Von Simone Schmollack
Zehntausende Menschen aus Afrika kommen jährlich nach Europa, viele unter ihnen illegal. Legale Einwanderung nach Europa ist fast unmöglich. Das Meer ist für die meisten Einwanderer der einzige Weg, nach Europa zu gelangen. Nur wenige kommen durch, viele sterben unterwegs. 2006 landeten 31.200 so genannte Boat People auf den Kanarischen Inseln, laut Schätzungen ertranken 7000. Die Behörden in Marokko und in Algerien fangen jährlich Tausende ab. Auch in Libyen, Mauretanien, Senegal und Gambia werden regelmäßig MigrantInnen aus anderen Ländern Westafrikas festgenommen. Diejenigen, die den Weg nach Europa schaffen, suchen ein besseres Leben. Und finden Armut und Verachtung.
Die Heinrich-Böll-Stiftung hinterfragte auf der internationalen Konferenz „Festung oder Raum der Freiheit? EU-Grenzpolitik im Mittelmeerraum“ (in Kooperation mit der Robert-Bosch-Stiftung und dem British Council) Ursachen und Gründe für die massenhafte Migration und diskutierte darüber mit zahlreichen ExpertInnen und RegierungsvertreterInnen aus Europa, Afrika, dem Nahen Osten, der Europäischen Kommission und der Afrikanischen Union.
Steigender Migrationsdruck
„Afrika und Europa sind historisch, ökonomisch und politisch vielfach miteinander verflochten und aufeinander angewiesen. Das gilt auch für die Aufgabe, eine Migrationspolitik zum gegenseitigen Vorteil zu entwickeln“ sagte Ralf Fücks, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung, in seiner Eröffnungsrede.
Der Migrationsdruck wird sich in den kommenden Jahren weiter verstärken, so Viola Seeger. Sie ist Programmdirektorin für Gesellschaft und Kultur bei der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart und weiß genau, was dieser Satz bedeutet. Derzeit beschäftigt sie sich in einem Forschungsprojekt mit internationaler Migration und der Integration von MigrantInnen. Sie zitierte u.a. den Migrationsforscher Michael Bommes. Der Vorsitzende des bundesweiten Rates für Migration und Direktor des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien sagte einmal, dass ein „strukturelles Kontingenzbewusstsein“ geschaffen werden müsse. Aber wie soll das gehen?
Seit Frontex, die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, 2005 ihre Arbeit aufgenommen hat und seitdem immer mehr illegale Flüchtlinge schon auf dem Mittelmeer aufgreift und direkt nach Afrika zurückschickt, wird das Ausmaß der illegalen Migration besonders deutlich. Und Italien setzt ungeachtet internationaler Proteste seine harte Linie gegen illegale Einwanderer fort. Erst vor wenigen Wochen hat die italienische Küstenwache 240 Bootsflüchtlinge zwischen Malta und Italien aufgegriffen und nach Libyen zurückgeschickt. Kurze Zeit davor wurden 227 Bootsflüchtlinge von einem italienischen Tanker gerettet und nach Afrika zurückgebracht.
Festung Europa ?
Ist Europa eine Festung? Nein, sagte Klaus Rösler, Leiter der operativen Abteilung von Frontex. Aber, so sagte er auch, Grenzschutz beginnt schon vor den Grenzen. Für diesen Satz erntete er kaum Applaus. Peter Altmaier, parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium, plädierte dafür, illegale Migration nicht nur mit repressiven Mitteln zu bekämpfen, sondern in den Abwanderungsländern solche Bedingungen zu schaffen, die Migration verhindern.
Das wird vielfach versucht. Denn klar ist – und das wurde auf der Konferenz immer wieder allzu deutlich –, dass die meisten Menschen heute nicht aus politischen Gründen emigrieren, sondern aus wirtschaftlichen. Arbeitslosigkeit und Armut sind in Afrika an der Tagesordnung. Einer, der das gut weiß, ist der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour, der die Situation direkt vor Ort in den Mittelmeerländern ansah. Der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft MigrantInnen und Flüchtlinge von Bündnis 90/Die Grünen sagte: „Wir brauchen eine temporäre Migration“. Er warnte allerdings „die Fehler mit den türkischen Gastarbeitern nicht zu wiederholen.“ Eine Idee, die kontrovers debattiert wurde.
Doch der Diskurs ist hochaktuell. Durch den demographischen Wandel ist Europa mittel- und langfristig auf ArbeitsmigrantInnen angewiesen. Migrationsforscher warnen immer wieder zudem vor der gravierenden Abwanderung deutscher Arbeitskräfte ins Ausland und beklagen, dass im Gegenzug keine qualifizierten Einwanderer ins Land kommen. Seit 2003 haben fast 180.000 gut ausgebildete Fachkräfte Deutschland verlassen. Deutschland müsse für einen „Austausch“ die Weichen stellen, fordern Experten.
