Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Licht, aber kein Tunnel

8. August 2008
Von Christian Sterzing
Von Christian Sterzing

Die Hardliner auf beiden Seiten scheinen die einzigen zu sein, die einen substanziellen Erfolg der für Ende November 2007 in Annapolis/USA geplanten Nahost-Konferenz für möglich halten. Sie versuchen alles, um die Zusammenkunft zu sabotieren. Die militanten palästinensischen Gruppen im Gazastreifen verstärken seit Wochen ihren Raketenbeschuss auf den Süden Israels, um die Regierung in Tel Aviv zu einem militärischen Einmarsch in den Gazastreifen zu provozieren, was wohl das Ende aller Gipfelplanungen bedeuten würde. Die israelische Regierung diskutiert zur Zeit, ob die Anerkennung Israels als jüdischem Staat zur Bedingung für ihre Teilnahme an dem Gipfeltreffen gemacht werden soll. Dabei herrschen ohnehin gegenüber dem von Präsident Bush im Juli angekündigten Treffen unter politischen Beobachtern weitverbreitete Zweifel, ob damit ein Durchbruch für den nahöstlichen Friedensprozess erreicht werden kann.

Gesucht: Handlungsfähige Regierungen

Die in der wackligen israelischen Regierungskoalition vertretenen rechts-nationalistischen und religiösen Parteien hatten zunächst mit ihrer Forderung, dass in Annapolis die Kernprobleme des Konflikts – Jerusalem, Grenzen, Flüchtlinge, Siedlungen – nicht angesprochen werden dürfen, den Gipfel zu torpedieren versucht. Doch Ministerpräsident Ehud Olmert, dessen öffentliche Unterstützung von dem historischen Tiefstand von 9 % in den letzten Wochen nur Dank einer bevorstehenden Prostata-Operation wieder in zweistellige Bereiche angestiegen ist, hat sich dieser Drohung mit einem bevorstehenden Koalitionsbruch gebeugt – und dafür die Zustimmung der amerikanischen Außenministerin Rice erhalten. Nun fordert es von der palästinensischen „Regierung“ nicht nur die Anerkennung Israels, die von der PLO mit den Oslo-Verträgen längst erklärt wurde; auch die Anerkennung des Existenzrechts oder der Legitimität Israels soll nicht mehr ausreichen, sondern die explizite Anerkennung Israels als jüdischer Staat soll nun zur Bedingung gemacht werden.
Doch nicht nur gegen die Vertreter der rechten Parteien muss sich Ministerpräsident Olmert den Weg nach Annapolis freikämpfen. Auch sein größter Koalitionspartner, die israelische Arbeitspartei, lässt nur lauwarme Unterstützung verlauten. Ihr Parteivorsitzender, der ehemalige Ministerpräsident und derzeitige Verteidigungsminister Ehud Barak, der sich gerne als Speerspitze des israelischen Friedenslagers tituliert, will über eine Konfliktregelung frühestens in drei Jahren reden, dann nämlich wenn die israelische Armee ein Abwehrsystem gegen den Qassam-Beschuss aus dem Gazastreifen entwickelt hat und ein wirksames Mittel gegen den palästinensischen Waffenschmuggel in den Gazastreifen gefunden ist.

Israel: Wacklige Regierungskoalition in Israel

So wird in Annapolis Israel durch eine außergewöhnliche schwache Regierung vertreten sein, die nach dem Debakel des nicht gewonnenen Libanon-Krieges vorwiegend mit dem eigenen Überleben beschäftigt ist.

In den Reihen der rechtsnationalen Koalitionsparteien wird der Erfolg der Obstruktionspolitik schon gefeiert, denn es scheint derzeit gelungen, das „internationale Treffen“ auf eine Nachmittagsveranstaltung am 26. November ohne substanzielle politische Tagesordnung zu begrenzen.

