Fast könnte man schon von einem „climate information overload“ sprechen. Der Klimawandel produziert eine unüberschaubare Menge wissenschaftlicher Studien, Prognosen und politischer Kommuniqués – also spezifische Textsorten, die nicht für jede/n so einfach zu dechiffrieren sind. Die globale Klimaerwärmung ist indes auch auf visueller Ebene äußerst produktiv – extreme Wettereignisse geben Stoff für TV-News, Dokumentationen und Hollywood-Blockbuster. Image-Anzeigen von Unternehmen gebrauchen Gegenbilder einer „heilen, gesunden“ Natur, um ihr jeweiliges Geschäftsfeld als ökologisch nachhaltig ausweisen. Genug Anschauungsmaterial also für die Profis der ästhetischen Analyse, als die sich Künstler/innen und Kulturwissenschaften gleichermaßen sehen.
Der Spielstand #7 unter dem Motto „Über allen strahlt die Sonne – Lesarten des Klimawandels“ behandelte also den ästhetischen und alltagskulturellen Rahmen, innerhalb dessen es zur Bewusstseinsbildung über die ökologische Gefährdungslage kommt. Die Moderation übernahm Vera Tollmann, die als Mitglied des Kuratorenteams der Ausstellung „Katastrophenalarm“ sich mit genau dieser Fragestellung beschäftigt hat.
Jan Engelmann, Kulturreferent der Heinrich-Böll-Stiftung, zitierte einführend den Sozialpsychologen Harald Welzer, der am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen einen Forschungsverbund KlimaKultur mitinitiiert hat. Für Welzer ist es „nicht die Faktizität von Problemlagen, die Menschen zu bestimmten Interpretationen und Handlungen veranlassen, sondern das, was sie sehen und wahrnehmen“. Diesen Befund aufnehmend, fächerte Anja Köhne, die u.a. das BMU, Greenpeace und WWF in umweltpolitischen Fragen berät, in ihrem Eingangsvortrag die aktuellen Kommunikationsstrategien zum Thema Klimawandel auf. Sie legte dar, dass in den seriösen statistischen Erhebungen ausschließlich „Wahrscheinlichkeitskorridore“ dargestellt werden. Dafür gebe es aber eine ganze Reihe an Diagrammen, die für Wissenschaftler eine Art „mental map“ des Klimawandels bilden, gleichsam als „Ikonen der Wissenschaft“ fungieren.
Lösungsdiskurse statt Klima-Pornos
In diesem Zusammenhang kursieren verschiedene Zukunftsszenarien, die von der sofortigen Ressourcenschonung über Öko-Diktaturen bis hin zur technologischen Beherrschbarkeit der klimatischen Prozesse (Geo Engineering) reichen. Als wichtig erachtete Köhne, dass sich der Kulturbereich mit kritischen Kommunikationsnetzen an der Bewältigung des Klimawandels beteiligt. Die Überwindung der weit verbreiteten Trägheit im ökologischen Alltagshandeln könne nicht über untergangsgeile „climate porns“ im Stile der BILD-Zeitung erfolgen, sondern nur mithilfe von neuen Lösungsdiskursen. Falls die Kulturseite denken sollte, Wissenschaft und Politik könnten die Anforderungen alleine bewältigen, so sei dies ein Irrtum: „Bitte macht das auch zu eurem Problem!“, forderte Köhne eindringlich.
Erwartungsgemäß tat sich die andere Seite mit dieser Beauftragung schwer. Der Philosoph Ludger Heidbrink bezeichnete den Klimawandel als „äußerst abstraktes Problem, zu dem man sich erst durchringen muss.“ Durch seine nicht vorhandene Evidenz sei es schwer, vorhandene Motivationsbarrieren zu überwinden. Eine gemeinsame Betroffenheitslage, ein Wir-Bewusstsein im Sinne einer „Fernstenliebe“ (Nietzsche) müsse allererst gelernt und eingeübt werden. Dabei sah Heidbrink die größte Schwierigkeit darin, wie eine ganze Gesellschaft Zugang zur Problematik des Klimawandels finden könne. Er berief sich auf die These, dass Zukunftsverantwortung nur über drei Generationen – Kind, Eltern, Großeltern – hinweg getragen wird. Somit bestünde die Aufgabe der Kulturwissenschaften vor allem darin, die sich wandelnden Formationen der Gesellschaft zu reflektieren. Was fehle, seien neue Zukunftsmodelle, die sich vor allem damit beschäftigen, wie man sich an den Klimawandel im Sinne eines „aufgeklärten Katastrophismus“ anpassen kann.
Gesucht sind neue Maßverhältnisse
Davon, dass man auf einer eher kulturdiagnostischen Ebene durchaus gewinnbringend über Handlungsmotivationen reflektieren kann, war der Leipziger Künstler und Publizist Jan Wenzel überzeugt. Für die Kunst reklamierte er die Aufgabe, an den „Maßverhältnissen des Politischen“ (Negt/Kluge) mitzuwirken und die Einschätzung politischer Dringlichkeit von reiner Tagesaktualität zu lösen. Wenzel präsentierte einige Seiten der neuen Ausgabe von spector cut + paste mit dem Titel „Alle reden vom Wetter – wir auch.“ Beim Klimawandel, so Wenzel, ginge es vor allem darum, Vereinfachungen zu vermeiden und Komplexität auszuhalten. Jegliche Form der Aufbereitung des Themas müsse daher eine „simultane Wahrnehmung“ (Mallarmé) anstreben, um auch auf medienökologischer Ebene wirksam und nachhaltig zu sein.
Spielstand #7 zeigte, dass es an der Schnittstelle von Ökologie und Kunst/Kultur offensichtlich noch viel Gesprächsbedarf gibt. Zum jetzigen Zeitpunkt verbleiben beide Seiten in ihrer jeweiligen Perspektive und Rhetorik. Doch ebenso, wie an einer Instrumentalisierung der Kunst im Sinne einer „Klima-Botschafterin“ niemandem gelegen sein kann, darf die Frage politischer Handlungsmotivation nicht allein an die Wissenschaften oder exekutive Top-Down-Modelle delegiert werden. Ein neues kulturelles Klima im Sinne einer wechselseitigen Lernbereitschaft tut also not.