Fachkräfte verlassen Deutschland
Omid Nouripour hat versucht, dafür einen Ansatz zu finden. Vor zweieinhalb Jahren traf er in Marokko zwei Flüchtlinge aus Sierra Leone und Kongo. Die Presse war dabei, und die beiden afrikanischen Migranten erzählten dem deutschen Politiker von ihrem beschwerlichen Weg durch verschiedene Länder bis nach Marokko. Von hier aus wollten sie weiter nach Europa. Sie wollten arbeiten, Geld verdienen, besser leben als in ihren Heimatländern. Sie vertrauten dem, was sie früher gehört hatten. In Europa, glaubten sie, finden sie das Paradies.
Auch Yassir dachte das. Er kam aus dem Sudan nach Deutschland, zu Fuß, über das Meer und mit der Eisenbahn - und immer in der Gefahr, sein Leben zu verlieren. Als er endlich in Deutschland ankam, machte er keine Bekanntschaft mit dem großen Glück, sondern rasch mit den deutschen Behörden. Die verfrachteten ihn in ein kleines Dorf in Brandenburg, er durfte sich nur im Umkreis von zehn Kilometern bewegen. Yassir hat eine traurige Geschichte, jetzt ist er damit eine öffentliche Figur geworden. Die Filmemacherin Carla Gunnesch hat einen berührenden Dokumentarfilm gedreht über illegale Flüchtlinge: I broke my Future – Paradies Europa. Der Film bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Hoffnung und Leiden.
Einwanderer in der Illegalität
Zahlreiche Asylbewerber in Deutschland tauchen irgendwann in den Großstädten unter. Sie gehen in die Illegalität, weil sie arbeiten und das verdiente Geld ihren Familien schicken wollen. Sie verfügen über keine legalen Dokumente und sind damit für Betreiber von Baustellen, Bistros und Kneipen eine äußerst billige Arbeitskraft. Sie arbeiten bis zu zehn Stunden und mehr am Tag und verdienen mitunter nur einen Euro in der Stunde, nicht selten werden sie sogar um diesen Lohn betrogen.
Viele wollen zurück, aber das können sie nicht. Ihnen würde in der Heimat nicht geglaubt werden, sagte die Gründerin der Frauenvereinigung gegen illegale Migration in Senegal Yayi Bayam Diouf: „Die Medien zeichnen von Europa ein Bild des Reichtums. Da kann es nicht sein, dass jemand dort kein Geld verdient.“ Yassir hat das selbst erlebt: „Zu Hause würde man glauben, dass ich das Geld für mich allein nehme und nichts der Familie schicken will.“ Fast alle AuswanderInnen erzählen ihren Familien, dass es ihnen gut geht. Und nur die, die das gleiche Schicksal teilen, wissen, dass das eine große Lüge ist.
„Es gibt keine Rückkehrerprogramme“, sagte Elizabeth Adjei, Direktorin des Ghana Immigration Service: „Die Reintegration im eigenen Land ist schwierig.“ Das Ergebnis: wiederholte Migration. Elizabeth Adjei sprach von Push- und Pull-Faktoren. Push-Faktoren: Arbeitslosigkeit, Armut, Krieg. Pull-Faktoren: Europa als attraktives Ziel mit Chancen auf Bildung und Jobs, die es in der Heimat nicht gibt.
Soziale und menschliche Ausgrenzung
Vor der sozialen und menschlichen Ausgrenzung in Europa hilft aber mitunter nicht einmal eine exzellente Ausbildung. Fatou Diome ist heute eine weltweit bekannte Schriftstellerin. In ihrem Buch „Der Bauch des Ozeans“ beschreibt die Senegalesin ihr Leben in Frankreich nach der Scheidung von ihrem französischen Mann. „Die Familie wollte ein Schneewittchen“, erzählte sie in einem bewegenden Vortrag auf der Konferenz. Als sie eines Abends nach einem gewöhnlichen Tag an der Uni, an der sie damals arbeitete, nach Hause kam, war die Wohnung leer geräumt. Ihr Mann war ausgezogen und ihr wurde vorgeworfen, sie wolle nur „die Sahneschnittchen abgreifen“. Die hoch ausgebildete Akademikerin begann ein Leben als Asylbewerberin, bekam drei Jahre lang keinen Job und ging putzen, um zu überleben. „So lange Ihr von Euren vollen Tellern esst und wir auf unsere leeren Teller starren“, sagte sie, „wird es Stress geben.“
Yassir ist jetzt im Gefängnis, er wurde als Illegaler erwischt. Jeden Tag, sagte er, hat er Heimweh: „Ich will doch einfach nur ein bisschen leben. Eine Frau, Arbeit, eine kleine Wohnung.“
In Deutschland stellten letztes Jahr 22.000 Menschen Asyl. Die Zahl ist weiter rückläufig. Die Anerkennungsrate liegt seit mehreren Jahren bei einem Prozent.
Konferenzvideo
- Die Heinrich-Böll-Stiftung auf YouTube - Veranstaltungen, Dokumentationen, Interviews!