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Obamania

Ich war dabei, einer unter Zweihunderttausend – eine Menschenmenge, die in Deutschland nur noch König Fußball auf die Beine bringt; ein junges Publikum, so multikulturell wie der Star aus Amerika, keineswegs nur Studenten und das einschlägige links-liberale Milieu, sondern viel Volk. Es muss eine bunte Mischung von Motiven sein, die so viele Menschen mobilisiert: die Neugier auf einen politischen Pop-Star, die Unterstützung für den Anti-Bush, die Hoffnung auf einen transatlantischen Neuanfang – aber auch die Bereitschaft, sich vom messianischen Charisma des Barack Obama berühren zu lassen, die Suche nach einer anderen Art von politischer Botschaft, als sie unsere Politiker vermitteln.

Messianisches Charisma

Tatsächlich war es ein durch und durch amerikanisches Ereignis mitten in Berlin: undenkbar, dass eine deutsche Partei, ein deutscher Kandidat so viel Hoffnungen und Erwartungen auf sich zieht; unvorstellbar, dass eine Angela Merkel, ein Kurt Beck auf diese Weise auftritt – vom grazilen, sportlich-federnden Gang zum Mikrofon, dem sonoren Timbre, dem strahlenden Lächeln, der Mischung aus Entspanntheit und Energie bis zu dem Weltrettungs-Pathos und dem Martin-Luther-King-Sound, mit dem er am Ende seine Heilsbotschaft verkündet: „Die Mauern zwischen den Reichsten und den Ärmsten dürfen nicht stehen bleiben, zwischen Einwanderern und Einheimischen, zwischen Christen, Muslimen und Juden… Das ist der Zeitpunkt, den Frieden in einer Welt ohne Nuklearwaffen anzustreben... Dies ist der Augenblick, da wir uns zusammenfinden müssen, um diesen Planeten zu retten. Wir dürfen unseren Kindern keine Welt hinterlassen, in der die Meere über die Ufer treten… Menschen in Berlin, Menschen in dieser Welt, das ist unsere Zeit… Das Ausmaß der Herausforderungen ist immens, und wir haben einen langen Weg zu gehen… Lassen Sie uns die Welt neu gestalten! Gott schütze Sie.“

Rednerpult oder Kanzel?

Bei einem deutschen Kanzlerkandidaten würde man vermutlich spöttisch fragen, ob er das Rednerpult mit einer Kanzel verwechselt hat und wo, bitte, das Konkrete hinter den wolkigen Feel-good-Parolen bleibt?! Was hat der Mann vor, was ist sein Programm, wie will er seine hehren Ziele umsetzen? Aber das wäre ein kulturelles Missverständnis. Der Kandidat Obama stellt nicht sein Regierungsprogramm vor. Er sagt nicht, was er tun will, um „den Menschen“ (O-Ton Angela Merkel) Gutes zu tun. Er appelliert vielmehr an die Bürger seines Landes und an die Bürger der Welt, gemeinsam aufzubrechen, sich ihrer Ideale und ihrer Kraft bewusst zu werden und sich in Bewegung zu setzen auf einen langen Marsch „to make the world a better place“. Seine Botschaft ist nicht: Ich werde den Job für euch erledigen, sondern: Wir können es zusammen schaffen. Das ist der Unterschied zwischen einer paternalistischen und einer republikanischen Haltung.

Obama mobilisiert gerade deshalb so viel Enthusiasmus, weil er an diese beste Tradition der amerikanischen Demokratie anknüpft. Der Neuanfang, den er symbolisiert, bezieht sich nicht nur auf die Spitze der amerikanischen Macht, sondern auf eine Wiederbelebung republikanischer Tugenden in der Gesellschaft. Seine Rhetorik des Zusammenführens statt Spaltens ist nicht apolitisch, sondern hoch politisch: Nur eine Gesellschaft, die in der Lage ist, ihre sozialen, ethnischen, kulturellen und auch ihre politischen Differenzen zu überbrücken, ist in der Lage, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern. Deshalb agiert der Kandidat Obama auch nicht auf dem „linken Flügel“, sondern zielt auf die Mitte der Gesellschaft, also auf den Ort, von dem aus die fortbestehenden Gegensätze vermittelt werden können.

Europa muss mehr Verantwortung übernehmen

Obama hatte auch keineswegs nur Zuckerwatte im Angebot. Seiner Ankündigung, dass Europa wie die USA künftig nicht weniger, sondern mehr internationale Verantwortung übernehmen müssen, werden nach seiner Wahl konkrete Forderungen an die Adresse von Old Europe folgen. Und in seiner Bemerkung, dass keine Nation, wie mächtig sie auch ist, die neuen Gefahren für Frieden und Sicherheit in der Welt alleine bekämpfen kann, dass aber auch niemand diese Bedrohungen bestreiten oder „die Mittel versagen kann, sie zu bekämpfen“, steckt schon die Ankündigung, dass Deutschland und Europa mehr Geld und mehr Soldaten für die gemeinsame Sicherheit werden bereitstellen müssen. Das wird wohl der Preis für einen Neuanfang im transatlantischen Bündnis sein, bei dem die USA wieder stärker den Dialog mit ihren Partnern suchen, statt die NATO nur als Werkzeugkasten für ihre machtpolitischen Ziele zu nutzen. Barack Obama hat keinen Zweifel hinterlassen, dass für ihn Afghanistan die Nagelprobe für die Zukunft des Bündnisses darstellt: „Eine gemeinsame Hoffnung bedeutet, dass wir die Arbeit gemeinsam tun müssen. Es steht zu viel auf dem Spiel, um jetzt auszusteigen.“ Der Mann hat recht.

 
 
 

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

 

 
 

 
 
 

Dossier: Im Westen was Neues

Die USA im Wahlkampf 2008
In den USA wird am 4. November 2008 ein neuer Präsident gewählt. Nach acht Jahren Bush-Regierung und der mittlerweile in den USA weit verbreiteten Enttäuschung über deren Politik scheint klar, dass der neue Präsident innenpolitisch wie außenpolitisch neue Akzente setzen wird - unabhängig davon, ob mit Barack Obama zum ersten Mal ein schwarzer Amerikaner Präsident wird oder John McCain die republikanische Ära fortsetzt.
Die Heinrich-Böll-Stiftung begleitet den Wahlkampf in den USA mit Veranstaltungen, Analysen und Berichten. Dabei wird neben der Betrachtung der innenpolitischen Diskussionen und Entwicklungen in den USA insbesondere beleuchtet werden, was die sich abzeichnenden neuen Politiken für das transatlantische Verhältnis bedeuten. Dieses Dossier dokumentiert die Aktivitäten der Heinrich-Böll-Stiftung zum US-Wahlkampf.  » mehr
 
 
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