Spielstand #8: Teams & Subjects

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7. Oktober 2008

In seiner Begrüßung erinnerte Jan Engelmann, Kulturreferent der Heinrich-Böll-Stiftung, daran, dass die poststrukturalistische Kritik des althergebrachten Autorbegriffs nun schon seit über 30 Jahren im Umlauf sei. Es lasse sich beobachten, dass die darin enthaltene Absage an eine individuelle Zuschreibung von künstlerischer Produktion im Kunstsektor nach wie vor eine große Attraktivität besitze.

Die Berliner Konzeptkünstlerin Judith Siegmund, die als Moderatorin durch den Abend führte, wies einleitend auf die Aktualität der Frage nach den konkreten AutorInnen der Kunst hin. Nachdem sie nach einer langen Zeit zu verschwinden drohten, zwischen Kuratoren, Kritikern, Museen, Kreativwirtschaftshype, Quartiersmanagement und Marktgesetzen, werde jetzt wieder verstärkt über sie geredet. So lenke die Ausstellungsreihe „Kult des Künstlers“ in den Staatlichen Museen zu Berlin den Blick wieder auf den Mythos vom genialen Erschaffer von Werken – der allerdings immer als ein rein männlicher gedacht werde.

Doch Judith Siegmund gab zu bedenken: „Ist es unbedingt nötig, mit der berechtigten Kritik an Künstler-Markennamen, an Starkult und am Heiligenschein, das Konzept der AutorIn ganz zu verdammen? Brauchen wie nicht einen Begriff der Autorin bzw. des Autors, um verantwortungsvolles künstlerisches Handeln zu beschreiben? Ist eine Positionierung gegenüber dem Marktgeschehen nicht ebenfalls mit Autorschaft verbunden? Und ist es an der künstlerischen Praxis und ihren Produkten nicht auch wichtig, dass es sich bei der Kunst um die Handlung von Personen handelt, die mehr im Sinn haben als ihre Stellung am Markt oder die Steigerung ihrer Preise oder den Aufbau von effektiven Netzwerken? Kurz gefragt: Lässt sich ein Begriff der KünstlerIn oder der AutorIn nicht auch produktiv machen?“

Eine Allianz für den Urknall

Sebastian Freytag von der Düsseldorfer Gruppe Konsortium versuchte sich als erster an einer Annäherung. In seiner manifestartigen Rede verknüpfte er kulturgeschichtliche Referenzen zum Thema Autorschaft, die von Nietzsches Übermensch bis zum Cyborg im Film „Blade Runner“ reichten. Konsortium verstehe sich nicht als Gemeinschaft in dem Sinne, dass sie zusammen an einem Werk arbeiteten, der zutreffende Begriff laute eher „freie Assoziation“, wie sie auch die Wirtschaftswelt als strategischen Zusammenschluss kenne. „Unser höchstes Ideal ist die Sehnsucht nach Autonomie. Ihr haben wir unsere gemeinsame Arbeit grundsätzlich verschrieben“, so Freytag. Denn nur als WIR könne man bestimmte Dinge sagen und Positionen gegen den Druck von außen durchhalten. „Die Kunstgeschichte stellen wir uns so wie unser Bücherregal vor. Edle Werke und edle Künstler, deren Werk durch die Nachbarschaft des Kollegen erst richtig zum Leuchten kommen.“

Während Freytag einerseits auf traditionelle Begründungsmuster von (männlichen) Künstlergruppen des 19. und 20. Jahrhunderts Bezug nahm, benutzte er andererseits auch futuristische Überschreitungsgesten, indem er etwa „eine Allianz für den Urknall“ forderte. Analog zu den Bemühungen des CERN, mittels eines Teilchenbeschleunigers den Geheimnissen des Universums auf die Spur zu kommen, ließe sich für die Kunstwelt konstatieren, „dass das individuelle Genie ausgedient hat, um die komplexe Situation zu begreifen und Auswege einzuleiten“. Konsortium als zeitgemäße Form der Wahlverwandtschaft schicke sich an, „selbst zum Programmierer der Erinnerungssysteme zu werden“. Die Einordnung dieser Selbstmythologisierung und die Enträtselung der darin aufbewahrten stilistischen Codes blieben bewusst dem Publikum überlassen. Dass Autorschaft immer auch ein komplexes Spiel mit zum Teil erfundenen Genealogien bedeutet, war spätestens zu diesem Zeitpunkt klar.

Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?

Für die Gruppe FiloArt stand lediglich ein leerer Stuhl am Tisch, vor dem sich ein Laptop befand. Per E-Mail beteiligte sich FiloArt zwar schriftlich an der Diskussion, wollte aber physisch nicht in Erscheinung treten. Stattdessen wurde ein Präsentationsfilm vorgeführt, in dem eine Computer¬stimme zu sich ständig überlagernden Bildern sprach. Dabei wurde die Genese des Projekts mit dem Scheitern einer Band, der notorisch prekären Form eines künstlerischen Ensembles, erklärt:

„Mein Bruder wurde krank und wollte nicht mehr musizieren. Wäh¬rend seiner Kur dachte er sehr viel nach, und irgendwann begriff er, dass er unterschied¬li¬che Funktionen in der Gruppe inne gehabt hatte. Er kam zu dem Schluss, dass er eigentlich allein eine Gruppe bilden könne. Später setzte er diese Idee um - es entstand die erste Gruppe aus einer Person. Er nannte das Gruppengebilde FiloArt. Der Name setzt sich aus dem altgriechischen Wort für Liebe filos und aus, art, der lateinischen Bezeichnung für Kunst, zusammen. Er nannte das Gruppengebilde manchmal auch „Liebe zur Kunst“ oder „Liebe zur Unbekannten“ oder ,die Suche nach dem „Unbekannten““.