Doch in Annapolis nur mit leeren Händen anzureisen, hätte nicht nur den Gipfel an den Rand des Scheiterns gebracht, sondern auch die Geduld der US-Regierung überstrapaziert, die einen nahostpolitischen Erfolg dringend benötigt. Auf amerikanischen Druck überraschte Olmert jetzt mit der Ankündigung eines Ausbaustopps für jüdische Siedlungen in den palästinensischen Gebieten, nicht ohne unverzüglich seine engsten Berater nach Washington zu entsenden, um – mit den Amerikanern, nicht etwa den Palästinensern - über vielfältige Ausnahmeregelungen zu verhandeln.

Palästina: Komplexe innenpolitische Gemengelage

Mit einer lähmenden innenpolitischen Situation hat auch der palästinensische Präsident Mahmud Abbas zu kämpfen. Die anfangs besonders unter Palästinensern verbreitete Hoffnung, in Annapolis werde eine „Friedenskonferenz“ stattfinden, die sie einem eigenen palästinensischen Staat näher bringt, war damit zerstoben. Die prekäre innenpolitische Situation des palästinensischen Präsidenten, der dadurch quasi die Hälfte „seines“ Territoriums verloren hat, verschlechtert sich rapide. Von beiden Optionen hat die israelische Regierung bislang keinen Gebrauch gemacht. Die Weigerung, in Annapolis die zentralen Fragen anzupacken, beraubt die Palästinenser weiterhin einer ernstzunehmenden politischen Perspektive. Die von einer Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung weiterhin befürwortete Zwei-Staaten-Regelung erscheint als eine der Realität entrückte Vision, keine konkrete politische Option. Nicht nur die israelischen Bedingungen für eine akzeptable Friedensregelung werden immer höher geschraubt, eine Bereitschaft zur substanziellen Verhandlungen ist nicht erkennbar. Und durch die israelische Politik der Schaffung von Tatsachen in den besetzten palästinensischen Gebieten werden die realen Hindernisse für die Errichtung eines lebensfähigen palästinensischen Staates immer höher.

Auch bloße Gesten des guten Willens reichen heute nicht mehr aus, um die Position der palästinensischen Regierung in Ramallah nachhaltig zu stärken. Angesichts von ca. 10.000 palästinensischen Gefangenen wird z.B. die Freilassung von 87 Gefangenen im September als eine für den palästinensischen Präsidenten erniedrigende Bagatelle bewertet. Wenn Olmert verspricht, die palästinensische Forderung nach Freilassung von 2.000 Gefangenen vor dem Annapolis-Gipfel zu prüfen (inzwischen will die israelische Regierung über 400 Gefangene beraten), dann weisen die Palästinenser darauf hin, dass diese Zahl in etwa den Festnahmen durch israelische Kommandoaktionen in der Westbank während des letzten halben Jahres entspricht. Die oppositionelle israelische Organisation „Machsom Watch“ (in Deutsch etwa: Checkpoint Beobachtung) hat in diesen Tagen offen gelegt, wie das israelische Militär mit falschen Angaben die israelische und internationale Öffentlichkeit irreführt. In Israel und dem Ausland scheint offensichtlich nicht wahrgenommen zu werden, dass diese bestenfalls unentschlossene „Rückenstärkung“ und die unerfüllten Versprechungen den palästinensischen Präsidenten und seine neue Regierung unter dem Ministerpräsidenten Salam Fayyad eher schwächen.

Integration oder Isolation der Hamas?

