In Katar stehen zwei russische Staatsbürger vor Gericht. Die beiden Geheimdienstmitarbeiter werden beschuldigt, am 13. Februar den früheren tschetschenischen Präsidenten Selimchan Jandarbijew in seinem Katarer Exil durch eine Bombenexplosion ermordet zu haben. Jandarbijew habe in Katar Geld für die tschetschenischen Rebellen besorgt, klagte die russische Staatsführung schon seit langem. Nun möchte sie die beiden Geheimdienstler ohne Verurteilung nach Hause holen.
Die Anstrengungen russischer Diplomaten und Geheimdienste in den vergangenen Wochen haben anscheinend nichts bewirkt. Oder sie haben an der falschen Stelle angesetzt. Anfangs hatte alles noch nach einem genialen Schachzug ausgesehen. Am 28. Februar waren in Moskau zwei Staatsangehörige Katars festgenommen worden. Russische Sicherheitsdienste warfen ihnen „Verbindungen zum internationalen Terrorismus und zu illegalen bewaffneten Einheiten" vor. Schon bald danach wurden Gespräche über ihren möglichen Austausch gegen die in Doha/Katar einsitzenden Russen aufgenommen.
Dann wurde jedoch bekannt, dass es sich bei den auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo Festgenommenen um zwei Mitglieder der olympischen Ringermannschaft von Katar handelte, die sich auf der Durchreise von Belarus nach Serbien befanden. Zudem seien ihnen nicht irgendwelche „Tätigkeiten" oder „Verbindungen" vorgeworfen worden, sondern undeklariertes Geld - ein paar Hundert oder Tausend Dollar. Nicht die Welt, aber für einen Austausch möglicherweise ausreichend.
Für weitere Spannung sorgte dann das Tennisturnier, das am 1. März in Doha begann und bei dem fünf russische Tennisspielerinnen gemeldet waren. Beobachter und auch der Diplomat Jewgenij Korendjasow hielten eine Verhaftung dieser Tennisspielerinnen für „durchaus wahrscheinlich".
Doch dann brach die ganze Konstruktion wie ein Kartenhaus zusammen. Nicht so sehr, weil es doch ziemlich schwierig ist, beim Umsteigen auf dem Flughafen Verbindungen zu illegalen Einheiten aufzubauen (Diese werden ja wohl kaum zwischen den beiden Terminals in Scheremetjewo kampieren), sondern viel mehr, weil die Sportler aus Katar einfach nicht so Recht ins Bild passen wollten... Denn einer der beiden, der tatsächlich für Katar im griechisch-römischen Stil gerungen hatte, war der Aserbeidschaner Ibad Achmedow, während es sich bei dem anderen um den Belorussen Alexander Dubrowski handelte, der seit zehn Jahren die Mannschaft Katars trainiert. Beide haben zwar ihren Wohnsitz in Katar, seien jedoch, so der Pressesprecher des belorussischen Außenministeriums, Andrej Sawinych, belorussische Staatsangehörige. Der ganze Versuch zivile Geiseln zu nehmen, um diese dann auszutauschen, schien also gescheitert zu sein.
Am Abend des 3. März jedoch meldete die Katarer Nachrichtenagentur KNA unter Berufung auf das Außenministerium des Landes, dass „in Moskau zwei Staatsangehörige von Katar, die Mitglieder des Ringerverbandes Nasser Ibrahim Saad und Ibrahim Achmed Nasser Achmed, auf einem Flughafen in Moskau festgenommen wurden.". Das russische Außenministerium hat es bislang versäumt, die Gründe für die Festnehme mitzuteilen und es dem Konsul von Katar nicht erlaubt, die Festgenommenen zu besuchen.
Die Zeitung „Kommersant" berichtet hingegen, dass im offiziellen Verzeichnis der von der Flughafenpolizei Scheremetjewo Festgenommenen nur ein Katarer aufgeführt wird, Nasser Ibrahim Midachi. Und nach Angaben des inzwischen freigelassenen Trainers Dubrowski befindet sich Ibad Achmedow immer noch im Gewahrsam der russischen Ordnungshüter. Der belorussische Konsul in Moskau seinerseits hat hinsichtlich der belorussischen Staatsangehörigkeit Achmedows seine Zweifel geäußert.