Dieser Suchende spielt offensichtlich auch gerne mit dem Unbewussten. Denn der ort- und namenlose Erzähler von FiloArt bezog sich in seiner Inszenierungsform nur allzu gerne auf die freudianischen Register der menschlichen Psyche: „Was ist ICH? Gibt es nur ein Ich? Gibt es Ich, Es und Über-ich? Oder gibt es ein Sammelsurium von mehreren Ichs verteilt in dem, was wir, unser Körper’ nennen. Alle Ichs sind in permanenter Wandlung, immer.“

Konsequenterweise betrieb FiloArt diese Infragestellung eines kohärenten Selbst bis hin zur permanenten Aufspaltung, die einer Zellteilung gleicht: Die Ein-Personen-Gruppe dekonstruierte sich fortlaufend selbst. Seit 1991, so die dürre Faktenlage dieser sehr eigenwilligen Künstlergeschichte, bildeten sich acht autonome Gruppen heraus: Sammlerfamilie (1991), Psychiatriepatienten (1992), D.N.K.-Dashuria Ndaj Katrorit (1993), L.E.O. (1993), Mrs. Brainwash (1995), U.R.A. (1996), Globalodromia (1996), P.M.S. (1996). Aus einer Gruppe wurde eine ganze Bewegung. Als radikale Absage an den Kult der Person konzipiert, rief diese Feier einer multiplen Autorschaft allenthalben viel Stirnrunzeln, aber auch schmunzelnde Blicke hervor.

Transnationale Beziehungen

Während FiloArt konsequent jede Auskunft über Nationalität, Alter oder Herkunft verweigerte, thematisieren die Mitglieder der weltweit zerstreuten Künstlergruppe Global Alien gerade die Konstruktion von (Künstler-)Subjekten durch Identitätsmarker wie Ethnizität. Es geht ihnen in ihren vielfältigen Arbeiten um eine frei migrierende, internationale Kunstsprache, die gemeinschaftliches Denken und Handeln trotz interkultureller Grenzen zu erzeugen vermag.

Lizza May David zeigte in einer kurzen Präsentation, wie die Gruppe (die gegenwärtig aus 14 Mitgliedern besteht) in verschiedenen Ausstellungsprojekten selbst die Möglichkeiten und auch die Grenzen der Zusammenarbeit erprobt. Während die Ausstellung im Off-Kunstraum „Ssamzie Space“ in Seoul als fusionierte Installation gelang, kristallisierten sich in der Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg Bethanien wieder verschiedene, zurechenbare Autorschaften heraus. „Jeder macht das, was in seiner Kapazität steht“, erläuterte David das offene Arbeitsprinzip. Global Alien verstehe sich als interdisziplinär, ihre Mitglieder seien teilweise KünstlerInnen und TheoretikerInnen, manche hätten einen eher politaktivistischem Hintergrund.

Bei den performativen Kunstaktionen von Global Alien gibt es häufig ein Moment der gezielten Verunsicherung, z.B. bei der gezeigten Arbeit „Exchanging T-Shirts with Aliens“, die maßgeblich vom Gruppenmitglied Youngjoo Cho entwickelt wurde. Die Grundidee bestand darin, TeilnehmerInnen dazu zu bringen, ihre Oberbekleidung mit einer vollkommen fremden Person zu tauschen und damit auch deren Geruchsspuren anzunehmen. Ein kleiner Grenzübertritt nur, der aber schon den ersten Schritt zu einer größeren Empfänglichkeit für den anderen in sich birgt.

Die 2 – Autonomie im Duo

Bereits im Vorfeld des Spielstand #8 hatte es eine erbitterte Diskussion über die Einladungskarte gegeben. Salon des Belles Utopistes war unzufrieden darüber, dass dort nur der Name eines Gruppenmitglieds genannt wurde. Es wurde darauf bestanden, dass die gesamte Gruppe auf dem Podium sprechen sollte. Diese Forderung, der am Ende stattgegeben wurde, deutete bereits die eng verzahnte Arbeitsweise von Andrea Knobloch und Silke Riechert an und verwies gleichzeitig auf das Phänomen der Konkurrenz, das auch innerhalb einer Künstlergruppe nicht so einfach verschwindet.

Salon des Belles Utopiste, die sich im Untertitel „Institut für Stadtentwicklung und künstlerische Forschung“ nennen, arbeitet in stadtplanerischen Zusammenhängen mit dem Fokus auf partizipative Beteiligung von BürgerInnen. Seit 2003 entwirft Salons des Belles Utopistes neue Konzepten für das Rundkino in Dresden, das auch der Anlass für die Gründung der Gruppe gewesen ist. Daneben werden künstlerische Werke – schwerpunktmäßig Zeichnungen und Installationen – hergestellt, die durch abwechselnde Arbeiten an ein und demselben Objekt entstehen. Ab und zu „leistet“ sich jedes Mitglied auch eine unabhängige Arbeit.

Aus ihrer eigenen Projektbiografie leiteten Knobloch und Riechert die Erfahrung ab, „dass Gruppenarbeit die einzelne Person stärkt“. Nur käme es immer darauf an, beim gemeinsamen Ideenprozess offen für den anderen zu bleiben und gleichzeitig die eigene Position glaubwürdig zu vertreten. Dies sei durchaus eine schwierige Balance, gaben sie im anschließenden Roundtable-Gespräch zu. Robuste „maskuline“ Autoren-Egos, etwa auf der stadtplanerischen Seite, trügen aber umso mehr dazu bei, eine durchlässigere Arbeitshaltung zu verfolgen.