Von Jens Siegert
Am 23. November hat die russische Staatsduma in erster Lesung Änderungen des Gesetzes über „Gesellschaftliche Organisationen“ mit großer Mehrheit bei nur 18 Gegenstimmen beschlossen. Die Änderungen werden die Arbeit und Existenz vieler russischer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erheblich erschweren, sollten sie tatsächlich, wie von den Initiatoren geplant, zum 1. Januar 2006 in Kraft treten. Zugleich, und das könnte durchaus das Hauptziel dieser Gesetzesänderungen sein, würde damit die Arbeit ausländischer Stiftungen und Geberorganisationen, darunter auch der deutschen politischen Stiftungen, erheblich erschwert.
Der Gesetzesentwurf wurde von Abgeordneten aus allen fünf Dumafraktionen (Einiges Russland, LDPR, KPRF, Rodina-Rogosin, Rodina-Baburin) in das Parlament eingebracht. Der Geheimhaltungsgrad, die Eile im Gesetzgebungsprozess und andere Begleitumstände, auf die ich weiter unten eingehen werde, weisen aber auf eine nicht unmaßgebliche Mitwirkung des Kreml und des Inlandsgeheimdienstes FSB hin. Das ganze Vorgehen erinnert an eine „Spezoperazija“, eine Geheimdienstaktion.
Die Vorgeschichte
Die orange Revolution in der Ukraine vor einem Jahr hatte in der russischen Staatsführung einen regelrechten Schock ausgelöst. Bereits im Mai, direkt nach den Ereignissen in Kirgisien, erklärte FSB-Chef Nikolaj Patruschew vor der Staatsduma, terroristische und andere Organisationen bereiteten in der gesamten GUS, also auch in Russland mit ausländischer Unterstützung Umstürze wie in Georgien, der Ukraine und Kirgisien vor. Er kündigte einen Gesetzentwurf an, um die Tätigkeit russischer NGOs und ausländischer Geberorganisationen in Russland besser kontrollieren zu können.
Alexander Ausan (Institut Nationales Projekt „Gesellschaftsvertrag“) und Swjatoslaw Sabelin (Sozial-Ökologische Union), Mitglieder des präsidialen „Rats zur Mitwirkung an der Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte“ (Vorsitzende: Ella Pamfilowa) wandten sich daraufhin schriftlich mit der Bitte um Auskunft an das Justizministerium, ob die Regierung an einem entsprechenden Gesetzesentwurf arbeite. Die offizielle Antwort war verneinend.
Präsident Wladimir Putin sprach sich vor und nach dem Auftritt Patruschews wiederholt kategorisch gegen die „Finanzierung politischer Tätigkeit“ in Russland aus dem Ausland aus, letztmals öffentlich am 24. Juli bei einem Treffen mit Mitgliedern des Pamfilow-Rats. Präsidentenberater bemühten sich nach dem Treffen zu versichern, dass Putin nicht die russischen NGOs gemeint habe, sondern Versuche, politische Parteien und Wahlen zu beeinflussen.
Mitte Oktober wurde russischen NGOs aus der Regierung ein Gesetzentwurf mit der neutralen Bezeichnung „Über das Einbringen von Änderungen in einige Gesetze der Russischen Föderation“ zugespielt. Schnell wurde klar, dass die geplanten Gesetzesänderungen die Arbeit russischer NGOs weiter erheblich erschweren, vor allem aber die Möglichkeiten ausländischer Organisationen in Russland zu arbeiten einschränken oder gar unmöglich machen würden. Bis heute hängt ein großer Teil der NGO-Arbeit von ausländischer Finanzierung ab.
Der Gesetzentwurf
Welche konkreten Veränderungen wird das Gesetz bringen, sollte es angenommen werden? Für russische NGOs wohl zusätzliche Arbeit und erweiterte staatliche Kontrollmöglichkeiten, aber trotz allem nichts grundsätzlich Neues. Der größte Teil der durch das Gesetz erweiterten Befugnisse der Registrierungsbehörden, unbotmäßige NGOs zu schließen oder gar nicht erst zuzulassen, findet sich in ähnlicher Form bereits heute in einer Reihe anderer Gesetze, wie dem Steuerkodex oder dem Gesetz zum Kampf gegen den Terrorismus. Neu ist die eindeutig diskriminierende Aufteilung in NGOs, die unter Beteiligung staatlicher Stellen gegründet wurden, und andere, auf Privatinitiative entstandene. Die meisten der vorgesehenen Einschränkungen gelten nur für letztere. Zudem enthält der Gesetzentwurf eine Bestimmung, die offenbar konkret auf die von Michail Chodorkowskij gegründete Stiftung „Offenes Russland“ zielt. Künftig sollen NGOs geschlossen werden können, wenn deren Gründer wegen Geldwäsche und einer Reihe anderer Wirtschaftsvergehen rechtskräftig verurteilt wurden. Dies trifft auf den heute in Israel lebenden ehemaligen Chodorkowskij-Partner und „Offenes Russland“-Mitgründer Leonid Newslin zu.
