Frau Künast, im Krisenmanagement der Bundesregierung kommen Umwelt und Klimaschutz faktisch nicht vor. Wird die Weltwirtschaftskrise auch zu einer Konjunkturkrise für die Umweltpolitik?
Jedenfalls kommt es mir vor, als würde ein Vorhang gelüftet und es erscheint eine Bundesregierung ohne Konzept und ohne Ziel. Früher galt ja gerade der Kanzlerin Klimaschutz als zentrales Politikfeld. Davon findet sich im Krisenmanagement der Regierung nichts wieder.
Greift die Regierung nicht nur eine verbreitete Stimmung auf, die lautet: Jetzt geht es um Arbeitsplätze, alles andere muss angesichts der Dimension der Krise warten?
Aber eine solche Reaktion missachtet die Gesetze der Naturwissenschaften. Der Klimawandel macht ja keine Pause, weil wir uns in eine Finanzkrise manövriert haben. Es ist ein fundamentaler Fehler, Klima- und Wirtschaftskrise gegeneinander auszuspielen. Beides gehört zusammen. Wer heute Geld für den Erhalt von Arbeitsplätzen in die Hand nimmt, wird morgen bereuen, wenn er daran nicht ökologische Bedingungen geknüpft hat.
Wirtschaftswissenschaftler plädieren dafür, Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur und solche zur Beschleunigung des Strukturwandels auseinanderzuhalten.
Das halte ich für kurzsichtig. Natürlich wirken strukturverändernde Eingriffe nicht von heute auf morgen. Aber jede Stützung der Konjunktur muss eine zweite Dividende erbringen – für Ökologie, Klima und Ressourcenschutz. Die chemische Industrie hatte mit ihrer Pestizidlastigkeit ja schon vor der Krise Probleme. Da müssen die nun neue Schwerpunkte setzen. Die Autoindustrie muss Autos bauen, die die Leute auch noch kaufen können, wenn das Barrel Öl im nächsten Aufschwung 200 Dollar kostet. Sonst sind die Arbeitsplätze spätestens dann weg.
Immerhin, die Regierung nimmt für die energetische Gebäudesanierung erheblich mehr Geld in die Hand.
Das ist ja richtig, bleibt aber gleichzeitig halbherzig, weil es nicht abgesichert ist durch klare Energieeffizienzstandards, insbesondere für den Gebäudebestand. Man muss den Mut haben, die Mieter mit entsprechenden Rechten auszustatten, wenn die Vermieter nicht von sich aus Wärme dämmen. Das würde Arbeit schaffen und die Kosten für die Warmmiete dämpfen. Das wäre dann kein Strohfeuer, sondern eine echte Richtungsänderung.
Ihre Partei zog im Einheitsjahr 1990 unter der Parole «Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter» in den Bundestagswahlkampf. Das Ergebnis ist bekannt. Droht eine Neuauflage? «Alle reden von der Wirtschaft, wir reden vom Klima»?
Wie die meisten Menschen lernen auch die Grünen aus Fehlern. Klimaschutz ist eine absolute Notwendigkeit. Aber es gibt ja noch eine andere Dimension. Selbst der Unternehmensberater Roland Berger kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Zahl der heute schon 1,8 Millionen Umweltarbeitsplätze bis 2020 verdoppeln lässt. Die Grünen zeigen, wie man das erreicht. Bei den erneuerbaren Energien und in der ökologischen Landwirtschaft haben wir das schon bewiesen. Jetzt nehmen wir uns die Chemiebranche, die Automobilindustrie und den Maschinenbau vor.
Die Grünen als Wirtschaftspartei, das wäre ja mal was Anderes.
Das liegt gar nicht so fern, wie Sie meinen. Es gibt in Deutschland eine Wirtschaftspartei für die Besserverdiener, eine andere zum Erhalt der alten Strukturen und schließlich eine zur Sicherung sinnloser Subventionen. Wir sind die Partei, die auf eine nachhaltige, klimaverträgliche Wirtschaftspolitik für die mittlere und lange Sicht setzt. Da füllen wir eine Lücke.
In der Krise ändert sich das Verhältnis von Politik und Wirtschaft. Die Wirtschaft kommt als Bittsteller und eröffnet der Politik ungeahnte Gestaltungsmöglichkeiten…
…ja, Möglichkeiten, nur nutzt die Bundesregierung sie nicht. Die Rettungspakete werden in den Bankzentralen entworfen, die sie erst notwendig gemacht haben. Und in großen Anwaltskanzleien, die von der Industrie dafür bezahlt werden. So sieht das Primat der Politik derzeit aus. Die Politik der Regierung orientiert sich zu wenig am Gemeinwohl, sie muss aufhören, die Autorenschaft für Zukunftsgesetze in die Hände derjenigen zu legen, die in der Automobilindustrie, bei der Chemie oder in der Energiewirtschaft immer nur weitermachen wollen wie bisher. Das derzeitige Krisenmanagement läuft darauf hinaus, dass wir der jungen Generation Schulden in beispielloser Dimension hinterlassen und sie dafür nicht einmal eine modernisierte Wirtschaft erhält.
US-Präsident Barack Obama stellt sich hin, nennt die Krise eine Chance und alle sind begeistert. Warum ist so etwas in Deutschland undenkbar?
Auch Barack Obama ist kein Wunderheiler. Aber er hat den Mut, Krise und Strukturwandel zusammenzudenken. Da spielt er in einer anderen Liga als die Bundesregierung. Er hat im Wahlkampf Wechsel und Neubeginn versprochen. In den USA gibt es die Aufforderung «Walk the Talk!» Angela Merkel tut nicht, was sie sagt, sondern macht Versprechungen für das Jahr 2050. Das ist der Unterschied.
Hand aufs Herz, ist das tatsächlich vorrangig eine Frage der Regierung? Oder reagieren die Deutschen auf Krisen einfach anders als die Amerikaner?
Der Eindruck, dass drüben etwas Anderes geschieht als hier, trügt ja nicht. Trotzdem bin ich erst überzeugt, wenn Obama sich auch durchsetzt gegen die Beharrungskräfte im eigenen Land, etwa im Zusammenhang mit dem Kyoto-Folgeprotokoll. In Deutschland brauchen wir eine gesellschaftliche Debatte über die Wirtschafts- und die Klimakrise. Das kann die Politik nicht alleine. Ich halte es für wichtig, in diesem Wahljahr auch die Grundprämissen unseres Lebens und Wirtschaftens zu thematisieren. Wie wollen wir in Zukunft leben? Wie schaffen wir es, nicht länger auf Kosten der Jungen zu leben und auf Kosten derjenigen, die am anderen Ende des Globus schon heute die Folgen unserer Lebensweise zu spüren bekommen?
Böll.Thema Ausgabe 1/2009 - Green New Deal
Wir befinden uns inmitten einer Transformationskrise des Kapitalismus. Im Zentrum steht die Idee eines «Green New Deal», die weltweit als Antwort auf die Doppelkrise von Wirtschaft und Umwelt diskutiert wird. Diese Ausgabe von Böll.Thema leuchtet aus, wie die Weichen in Richtung Zukunft gestellt werden können. mehr»» Dossier: Auf dem Weg zu einem Green New Deal
- Dossier: Wege aus der Weltwirtschaftskrise