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Geschichte wird gemacht

Helga Flores Trejo über das Vermächtnis von George Bush und den Präsidentschaftswahlkampf in den USA

 
Vom 9. bis 16. Juni 2008 reist George Bush durch Europa. Es ist sein Abschiedsbesuch als Präsident. Die Visite steht im Zusammenhang mit dem 60. Jahrestag des Marshallplans – und das passt. Den Präsidenten scheint dieser Tage die Geschichte sehr zu beschäftigen. Vermutlich wird er sich auch in Europa, so wie er dies seit Wochen und bei verschiedensten Gelegenheiten hier in den USA tut, über sein politisches Vermächtnis, seinen Platz in der Geschichte auslassen. Für Bush ist klar: In 60 Jahren wird seine Präsidentschaft in den höchsten Tönen gelobt werden. Mit dieser Auffassung, allerdings, ziemlich alleine da. Die Politik ist schnelllebiger als die Geschichte.

Politik und Geschichte

Eine informelle Umfrage unter 109 Geschichtsprofessoren, durchgeführt vom History News Network der George Mason Universität ergab, dass 107 (satte 98,2 Prozent) der Befragten die Bush-Präsidentschaft für gescheitert ansehen. Und es kam noch dicker für George Bush. Als die Historiker gebeten wurden, die aktuelle Regierung mit den 41 bisherigen Präsidenten der Vereinigten Staaten zu vergleichen, erklärte eine Mehrheit von 61 Prozent Bush zum „schlimmsten Präsidenten” aller Zeiten. Dieses Urteil gibt recht genau wieder, wie US-Bürger heute ihren Präsidenten sehen. Auch der Wahlkampf von John McCain zeigt, wie unbeliebt George W. Bush ist. McCain versucht immer wieder deutlich zu machen, dass er nicht Bush ist, und wo es nur geht distanziert er sich von der Politik der Regierung.

Ebenso einig wie in der Einschätzung des aktuellen Präsidenten sind sich nahezu alle Beobachter ob der historischen Dimension von Barack Obamas Kandidatur. Von Fernsehkommentatoren bis hin zu Erstwählern jeder Hautfarbe – nach Obamas Sieg waren alle überwältigt. „Geschichte!” titelte die New York Daily News; „America at its Best” hieß es auf der ersten Seite des Economist. Und Außenministerin Condoleezza Rice erklärte mit Blick auf den Anfangssatz der US-Verfassung: „Ich denke dass das, was wir gerade erleben, auf außergewöhnliche Art zeigt, dass „Wir, das Volk“ nun endlich uns alle meint“.

„Wir, das Volk“

Was Barack Obama genau vorhat, und was für ein Präsident er sein könnte, ist noch vollkommen unklar. Aber die Tatsache, dass ein Großteil der Amerikaner bereit ist, auf ihn zu setzen zeigt, wie sehr sich die USA in der sogenannten Rassenfrage in den vergangenen vier Jahrzehnten verändert haben. Es zeigt aber auch, dass eine überwältigende Mehrheit der Amerikaner die Arbeit der jetzigen Regierung für ein Desaster hält. Egal ob es um den Irak, Hurrikan Katrina, Abu Ghraib, die Immobilien- und Energiekrise, um das Haushaltsdefizit oder den schwachen Dollar geht, George Bush hinterlässt seinem Nachfolger riesige Probleme – und viele davon sind hausgemacht. Und obwohl Barack Obama bis vor kurzem nur wenigen bekannt war, und er politisch auch nicht besonders erfahren ist, sind viele US-Bürger dazu bereit, ihn als jemanden zu unterstützen, der für einen Neuanfang steht.

Trotz seines politischen Talents, seines Charismas und des sehr gut organisierten Wahlkampfes – das Phänomen Barack Obama wäre ohne die Hilfe von George Bush und Dick Cheney kaum denkbar. Es ist eine Ironie der Geschichte: Dank Bush könnte es zu einem so nicht zu erwartenden, deutlichen politischen Richtungswechsel kommen. Vielleicht ist es das, was die zwei der 109 befragten Historiker im Sinn hatten, die Bushs Präsidentschaft für einen Erfolg halten.

Helga Flores Trejo leitet das Nordamerikabüro der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington D.C.