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Erklärung der Permer Zivilgesellschaftskammer und des Regionalen Menschenrechtszentrums

Lesedauer: 3 Minuten

6. Juni 2004
Am 1. Juni 2004 haben die Mitarbeiter der Permer Zivilgesellschaftskammer und des Regionalen Menschenrechtszentrums Perm auf einer Versammlung die Frage besprochen, ob sie sich der Aktion der Narodnaja Assambleja „Für eine zivilgesellschaftliche Kontrolle im Fall Chodorkowskij" anschließen sollen.

Die Mitarbeiter beider Organisationen haben einstimmig beschlossen, sich nicht im Namen der beiden Organisationen dieser Aktion zur Unterstützung von Chodorkowskij anzuschließen. Dabei erkennen sie selbstverständlich das Recht jedes Einzelnen an, die Aktion individuell zu unterstützen.

Igor Awerkijew, Vorsitzender der Permer Zivilgesellschaftskammer, erklärt dazu:

„Gerade für Menschenrechtsorganisationen ist es unangemessen, den ‚Fall Chodorkowskij‘ zu ihrer wichtigsten Sache zu machen, eine persönliche Erklärung zu seiner Unterstützung aber ist unsere vorrangigste Bürgerpflicht. Den Organisatoren dieser Kampagne fehlt ein ganz kleines bisschen an zivilgesellschaftlichem Gespür.

Viele Mitarbeiter der Zivilgesellschaftskammer und des Menschenrechtszentrums fühlen mit Michail Chodorkowskij und alle verstehen, dass der Fall politisch motiviert ist: In der Epoche des wilden Kapitalismus ist es lächerlich, den wildesten aller Kapitalisten zu suchen und dann auch noch in der Person Chodorkowskijs. Aber „Fall Nummer 1" sollte Chodorkowskij nicht für uns, sondern für seine Kollegen werden: für die mächtigen Unternehmervereinigungen und für Hunderte von Kultureinrichtungen und Bildungseinrichtungen, für Tausende Studenten, Dozenten, Wissenschaftler, Kulturschaffende und Journalisten, denen er half, ihre Sache gut zu machen. Aber wo sind sie? Wo sind die korporative Solidarität der einen und die menschliche Dankbarkeit der anderen? Haben die Erstgenannten Angst? Und fahren die Zweiten fort alle Reichen zu hassen, nachdem sie die Hilfe angenommen haben? Nur wenige von den vielen Tausend Menschen und Organisationen, denen die Stiftung Chodorkowskijs geholfen hat, haben sich öffentlich dem Protest angeschlossen.

Ob wir das wollen oder nicht, aber einer so starke menschenrechtliche Aktivität in Richtung Chodorkowskij erhöht uns dem Land gegenüber und, das ist die Hauptsache, demütigt und erniedrigt Tausende weitere Opfer staatlicher Willkür, die niemand anderes kennt als wir. Und dabei wissen wir, dass ihre Lage um ein Vieles schlechter und hoffnungsloser ist als die Chodorkowskijs.

Natürlich müssen sich Menschenrechtler des „Falls Chodorkowskij" annehmen, jene nicht zahlreichen Moskauer Organisationen, denen das ihrer Ausrichtung nach und von ihrer Erfahrung her nahe steht. Aber deshalb muss diese normale Menschenrechtsarbeit nicht in einen menschenrechtlichen Kreuzzug verwandelt werden.

Wir standen nur vor der Frage, zu unterschreiben, sich anzuschließen. Auf der einen Seite wäre das eine Kleinigkeit, aber auf der anderen Seite steht alles oben gesagte… Und deshalb haben wir uns entschlossen, den Aufruf der Narodnaja Assambleja nicht zu unterzeichnen.

Pressedienst der Permer Zivilgesellschaftskammer und des Regionalen Menschenrechtszentrums Perm“

Übersetzung von Jens Siegert

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