Präsident Abbas hat sich nach der Niederlage seiner Fatah im Machtkampf mit der Hamas im Gazastreifen der westlichen Strategie einer fast vollständigen Blockade und Belagerung des Gazastreifens angeschlossen und verweigert auf amerikanischen Druck jedes Gespräch mit der Hamas, obwohl diese nicht müde wird, Verhandlungen über eine neue gemeinsame Einheitsregierung anzubieten. Die palästinensische Polizei unternimmt ernsthafte Versuche – soweit es die israelische Okkupationsmacht zulässt – Recht und Ordnung wiederherzustellen. „Blühende Landschaften“ auf der Westbank und Chaos und soziale Katastrophe im Gazastreifen sollen die Palästinenser veranlassen, von der Hamas abzulassen und der Fatah und ihrem Präsidenten zu folgen. Doch der Erfolg dieser Strategie ist auch in Palästina heftig umstritten. Gewiss ist im Augenblick nur, dass vor Annapolis keine Gespräche zwischen Hamas und Fatah stattfinden dürfen, denn dies wäre für Israel Anlass für einen Abbruch aller Gespräche. Muss Annapolis also scheitern, damit es neue Chancen für eine innerpalästinensische Aussöhnung gibt? Politische Kräfte – auch innerhalb von Fatah - in den palästinensischen Gebieten, die gegen eine Isolation von Hamas und für eine Integration in den politischen Prozess plädieren, fürchten Annapolis: Im Falle eines Erfolgs könnte es die palästinensische Gesellschaft noch mehr spalten, im Falle des Scheiterns den Präsidenten Abbas und seine Fatah noch mehr schwächen und Hamas neuen Auftrieb geben.

Dilemmata allenthalben

Die komplexen innenpolitischen Gemengelagen sowohl in Israel als auch in Palästina dämpfen jeglichen Optimismus. Eine Absage wäre für den US-Präsidenten und seine Außenministerin mehr als eine politische Ohrfeige, es wäre eine weitere Blamage für die amerikanische Administration im Mittleren Osten, wo angesichts des Desasters im Irak, des drohenden Chaos im Libanon, Afghanistan und Pakistan sowie der festgefahrenen Auseinandersetzung mit dem Iran ein  politischer Erfolg so dringend benötigt wird. Insbesondere seit dem Libanon-Krieg wird gern die Zentralität des israelisch-palästinensischen Konflikts für den Frieden im Nahen und Mittleren Osten betont. Eine Koalition gegen den Terror und gegen den Iran soll mit den „gemäßigten“ arabischen Staaten aufgebaut werden, doch ohne Fortschritte bei einer israelisch-arabischen Konfliktregelung wird dies kaum möglich sein. Auch die amerikanische Außenministerin wies warnend darauf
hin, dass angesichts der explosiven Situation im Gazastreifen auf Hamas nicht unbedingt Fatah, sondern Al Qaida folgen könnte.

Amerikanischer Führungsanspruch ungebrochen

Nach siebenjähriger Abstinenz im nahöstlichen Friedensprozess versucht die US-Regierung ein Comeback, doch die Einberufung des Gipfeltreffens ist weder von einer realistischen Einschätzung der US-Rolle in der Region getrübt, noch zeugen die Vorbereitungen von einer Bereitschaft, aus ihrem politischen Scheitern in der Region und den Misserfolgen ihrer Vorgänger Lehren zu ziehen. Dagegen wehrt sich Israel – bislang mit Erfolg. Aber nur als Staffage mag niemand die Reise nach Annapolis antreten.

In der bisherigen Vorbereitung manifestiert im Übrigen der ungebrochene Glaube an die amerikanische Omnipotenz. Präsident George Bush senior hatte bei der Friedenskonferenz in Madrid 1991 noch klugerweise die Sowjetunion als Co-Präsidenten eingeladen. Präsident George Bush junior will es allein richten. Der damaligen israelischen Regierung unter dem Ministerpräsidenten Shamir wurden im Vorfeld der Konferenz die Daumenschrauben angelegt, während heute die Schonung des rechten Lagers in Israel das Vorgehen bestimmt.