Bisher nicht als juristische Personen registrierte „Gesellschaftliche Organisationen“ sollen künftig verpflichtet werden, die Behörden über ihre Existenz und Ziele in Kenntnis zu setzen. Vorerst bleibt aber völlig unklar, was den rechtlichen Charakter einer derartigen Organisation ausmacht und wer im Zweifelsfall und bei Nichtbeachtung der gesetzlichen Bestimmungen rechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann.
Hauptadressat der Gesetzesänderungen scheinen aber in Russland mit Filialen oder Büros vertretene ausländische „Gesellschaftliche Organisationen“ zu sein. Die bisher am weitesten unter den Vertretungen von Stiftungen, humanitären Organisationen, aber auch von Wirtschaftsunternehmen, verbreitete Form der Registrierung als „Vertretung einer ausländischen juristischen Person“ ohne Bildung einer eigenen juristischen Person in Russland soll verboten werden. Welcher Maßstab allerdings angelegt werden soll, um zu definieren, wer eine „Gesellschaftliche Organisation“ darstellt und wer nicht, wird wohl erst die Anwendungspraxis durch die russischen Behörden zeigen.
Die politischen Stiftungen in Deutschland sind als eingetragene Vereine organisiert, mit entsprechenden Mitgliedsversammlungen als obersten Entscheidungsgremien, also wohl klassische „Gesellschaftliche Organisationen“ auch nach russischem Recht. Im Gegensatz hierzu kennen viele amerikanische Stiftungen, wie zum Beispiel die Ford Foundation, keine Mitgliedschaft.
Noch zusätzlich erschwert wird die Arbeit ausländischer Organisationen in Russland durch die Forderung, sich künftig als „Gesellschaftliche Organisation“ nach russischem Recht registrieren zu lassen. Gleichzeitig wird Ausländern ohne einen mehr als einjährigen Aufenthaltstitel aber die Gründung russischer „Gesellschaftlicher Organisationen“, die Mitgliedschaft oder das Engagement in ihnen verboten. Bleibt also die Frage, wer diese Organisationen gründen und sie leiten soll. Offensichtlich keine Nichtresidenten, wie bisher übliche internationale Praxis.
Proteste
Sofort nachdem der Gesetzentwurf in die Duma eingebracht wurde, protestierten VertreterInnen führender russischer NGOs Mitte November mit einer Erklärung, die bis zum Tag der ersten Lesung etwa 1.500 Menschen im Internet unterzeichnet hatten, gegen die Einschränkung ihrer Rechte. Ella Pamfilowa, Vorsitzende des präsidialen „Rats zur Mitwirkung an der Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte“, erklärte, dass Gesetz werde das gesellschaftliche Leben in Russland und einen großen Teil der NGOs ersticken. Der Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin forderte die Duma in einer Stellungnahme dazu auf, dem Gesetz nicht zuzustimmen, weil es schädlich für die Entwicklung der Zivilgesellschaft sei.
Ende voriger Woche veröffentlichten zudem 21 bereits benannte Mitglieder der auf Kremlinitiative gebildeten Gesellschaftskammer einen Aufruf, in dem sie die Duma aufforderten die Beratung über das Gesetz bis mindestens Februar nächsten Jahres zu verschieben. Das im Sommer in Kraft getretene Gesetz über die Gesellschaftskammer spricht dieser ein Mitspracherecht bei allen die Zivilgesellschaft betreffenden Gesetzesvorhaben zu. Die Kammermitglieder rügten, dass die Duma ein die Zivilgesellschaft direkt betreffendes Gesetz behandele, kurz bevor die Kammer Ende des Jahres handlungsfähig werde. In der Regierung haben sich Finanz- und Justizministerium für, das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung aber gegen das Gesetz ausgesprochen.
Die EU-Länder halten sich bisher zurück und wollen ihre Bedenken bei bilateralen Treffen ansprechen. Die amerikanische Regierung ist direkter und deutlicher. Präsident Bush hat seine Besorgnis bereits in einem Gespräch mit Putin direkt geäußert und der amerikanische Botschafter in Moskau besucht russische NGOs zu Konsultationen.
Duma in Eile
Die Dumamehrheit zeigte sich unbeeindruckt. Der zuständige Ausschuss für Gesellschaftliche Organisationen lehnte eine Verschiebung der Abstimmung mit dem Hinweis ab, der Protest sei lediglich eine „gut von westlichen Stiftungen bezahlte PR-Kampagne“. Parlamentspräsident Gryslow sah sich zur Verschiebung außerstande, weil es sich um eine „von Abgeordneten aus allen Fraktionen unterstützte Initiative“ handele. Die zweite und dritte Lesung sollen bereits am 9. Dezember stattfinden.