Das Verwirrspiel um die festgenommenen Katarer hält sich ungefähr auf dem gleichen Niveau, wie das Rätselraten über die Zahl der in Katar festgenommenen Russen und deren derzeitigen Aufenthaltsort. Mal waren es drei, dann wiederum noch zwei weitere, die bereits zu Beginn der Affäre in den Vereinigten Arabischen Emiraten festgenommen worden seien und deren Festnahme erst mit einer Woche Verspätung bekannt gegeben wurde. Und bei all dem versicherte der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow, dass Russland gegenüber Katar alle zur Verfügung stehenden Druckmittel einsetzen wolle.
***
Es sieht ganz danach aus, als seien die Spielregeln dieser nicht besonders olympischen Sportart von Anfang an nicht eingehalten worden. Mehr als einmal waren russische Diplomaten, die wegen „einer mit ihrem Status unvereinbarer Tätigkeit" ja nicht verhaftet werden können, zum Verlassen des Landes aufgefordert worden. Als Antwort wiederum erklärten wir jeweils Diplomaten der anderen Seite zu personae non grata. Auge um Auge! Manchmal zu Dutzenden. Des öfteren haben wir „unsere Mitarbeiter der Nachrichtendienste" - verhaftete und verurteilte Gesetzesbrecher - gegen „deren Spione" ausgetauscht. Die „Zivilbevölkerung" war von diesen unsichtbaren Kriegen nicht betroffen. Die „Ritter in Mantel und Schlapphut" hatten ihren eigen Kodex, keinen Ehrenkodex, sondern eher Verhaltensregeln. Um die Schwelle zu einem vollwertigen Krieg nicht zu überschreiten, gab es immerhin einige Tabus – zum Beispiel Terror oder Geiselnahmen.
Bekanntermaßen gibt es Regeln, damit sie gebrochen werden. Die Sowjetunion betrieb Auslandsterror nur bis zum Jahre 1959, wie die offizelle Version lautet. Gleichwohl wurden auch später ausländische Freunde, Bulgaren etwa, gern beraten - der „Regenschirm-Coup" war ein richtiger Erfolg. Und wie steht es mit der Ausbildung von „Freiheitskämpfern" (oder waren es vielleicht doch Terroristen?) für die gesamte „Dritte Welt"? Ein Ausbildungszentrum des Nachrichtendienstes GRU in Perewalnoje auf der Krim hatte einst innerhalb eines Jahres ein halbes Dutzend solcher „Revolutionen" vermeldet ...
Und wo sollen wir jene „glänzende" Operation einordnen, auf die die russischen „Antiterror-Einheiten" immer noch so stolz sind? Als ein ausländisches Staatsoberhaupt zunächst vergiftet werden sollte und – als dies misslungen war – nach der Stürmung seines Palastes eingekerkert wurde, war das internationaler Terrorismus. Glasklar. Zweihundertprozentig. In Kabul, im Dezember 1979... Auch vor Geiselnahmen schreckte man nicht zurück. Diese Praxis wurde in bestimmten Situationen „am Rande eines Krieges" verfolgt. In den achtziger Jahren zum Beispiel, als „unsere Diplomaten" in Beirut befreit wurden, indem „deren Kämpfer" als Geisel genommen und „in Raten" freigelassen wurden. Szenen oder Geschichten dieser Art, die sich ja in Filmen über James Bond oder verschiedene Spezialkommandos großer Beliebtheit erfreuen, sind allerdings eher ein Beleg für fehlende Professionalität. Agenten arbeiten schließlich unbemerkt und sind alles andere als fotogen ...
In den Jahren des kalten Krieges konnte auch in Moskau einiges passieren. So wurde Mitte der Achtziger Jahre „deren" Journalist Nick Daniloff verhaftet, um „unseren" Sacharow gesund und unversehrt gegen ihn austauschen zu können. Vor diesem Hintergrund erscheint der Austausch unserer „schlafenden" Agenten gegen - ebenfalls unsere - politischen Gefangen beinahe wie ein Akt der Menschlichkeit ... Die Sondereinsatzgruppe „Alpha" hatte übrigens ihren ersten Einsatz - noch war es kein Kampfeinsatz - bei solch einem Gefangenenaustausch, als Bukowski gegen Corvalan eingetauscht wurde.
In den letzten Jahren sind unsere Geheimdienste allerdings von ihrer alten Gegnerschaft und ihren alten Methoden etwas abgerückt. Denn jetzt wird bei uns und bei „denen" immer mehr gegen Terrorismus gekämpft ...
