Parteigänger Ahmadinedschads, die „die ganze Drecksarbeit gemacht“ haben – die Massendemonstrationen organisierten, die Opposition zum Schweigen brachten und im achtjährigen Krieg gegen Irak an der Front standen – und andere, die ihre Konten gefüllt hatten und dabei, so der Vorwurf, die Revolution aus dem Blick verloren. Sie achten vor allem auf den wirtschaftlichen Erfolg der von ihnen kontrollierten großen Öl- und Gasunternehmen. Ahmadinedschads radikale Außenpolitik hat diesem Lager geschadet.

Angesichts dieser Widerstände hat Ahmadinedschad deshalb den Staatsapparat militarisiert. Außerdem haben seine Gefolgsleute den Einfluss der Geistlichkeit zurückgedrängt. Ihr Ziel sei letztlich „eine Islamische Republik ohne Geistlichkeit“.

Auch die Reformer seien sich uneins, sagte Nirumand, manche Vertreter dieses Lagers halten ein politisches Vorgehen im Rahmen des Systems für sinnlos und suchen nach anderen Wegen, politisch Einfluss zu nehmen – bislang ohne Ergebnis. Rudolph Chimelli wies auf die große politische Bandbreite der Reformkräfte schon bei Ahmadinedschads Vorgänger Mohamed Khatami hin – „es gab Sozialisten, es gab Planwirtschaftler, es gab Wirtschaftsliberale“, und wenn sie sich einmal einig waren, machte ihnen das Verfassungsgericht einen Strich durch die Rechnung. „Sie haben auf absehbare Zeit keine Chance“. Er fügte hinzu, dass Irans undemokratische Strukturen und der Wahlverlauf in der Region nicht beispiellos seien. Die Einmischung des religiösen Wächterrats werde in ähnlicher Form anderswo eben vom Geheimdienst ausgeübt.

Dennoch rechnet Chimelli nicht mit einer Wiederwahl Ahmadinedschads, der bei der Bevölkerung und in den führenden konservativen Kreisen „so unpopulär“ ist. Er hält den im Streit mit Ahmadinedschad zurückgetretenen Atomunterhändler Ali Laridschani für eine sehr viel aussichtsreichere Figur. Allzu viele Hoffnungen dürfe man sich deshalb aber nicht machen, denn als Laridschani noch oberster Medienzensor war, habe er sich als „lupenreiner Hardliner“ erwiesen.

Wie geht die iranische Bevölkerung damit um, seit fast drei Jahrzehnten von einem diktatorischen Regime beherrscht zu werden? Die Zivilgesellschaft erobert sich mühsam und in kleinen Schritten Freiräume, schilderte Beer, und auch Nirumand sprach davon, dass überall im Iran über Politik diskutiert werde. Nach Chimellis Eindrücken „geht die Gesellschaft an den staatlichen Organisationen vorbei und über sie hinaus“. Beer erlebte im Dezember, dass eine Gruppe von Frauen in ihrem Hotel offen nach den EU-Vertretern fragte, und diesen dann von Angriffen der Polizei auf Studenten zu berichtete. Früher wäre dies nicht denkbar gewesen, und angesichts der Verhärtung des Regimes unter Ahmadinedschad ist solcher Mut umso erstaunlicher. Aber per e-mail und auf anderen Kommunikationswegen wird Öffentlichkeit geschaffen. Deshalb kann von europäischer Seite bisweilen erfolgreich interveniert werden, etwa im Fall drohender Hinrichtungen. Auch gibt es weiterhin Gebiete einer funktionierenden Zusammenarbeit, etwa bei der Drogenbekämpfung, sagte Beer. Sie berichtete, dass iranische Stellen auf Kritik der EU zumindest reagieren, während sich Staaten wie Ägypten ihr strikt verweigern.

Das ist auch auf den starken Druck zurückzuführen, den die EU und die USA im Atomstreit auf Iran ausüben. Alle drei Podiumsteilnehmer hielten die Sanktionspolitik für einen Irrweg, der das Regime gestärkt und die Zivilgesellschaft geschwächt habe. Chimelli nannte die angebliche Gefährdung Israel durch Irans Atomprogramm eine „ideologische Überzeichnung“. Technisch fehlten Teheran weiter und auf lange Zeit die Voraussetzungen zum Bau einer Atombombe, auch stünden bislang keine Trägersysteme zur Verfügung, um Israel anzugreifen. Dies hindere die USA aber nicht daran, ihr Raketenabwehrprogramm in Osteuropa mit der Gefahr zu begründen, die von iranischen Raketen ausgehe. Er glaubte, dass Iran bis an die „Schwelle der Atomwaffenfähigkeit“ gelangen wolle, aber nicht darüber hinaus. Beer sagte, dass Irans Präsident wisse, dass jeder Angriff auf Israel das Ende seines Landes bedeuten würde, so wie umgekehrt eine militärische Aktion der USA gegen Iran fatale Auswirkungen auf eine vom Öl abhängige Weltwirtschaft hätte.

Inzwischen liegen in internationalen Foren etwa ein Dutzend Vorschläge vor, wie eine multilateral betriebene und kontrollierte Urananreicherung bewerkstelligt werden könne, berichtete Beer. Es gibt also noch Raum für Kompromisse und friedliche Regelungen in diesem scheinbar unlösbaren Konflikt.

Jour Fixe