Demokratiefähige Religionen - Religionsfähige Demokratie

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Parlamentswahl im Iran. Titel: Parliament Election in Qom, Iran. Foto: Yahya Natanzi. Lizenz: Creative Commons BY-NC-SA 2.0.

16. Dezember 2008
Von Marianne Zepp
Von Marianne Zepp, Referentin für Zeitgeschichte in der Heinrich-Böll-Stiftung.

Ultramontanisten nannte man sie, national unzuverlässig, dem Papst mehr gehorchend als den eigenen nationalen Interessen. Noch bis weit in die Weimarer Republik hinein galt der Katholizismus als mit der Demokratie unvereinbar. Mit der Gründung der Zentrumspartei bekam der Katholizismus in Deutschland eine politische Stimme. Sie blieb bis ans Ende der Weimarer Republik eine Weltanschauungs- und Klientelpartei. Erst die überkonfessionellen christdemokratischen Parteien der Nachkriegszeit wurden in Westeuropa ein Erfolgsmodel.

Sollten sich die muslimischen Verbände daran nicht ein Beispiel nehmen? Kann das immer wieder - ob zu Recht oder Unrecht - diagnostizierte Demokratiedefizit des Islam dadurch überwunden werden? Und würden die Muslime auf diesem Weg nicht eine öffentliche Stimme erhalten, deren Fehlen sie bis heute beklagen?

Das war die Ausgangsfrage der sechsten Veranstaltung in der Reihe Religion und Politik.

Jan-Werner Müller, Politologe mit Schwerpunkt Ideengeschichte, stellte zu Beginn seiner Ausführungen zwei Thesen zur Disposition, die immer wieder angeführt werden: Wenn Parteien sich ernsthaft an Wahlen beteiligen und auf den Weg des Parlamentarismus begäben, würden sie moderater. Zweitens – dies ist gegen Parteiengründung gewendet - verbiete sich eine Analogie zwischen dem christlichen Weg in die Demokratie und dem Islam, weil bei der Schaffung eines Ideenvorrats, wie sie z.B. die christliche Soziallehre darstelle und der die Demokratiefähigkeit ermöglichte, der Vatikan als Zentrale maßgeblich beteiligt gewesen sei.

Beide Thesen sind, laut Müller falsch. Gerade in monoreligiösen Gesellschaften würden Parteien unter populistischem Druck eher radikaler. Auch empfiehlt er für die westlichen Gesellschaften eher die Integration in bereits bestehende politische Institutionen.

Zweitens verweist er die Pionierrolle des Vatikans bei dem Weg in die Moderne in das Reich der Legenden. Vielmehr reagierte der Vatikan auf die von Außenseitern entwickelten Ideen einer Modernisierung. Christdemokratische Parteien waren zu Beginn, wie am Zentrum nachzuvollziehen, als Defensivwaffen gegen Liberalismus und Antiklerikalismus gegründet worden. Sie wurden zu Zentren politischer Mobilisierung und Identitätsbildung. Allerdings, auch darauf wies Müller hin, gab es bestimmte historische Umstände, die den Aufstieg der Christdemokratie in der Nachkriegszeit beförderten. Die Eigendynamik und der Anpassungsdruck, die in den Parteien entstanden und die man oftmals dafür verantwortlich machte, dass die Christlichen sich von ihren Wurzeln entfernt zu hätten, wurden durch den Organisationsgrad der Kirchen, die Kooperationen des öffentlichen Rechts waren, durch Klassenbündnisse in der prosperierenden Nachkriegszeit und durch den Antikommunismus des Kalten Krieges begünstigt. An dem Beispiel Italien ging dies bis zur Kolonialisierung des Staates durch die Partei.

Hasret Karacuban, als Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Grüne MuslimInnen selbst parteipolitisch engagiert, sieht in der Tatsache, dass der Islam keine hierarchische Struktur hat, eher einen Vorteil. Auch sprach sie sich gegen die Gründung einer eigenen muslimisch orientierten Partei aus, da ihre Wählerschaft zahlenmäßig zu gering sei und zugleich die Gefahr bestände, weitere Ressentiments gegen Muslime und den Islam zu wecken. Sie verfolge viel eher die Strategie, innerhalb der Partei eine zielorientierte Politik für deutsche Muslime zu machen. Dazu gehöre in erster Linie die Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Die CDU sieht sie in einer vergleichbaren Position wie die AKP in der Türkei. Sie sei gerade durch ihren Wertkonservatismus für viele ältere eingewanderte Muslime attraktiv, während sie, und mit ihr viele Jüngere, eher bei den Grünen als Bürgerrechtspartei ihre politische Heimat sähen.

Dass das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften immer wieder neu ausgehandelt werden muss, dass sich Integrationshindernisse, kulturelle Unterschiede und religiöses Bekenntnis vermischten, wurde auch in dieser Debatte deutlich.

Müller wies daraufhin, dass man bei dem Vergleich mit der AKP berücksichtigen müsse, dass sie ihr Profil und ihre Identität durch die Verteidigungsstellung gegen eine aggressive Säkularisierung herausgebildet habe. Im Gegensatz zu dem passiven Säkularismus der USA sehen sich viele in Europa in einer Tradition, die den Staat als Ansprechpartner und Regulativ begreife. Allerdings als ein Regulativ, das man immer wieder in die Schranken weisen muss: Die in der Diskussion aufgeworfene Frage nach der Einmischung des türkischen Staates durch eine Organisation wie DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.) in die Angelegenheiten auch hier der Einwanderungsgemeinden wurde als problematisch bewertet.