***
In anderen Ländern war ebenfalls einiges los. Schließlich ist die CIA auch kein Häkelkränzchen. Nach den aufsehenerregenden Enthüllungen der siebziger Jahre wurde in den USA die Tätigkeit der Geheimdienste angeblich stark begrenzt. Doch auch in den folgenden Jahren wurden nicht wenige „Vorfälle" bekannt, so unter Präsident Carter die missglückte Geiselbefreiung in Teheran und die Iran-Contras-Affäre unter Präsident Reagan.
Dabei muss man gar nicht so weit in die Vergangenheit zurückgehen. In den Neunziger Jahren rächten sich für die USA deren geheime Aktivitäten im Afghanistan der Achtziger Jahre. Der ursprünglich von den Amerikanern gesponsorte Osama bin Laden stellte sich nämlich keineswegs als Marionette heraus, sondern vielmehr als ziemlich eigenständiger Akteur. Zu nennen wäre hier auch das Versagen, den Anschlag vom 11. September zu verhindern, die Unfähigkeit, aus dem Strom der nachrichtendienstlichen und anderen Informationen die entsprechenden Puzzleteile aufzuspüren und richtig zusammen zu setzen.
Im Irak gelang es hingegen, aus bruchstückhaften Informationen die Berichte derart talentiert zu „redigieren", dass die Chefs Bush und Blair die gewünschten „Hinweise" auf irakische Massenvernichtungswaffen vorlegen konnten. Und zu guter letzt wäre da noch der jüngst bekannt gewordene britische Lauschangriff auf Kofi Annan zu erwähnen. Wer ist nun „Klassenprimus" und wer der „Sitzenbleiber"? Auf die Frage: „Welche Abweichler sind schlimmer?" antwortete Genosse Stalin einst: „Beide sind schlimmer!"
Wir stellen fest, dass in den letzten zwei der oben erwähnten Fälle Recht und Wahrheit das unmittelbare Opfer waren, und nicht Menschen. Bei uns in Russland kam es im Übrigen zu ganz ähnliche Pannen. Osama Bin Laden können wir den tschetschenischen Rebellenkommandeur Schamil Bassajew entgegenstellen, den wir für den Krieg gegen georgische Truppen in Abchasien ausgebildet haben, nicht ahnend, dass er nicht nur fähig, sondern auch sehr eigenständig und unternehmungslustig sein würde. Unser „11. September" hat sich bereits zwei Jahre früher, im Jahre 1999 ereignet, als mehrer Bombenanschläge auf Wohnhäuser in Moskau und Wolgodonsk mehr als 300 Todesopfer forderten. Doch haben wir es noch immer nicht gelernt, Terroranschläge zu verhindern. Bereits zwei Wochen vor dem Anschlag in der Moskauer U-Bahn Anfang Februar diesen Jahres verfügte das Innenministerium nach Angaben der „Moscow News" über entsprechende Hinweise – und was hat es genützt?
Was das Überwachen, Abhören und Beschatten betrifft, so kann man in Russland damit niemanden mehr beeindrucken. Manipulieren von Informationen – vom Verschweigen bis hin zur offenen Lüge – das ist eine Sache. Terror oder Geiselnahmen sind etwas ganz anderes, selbst, wenn es sich gegen Terroristen richten sollten.
***
Freitag, der 13. Februar, war nicht der glücklichste Tag für die russischen Geheimdienste: Nach weniger als einer Woche wurden drei russische Staatsangehörige in Katar wegen des Verdachts der Beteiligung verhaftet, Jandarbijew in die Luft gejagt zu haben. Der geschäftsführende Außenminister Russlands, Igor Iwanow, der sich angeblich für die Verhafteten einsetzen wollte, leistete ihnen möglicherweise einen Bärendienst mit seiner Aussage: „Die betreffenden russischen Staatsangehörigen sind Mitarbeiter der russischen Geheimdienste".
Vertreter der Geheimdienste wurden im Weiteren in ihren Bemerkungen sogar noch deutlicher. Ihren Aussagen zufolge seien Hinrichtungen dieser Art ganz normal und würden beinahe weltweit praktiziert. Nach dem Motto: „Alle Männer tun es ..." Wir sollten wohl aber doch aufgeklärt werden, wer wo was tut, und was es mit diesem „es" auf sich haben könnte.
Witalij Kalojew, der von der Schweizer Staatsanwaltschaft verdächtigt wird, am 17. Februar in Zürich den Skyguide-Fluglotsen Peter Nielsen getötet zu haben, wurde verhaftet und in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen. Nielsen war beschuldigt worden, die Flugzeugkatastrophe am 2. Juli 2002 über dem Bodensee verursacht zu haben, bei der 71 Menschen starben, darunter auch die Familie Kalojews. Verurteilt wurde Nielssen jedoch nicht.
