Demokratie wagen

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Ralf Fücks, Foto: Ludwig Rauch

2. Februar 2009
taz: Die Menschen sind informiert wie nie zuvor - Druckerzeugnisse, Fernsehen und vor allem Internet. Gleichzeitig ist das Desinteresse an demokratischen Institutionen sehr groß. Wie kommt das?

Ralf Fücks: Die Politikwissenschaft gibt darauf unterschiedliche Antworten. Es gibt eine Diffusion politischer Entscheidungsprozesse. Die Orte, an denen politische Entscheidungen getroffen werden, und damit eine zurechenbare Verantwortung, verschwinden immer mehr. Es gibt eine Verlagerung auf internationale Räume, zum Beispiel auf die Ebene der Europäischen Union, oder in Club-Strukturen wie dem G8-Gipfel. Und es gibt auch die Vernebelung von Verantwortung im deutschen föderalen System. Das untergräbt das Zutrauen in die demokratischen Institutionen.

taz: Kompliziert waren die Entscheidungswege früher auch, die Akteure konnten aber simulieren, dass sie da entschieden hätten.

Fücks: Es gibt reale Veränderungen im Zusammenhang mit der Globalisierung nicht nur von Märkten, sondern auch von Politik. Das schafft neue Herausforderungen: Was heißt Demokratie zum Beispiel auf der europäischen Ebene? Da kann es ja nicht nur um die Stärkung des europäischen Parlaments gehen, das immer noch nicht die Rechte eines Vollparlaments hat, weil die EU kein Staat, sondern ein Staatenbund ist,  sondern da geht es auch um eine europäische politische Öffentlichkeit, also um die Fähigkeit für die Zivilgesellschaft, europäische Politik zu beeinflussen. Das ist noch ein sehr weiter Weg. Gleichzeitig geht es uns – jedenfalls auf dem Kongress – auch um eine Wiederbelebung von Alltagsdemokratie an Orten wie Schule und Universität, um Bürgerbeteiligung zu Fragen der Stadtentwicklung.

taz: Da könnte man böse sagen: Bei den großen Themen ist unser Einfluss sowieso zu klein, da kümmern wir uns um die Straßenbäume und das Kleinklein im Wohnumfeld.

Fücks: Die kommunale Umwelt ist immer noch prägend für das Alltagsleben. Sicher ist das keine Antwort auf die globalen Fragen, etwa die aktuelle Finanzkrise und die Neuregulierung der Finanzmärkte. Da fällt ja auf, dass Demokratie zusammenschrumpft auf das Handeln der Exekutive. Die Entscheidung über Rettungs- und Konjunkturprogramme auf einer zig-Milliarden-Höhe ist de facto unter Ausschluss des Parlaments und unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit gefallen, und der eigentliche Test für dieses Programm sind die Märkte: Stimmen die zu oder nicht? Das ist das Kriterium für erfolgreiche „Krisenpolitik“. Wie kann sich die Zivilgesellschaft an solchen Entscheidungsprozessen beteiligen?

taz: Die Menschen sind gewohnt, abends an ihrem Fernsehgerät zu sitzen, viel zu erfahren und über vieles mitreden zu können, was nicht im unmittelbaren Wohnumfeld stattfindet, sogar wer aus dem Dschungel-Camp rausfliegt oder hinein kommt. In der Politik geht es aber, wenn man zur Wahl gerufen wird, um ganz unspezifische Parteiensympathie. Sind die Profile der Parteien nicht viel zu verwässert, um noch Interesse am Kern der repräsentativen Demokratie, an der Wahl, zu erzeugen?

Fücks: Es ist die Frage, wie Parteien stärker politische Alternativen artikulieren können, ohne in eine plumpe Freund-Feind-Politik zurückzufallen. Unter den Bedingungen des Fünf-Parteien-Systems brauchen wie mehr an politischer Flexibilität, um Koalitionen über die alten Lagergrenzen hinweg bilden zu können. Das darf aber nicht zu einer Beliebigkeit von Parteien führen. Was mich an den USA rund um Obama spannend finde: Ihm gelingt es, Menschen anzusprechen, zu ermutigen und politisch zu mobilisieren, ohne das Blaue vom Himmel zu versprechen oder in eine Klassenkampf-Rhetorik zu verfallen.

taz: Aber da wird doch Politik zur perfekten Show.

Fücks: Das sehe ich nicht so. In den ersten Tagen der neuen Administration wurden doch schon dramatische Veränderungen der Realpolitik deutlich - es gab einen  Kurswechsel in der Energie- und Klimapolitik, da wurde eine Krankenversicherung für elf Millionen Kinder verabschiedet, die plötzlich möglich geworden ist. Es zeigt sich ein ganz neues Herangehen in der Außenpolitik. Demokratie ist nicht nur eine Show-Veranstaltung.

taz: Aber die Wahl gewonnen hat er mit perfekter Inszenierung. Alle waren gespannt, was er wirklich tun wird.

Fücks: In der letzten Phase des Wahlkampfes hat er sehr viel über konkrete Politik gesprochen und nicht nur an Emotionen appelliert. Und das Versprechen, die Tugenden der amerikanischen Demokratie wiederzubeleben, war alles andere als Show.

taz: Was müssen wir in Deutschland tun, um einen ähnlichen demokratischen Mobilisierungs-Effekt zu bekommen?

Fücks: Wir können uns keinen Obama backen, eine solche Figur ist in der deutschen Parteiendemokratie sehr viel schwerer möglich. Wir zielen eher darauf, wieder Räume zu schaffen für politische Diskussion und Beteiligung und tatsächliche Mitentscheidung. Wir wollen möglichst viele ermutigen, sich zu engagieren. Gleichzeitig muss man von den Partien verlangen, dass sie ihre Aufgaben wirklich ernst nehmen und sich nicht auf das Verwalten von Politik zurückziehen. Alle, die sich hinter Sachzwänge zurückziehen und von angeblich alternativlosen Entscheidungen, untergraben den Kern von Demokratie, die der Streit um die richtige Alternative ist.

taz: Die Böll-Stiftung lädt am kommenden Wochenende zu einer bundesweiten Tagung nach Bremen ein, um über diese Fragen zu diskutieren – was kann man erwarten?

Fücks: Wir haben ein weit gespanntes Themenspektrum geplant, neben einigen großen Namen wie Gesine Schwan und dem Soziologen Claus Offe kommt der ehemalige Verfassungsrichter Winfried Hassemer als Referent.

taz: Ein CDU-Mann?

Fücks: Ich weiß nicht, ob er in einer Partei ist, das interessiert uns auch nicht. Für uns war die verfassungspolitische Position zu repräsentativer und partizipativer Demokratie wichtig. Der Clou ist aber, dass es in zwölf Workshops und Arbeitsgruppen die Möglichkeit gibt, selbst mitzudiskutieren.

Das Interview erschien in leicht modifizierter und gekürzter Form in der taz-Nord vom 2. Februar 2009.

Weitere Informationen zum Kongress „Demokratie wagen, Debatten zur Zukunft der Gesellschaft" am 6. und 7. Februar 2009

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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