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Begründung für die Preisvergabe des Petra-Kelly-Preises 2006 an Jurij Schmidt

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16. Oktober 2008
Der Petra-Kelly-Preis der Heinrich-Böll-Stiftung geht dieses Jahr an Jurij Schmidt, den bekanntesten Menschenrechtsanwalt in Russland. Der Gründer und Vorsitzende des Russischen Anwältekomitees für Menschenrechte war Verteidiger des Ende der 90er Jahre wegen Spionage angeklagten Marineoffiziers und Ökologen Alexander Nikitin und gehört seit 2004 zu den Anwälten von Michail Chodorkowski.

Mit der Preisvergabe würdigt die Heinrich-Böll-Stiftung Jurij Schmidts herausragendes Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte und den Aufbau eines Rechtsstaates in Russland. Als Anwalt setzt er sich seit vielen Jahren unermüdlich dafür ein, dass seine Mandanten ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren bekommen. Jurij Schmidt ficht im Gerichtssaal und in der Öffentlichkeit gegen Willkür  und selektive Rechtsanwendung des Staates in Russland und in anderen Republiken der ehemaligen Sowjetunion. In letzter Zeit ist er wegen seines Engagement zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt. Der Preis ist deshalb auch ein Geste der Solidarität mit dem Preisträger und vielen anderen Menschenrechtlern in Russland und ein Appell an die russische Regierung.

Besondere Bedeutung für die Rechtssprechung in Russland gewann die Verteidigung des Reservemarineoffiziers Alexander Nikitin, die Jurij Schmidt Anfang 1996 übernehmen wollte. Nikitin, der in seiner aktiven Zeit für die Inspektion von atomaren Objekten der sowjetischen und später der russichen Nordmeerflotte zuständig war, hatte für die norwegische Umweltorganisation „Bellona“ Materialen über die Gefahren einer radioaktiven Verseuchung des Nordmeers aus öffentlich zugänglichen Quellen zusammengestellt. Der Inlandsgeheimdienst FSB klagte ihn daraufhin der Spionage an und lehnte Schmidt als Verteidiger seiner Wahl aus "Geheimhaltungsgründen" ab. Das Gericht wies Nikitin einen vom FSB auf „Zuverlässigkeit“ geprüften Pflichtverteidiger zu. Jurij Schmidt klagte dagegen vor dem russischen Verfassungsgericht und wurde im März 1997 als Verteidiger von Nikitin eingesetzt. Erst mit diesem Urteil wurde die freie Anwaltswahl in Russland gültige und angewendete Rechtsnorm. Schmidt erreichte für Nikitin, der 10 Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, 1999 einen Freispruch.

Anfang 2004 übernahm Schmidt den öffentlich-politischen Teil der Verteidigung von Michail Chodorkowski, weil er in dem Fall Justizwillkür und damit eine Verletzung elementarer Rechte des ehemaligen Unternehmers verletzt sieht. Gegenwärtig bereitet Jurij Schmidt das Berufungsverfahren vor und versucht die Verlegung Chodorkowkis aus dem sibirischen Lager Krasnokamensk in den europäischen Teil Russlands zu erreichen. Für seinen Einsatz im Prozess gegen Chodorkowski beantragte die Generalstaatsanwaltschaft Ende 2005 seinen Ausschluss aus der Anwaltskammer, was einem Berufsverbot gleichgekommen wäre. Die Anwaltskammer kam dem Antrag aber nicht nach. Anfang 2006 wurde ein Gesetz in die Staatsduma eingebracht, dass die sich selbst verwaltenden Anwaltskammern auflösen lassen und die Anwälte der direkten Kontrolle des Justizministeriums unterstellen will.

Der mit 10.000 Euro dotierte und alle zwei Jahre verliehene Preis wird Jurij Schmidt am 12. Mai in Berlin überreicht.

Die Wahl des Preisträgers / der Preisträgerin erfolgt durch den Aufsichtsrat der Stiftung. Letzte Preisträgerin war die kenianische Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Wangari Maathai, die anschließend mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.