Aus russischer Sicht geht es bei diesem Fall um rechtlichen Beistand und keineswegs um die Befreiung eines eventuellen „Rächers". Es ist keinerlei Rede davon, dass der Getötete sein Schicksal irgendwo verdient habe oder dass solche Taten bei Bergbewohnern allgemein üblich seien. Gibt es einen Unterschied zum Fall Jandarbijew? Zweifellos.
Erstens: Wenn Kalojew der Schuldige ist, dann hat er allein, aus eigenem Antrieb gehandelt. Doch wenn die in Katar inhaftierten schuldig sein sollten, wäre das etwas ganz anderes, da der Mord im Namen des Staates verübt worden wäre.
Zweitens: In der Schweiz wurde derjenige Fluglotse ermordet, der den Flug der beiden Unglücksmaschinen dirigiert hatte, und nicht sein Kollege oder Vorgesetzter. Der ermordete Selimchan Jandarbijew war unbestritten ein Ideologe der tschetschenischen Radikalen und soll sogar mit dem Anführer der Geiselnehmer des Musicals „Nord-Ost", Mowsar Barajew, telefoniert haben. Doch aus den bislang veröffentlichten Mitschriften dieser Gespräche geht nicht hervor, dass Jandarbijew irgendetwas angeordnet hat. Für die Ermittlungen zur Moskauer Geiselnahme wäre Jandarbijew als Zeuge sehr nützlich gewesen, doch ist er jetzt den Leuten Barajews in den Tod gefolgt.
Drittens: Zusammen mit Jandarbijew wurden zwei Wachmänner getötet und sein Sohn verletzt. Das bedeutet, diese Operation wurde auf eine Weise durchgeführt, die „das Leben vieler Menschen gefährdete". Stellen wir uns einfach mal die Reaktion der russischen Behörden vor, falls – rein hypothetisch! – türkische Agenten den Kurdenführer Abdullah Öcalan in dem Moskauer Vorort Odinzowo, wo der sich lange aufgehalten hatte, durch eine Bombe umgebracht hätten, und dabei – wiederum hypothetisch - mehrere Unbeteiligte getötet worden wären! Ich fürchte, dass unsere Geheimdienste nicht an „den weltweiten Kampf gegen den Terrorismus" denken würden, sondern daran, den schuldigen „Kämpfern" die Arme bis über den Anschlag hinaus auf den Rücken zu drehen.
Falls so etwas in einem Krisengebiet, in Tschetschenien, Palästina oder Kurdistan geschehen würde, könnte man gewisse Abstriche durch Kriegsbedingungen machen, denen man dann die Opfer zuschreiben würde. Bei militärischen Auseinandersetzungen gibt es eben keine absolute „Zielgenauigkeit".
In Isreal wird exakt auf diese Weise vorgegangen, wenn zur „Beseitigung der Terroristen" eine Rakete auf ein „böses" Haus oder Auto gefeuert wird. Anschließend wird dies wieder und wieder von der Weltöffentlichkeit diskutiert. Selbst, wenn wir diejenigen beiseite lassen, die nicht gegen diese Art des Vorgehens, sondern gegen die Existenz Israels an sich argumentieren, so kommen wir nicht umhin festzustellen, dass Israel am Rande, und wohl auch so manches Mal jenseits des Rechts operiert.
Ein Vergleich mit Russland fiele hier jedoch nicht zu unseren Gunsten aus. Die Israelis vernichten nicht aufs Geratewohl alle Gegner hintereinander. Dort übernehmen bestimmte Gruppen bzw. deren Anführer die Verantwortung für Terroranschläge, und Israel versucht dann, diese Gruppierungen oder deren Anführer zu „beseitigen". In Russland hingegen werden die Terroranschläge anonym verübt. Selbst Schamil Bassajew, der für so manches verantwortlich ist, hat sich beispielsweise nicht zu dem Anschlag in der Moskauer U-Bahn bekannt. Jandrajew seinerseits hatte weder über seine Beteiligung an Anschlägen, noch von deren Vorbereitung oder seiner Urheberschaft gesprochen.
Es gab mal eine Zeit, als der Mossad weltweit Terroristen umbrachte (wenn deren Beteiligung an einem bestimmten Anschlag belegt war!). In Skandinavien wurde dabei ein Unschuldiger erschossen und die „Antiterrorkämpfer" anschließend verhaftet und verurteilt. Männer „tun es" also nicht nur, sondern tragen auch die Verantwortung für ihr Tun.