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Erklärung von Michail Chodorkowskij

Lesedauer: 5 Minuten
Michail Chodorkowskij bei seiner Gerichtsverhandlung am 30. Juli 2004. Quelle: fotki.

31. Mai 2005
Von Michail Chodorkowskij
Übersetzung: Jens Siegert

Ungeachtet der nicht existierenden Beweise für meine Schuld und die vielfältigen Zeugenaussagen dafür, dass ich mit keinerlei Verbrechen zu tun habe, hat das Gericht entschieden, mich ins Lager zu schicken.

Ich habe nicht vor, die verehrte Richterin Irina Kolesnikowa scharf zu kritisieren. Ich kann mir vorstellen, welchem Druck von Seiten der Initiatoren des „Falls Chodorkowskij" sie ausgesetzt war, als sie das Urteil vorbereitete. Dutzende von Beamten oder einfach an Gewinn interessierten Mittelsmännern waren bereit, beliebige Geldsummen zum Gericht zu bringen, wenn es mich nur nach Sibirien schickt.

Das Problem besteht letztendlich nicht in Kolesnikowa, sondern darin, dass die Gerichtsbarkeit in Russland abschließend in ein Anhängsel, eine stumpfe Waffe der Exekutive verwandelt wurde. Und nicht einmal eigentlich der Staatsmacht, sondern einiger halbkrimineller ökonomischer Grüppchen. Heute haben Millionen unserer Mitbürger gesehen, dass man vorerst auf nicht hoffen kann, ungeachtet der Erklärungen der obersten Staatsführung, die Rechtsstaatlichkeit sei gestärkt worden. Das sind Scham, Schande und Unglück unseres Staates.

Ich bekenne mich nicht schuldig und halte meine Unschuld für erwiesen. Deshalb werde ich das heute über mich gesprochene Urteil anfechten. Für mich ist es prinzipiell wichtig, Recht und Gerechtigkeit in meiner Heimat durchzusetzen.

Ich weiß, dass das Schicksal des Urteils in meiner Strafsache im Kreml entschieden wurde. Die einen Vertreter der Präsidentenumgebung haben darauf bestanden, dass nur ein Freispruch der Staatsmacht das Vertrauen der Gesellschaft zurückbringt, die anderen, dass man mich für lange „einbuchten" muss, um mir den Willen zum Leben, zur Freiheit und zum Kampf zu nehmen.

Ich möchte ersteren „Danke“ sagen und letzteren, dass sie nicht gewonnen haben.

Ihnen ist es nicht gegeben zu verstehen, dass Freiheit ein innerer Zustand des Menschen ist. Gerade die, die mir nicht wohl wollen, die nachts von einem nach Rache dürstenden Chodorkowskij träumen, sind dazu verurteilt, den Rest ihres Lebens um die geraubten JuKOS-Aktiva zu zittern. Es sind sie, die zutiefst unfrei sind und die niemals mehr frei sein werden. Ihre jämmerliche Existenz ist das wahre Gefängnis.

Ich dagegen habe jedes Recht alles, was ich denke, zu sagen und so zu handeln, wie ich das für nötig halte, ohne meine Pläne mit irgendwelchen Kuratoren abstimmen zu müssen. Und deshalb ist mein Lebensraum von nun an ein Territorium der Freiheit. Und Gefangene sind jene, die Sklaven des Systems bleiben, die sich erniedrigen müssen, lügen und sich verstellen, um ihre Einkünfte und ihre zweifelhaften Positionen in dieser unanständigen Gesellschaft zu sichern.

Ich werde mich mit gesellschaftlicher Arbeit beschäftigen und habe vor, eine Reihe von gemeinnützigen Organisationen zu gründen, darunter eine Stiftung zur Unterstützung der russischen Poesie, der russischen Philosophie und ebenso eine Union zur Hilfe für russische Gefangene. Ich werde mich weiter aktiv an den Programmen von „Offenes Russland" beteiligen. In nächster Zeit werde ich eine „Fernpressekonferenz" durchführen, auf der ich über meine ersten Schritte erzähle. Das wird die erste postsowjetische Erfahrung mit einer Pressekonferenz aus dem Gefängnis. Ich selbst habe länger keine bedeutenden Geldmittel mehr, aber es gibt viele Leute, die wünschen, Geld für Programme unter meinem Namen zu geben.

Ich möchte allen vielen Dank sagen, die sich heute hier im Gebäude des Gerichts zusammengefunden haben, allen, die mich in den vergangenen eineinhalb Jahren unterstützt haben. Ihr seid mutige und ehrliche Menschen. Ich erkläre verantwortlich, dass Sie immer auf mich zählen können. Auch wenn ich nicht mehr viel Geld habe, so sind wir gemeinsam doch zu vielem fähig.

Ich möchte den zehntausenden, einfachen Bewohnern Russlands besonders Dank sagen, die mich aus ganz verschiedenen Regionen des Landes mit ihren Briefen unterstützt haben. Während ich im Gefängnis war, habe ich mich noch einmal davon überzeugen können, dass das russische Volk nicht irgendein Arbeitsvieh ist, wie das einige der Staatsmacht nahestehende Ideologen behaupten, sondern ein Volk der Gerechtigkeit und der Hochherzigkeit.

Ich werde gemeinsam mit denjenigen arbeiten, die offen über das Land, über das Volk, über unsere gemeinsame Gegenwart und Zukunft sprechen wollen und können. Ich werde für die Freiheit kämpfen, für meine eigene, für die von Platon Lebedew, für die meiner Freunde und für die von ganz Russland. Und besonders für die Freiheit der nächsten Generationen, der unser Land in nur wenigen Jahren gehören wird. Für sie muss mein Schicksal Lehre und Beispiel werden.

Danke meiner Familie. Sie war und bleibt mein Rückhalt jetzt und immer. Mag sein nach vielen Jahren erst, aber ich werde unter dem Stacheldraht durchgehen und nach Hause zurückkehren. Ich bin davon überzeugt wie ich von nichts anderem bisher überzeugt war.

Auch wenn nun Jahre im Gefängnis auf mich warten, spüre ich doch eine enorme Erleichterung. In meinem Schicksal gibt es nun nichts Überflüssiges mehr, nichts Zufälliges, keine fetten Flecken. Die Zukunft scheint mir hell und die Luft im morgigen Russland sauber.

Ich habe meinen Platz in der Oligarchenrunde verloren. Aber ich habe eine große Menge treuer und ergebener Freunde gewonnen. Ich habe das Gefühl für mein Land zurückgewonnen. Ich bin nun mit meinem Volk, wir werden zusammen aushalten und gewinnen.

Verzagt nicht. Die Wahrheit gewinnt immer – früher oder später.

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