Nahost-Quartett und EU als Zaungäste

Die US-Regierung legte bislang kein Konzept vor, das den sich in der Annapolis-Konferenz manifestierenden amerikanischen Führungsanspruch im Nahen Osten legitimieren könnte. Nicht einmal einen amerikanischen Entwurf für eine Deklaration hat man vorgelegt. Dennoch ist es der US-Regierung gelungen, das Nahost-Quartett (bestehend aus den USA, UN, Russland und EU) zu marginalisieren und die EU wieder vom player zum payer in der Region zu degradieren. Die EU und das Quartett werden bestenfalls Zaungäste in Annapolis sein. Die EU und das Nahost-Quartett befinden sich im Abseits. Amerikaner und Europäer haben in den letzten Jahren unter völliger Ignoranz des Völkerrechts eine Entwicklung zugelassen und gefördert, die die Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates an der Seite Israels immer schwieriger macht. Mit der finanziellen Boykott- und politischen Isolierungsstrategie gegenüber der demokratisch gewählten Hamas haben sie der Glaubwürdigkeit westlicher Demokratieförderung in der Region schweren Schaden zugefügt, die Radikalen gestärkt und Palästina an den Rand einer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe geführt. Alle Beteiligten treibt weniger die Bereitschaft zu wegweisenden politischen Entscheidungen nach Annapolis als vielmehr die Angst vor den noch weniger kalkulierbaren Folgen eines Scheiterns für die Region, zumal ein für Mitte Dezember anberaumtes Geldgebertreffen für die palästinensischen Gebiete für zusätzlichen Erfolgsdruck sorgt. Gipfeltreffen, zumal wenn sie von einem amerikanischen Präsidenten einberufen worden sind, dürfen also heutzutage nicht scheitern. Doch die arabischen Staaten werden darüber erst kurz vorher auf einem Außenministertreffen entscheiden. Mit dem Nahost-Quartett kämen auch Russland, die EU und die UN an den Tisch. Deutlich wird durch dieses avisierte setting, dass in Annapolis auf jeden Fall keine substanziellen Verhandlungen geführt, sondern nur – wahrscheinlich „historische“ - Reden gehalten werden. Das politische Recycling der road map mag augenblicklich als Ausweg aus der verfahrenen Situation erscheinen, könnte sich aber auch als Bumerang erweisen, denn heute wird die road map von der israelischen Rechten, die sie damals vehement abgelehnt hat, genutzt, um Verhandlungen zu blockieren: Einstieg in die erste Phase der Verhandlungen erst wenn die Palästinenser die „terroristische Infrastruktur“ zerstört haben! Doch diese Strategie bedeutet den Karren weiterhin vor das Pferd zu spannen, denn erst eine politische Regelung wird die Chance eröffnen, den Nährboden für Terror und Gewalt zu reduzieren.

Angesichts der Hürden, die die israelische Regierung vor der Wiederaufnahme von Verhandlungen aufbaut, ist es eher unwahrscheinlich, dass Annapolis eine neue friedenspolitische Dynamik in Gang setzen kann. Die Palästinensische Regierung versucht, das zu erwartende substanzielle Defizit des Gipfels durch Vereinbarungen über einen neuen Fahrplan, über terminliche Absprachen und die Einrichtung eines Kontroll- und Monitoringmechanismus auszugleichen. Aber auch hier steckt der Teufel im Detail, denn schon einmal hat ein mit der Überprüfung betrauter amerikanischer General – aus israelischer Sicht darf es immer nur eine amerikanische Kontrolle sein! – wenige Monate nach Verabschiedung der road map die Region unverrichteter Dinge verlassen.

Fortsetzung der Stagnation auch nach Annapolis also? Es gibt keine Stagnation im Nahost-Konflikt, denn täglich wird durch die israelische Regierung der status quo verändert: Mit der Fortsetzung der ethnischen Trennungspolitik und der schleichenden Annexion von Teilen der besetzten Gebiete entfernt sich der Konflikt immer weiter von der Möglichkeit einer friedlichen und gerechten Regelung. Annapolis wird deshalb von einigen politischen Beobachtern als letzte Chance für die Zwei-Staaten-Regelung bezeichnet.
Über die zentralen Elemente einer zukünftigen Regelung herrscht weitgehende Einigkeit.

Dossier

Nahostkonferenz Annapolis

Die Nahostkonferenz am 27. November 2007 in Annapolis war ein weiterer Versuch, einen Weg zu einer gerechte Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und Palästina zu finden. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat Autoren und Autorinnen aus der Region, aus Deutschland und den USA um ihre Einschätzung gebeten.