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Jurij Schmidt über die Justiz und seine Erfahrungen als Anwalt in der Sowjetunion und in der Russischen Föderation

Lesedauer: 2 Minuten

21. Januar 2009

Die Transformation des Rechts- und Justizsystems in Russland ist eine riesige Herausforderung und von zentraler Bedeutung für die gesamte Entwicklung des Landes. Das sowjetische Erbe und aktuelle politische Strömungen haben darauf Einfluss, wie schnell und in welcher Richtung Reformschritte unternommen werden.

Jurij Schmidt in einer Vorlesung im Moskauer Klub ‚Bilingua’ am 27. Mai 2004:

„Was meiner Meinung nach die Wichtigste Errungenschaft des neuen Russland im Bereich der Justiz ist? Dass die Judikative zu einer eigenständigen und unabhängigen Gewalt erklärt wurde und dass im Prozesswesen eine ganze Reihe von Grundsätzen eingeführt wurde, die dem sowjetischen Gerichtswesen völlig unbekannt waren.
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In einem Land, in dem die Rechte des Menschen nicht geachtet werden, genießt auch ein Verteidiger dieser Rechte kein Ansehen.
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Zu sowjetischer Zeit war der Anwaltsstand im Großen und Ganzen der Platz für die Verhinderten und Erniedrigten. Natürlich gab es auch Leute, die sich als Anwalt aus Berufung bezeichneten, aber die andere Hälfte, und vielleicht der größere Teil unseres Standes, rekrutierte sich aus Anwälten „im Exil“, d.h. aus Leuten die sich im staatlichen Justizsystem nicht hatten halten können und deshalb bei den Anwälten gelandet waren.
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Gleichwohl war ich immer stolz auf meinen Berufsstand und darauf, dass ich ihm angehöre.
Heute schäme ich mich ein wenig für meinen Beruf. Besser gesagt, ich schäme mich, dass sich unendlich viele Leute Anwalt nennen und dabei nicht die geringste Vorstellung von den hehren Grundsätzen dieses Berufes - und auch von vielem anderem – haben. Sie sind nicht aus Berufung Anwalt geworden, und nicht mal durch „Vertreibung“, sondern wohl eher aus einem bestimmten Hang zum Futtertrog oder sonst wohin.
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Eine wirkliche Umgestaltung des Justizsystems ist wohl nur parallel und vielleicht sogar erst nach einem Wandel des Rechtsbewusstseins in der Gesellschaft im ganzen und im Justizwesen im Besonderen möglich. Eine mentale Tradition ist geblieben, und sie ist zu spüren. Nicht nur als Überbleibsel, sondern als grundsätzliche Haltung, die sich natürlich ändern muss.
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Eine unbestreitbare Errungenschaft, ja vielleicht sogar eine der wichtigsten Errungenschaften des Justizsystems der neuen Zeit besteht in der Ausweitung der Rechte, die einem gerichtlichen Schutz unterliegen.
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In unserem Leben gibt es jetzt den Europäischen Gerichtshof als Instrument zum Schutz der Menschenrechte. Es gibt jetzt also auch neue Möglichkeiten. Unsere Rechtsgrundlagen erlauben es nämlich, die Menschenrechte in bedeutend höherem Maße einzuklagen, als dies tatsächlich geschieht.“

Weitere Äußerungen von Jurij Schmidt zu diesem Thema stehen Ihnen hier (PDF, 31KB) als Download zur Verfügung.