Spuren unserer Zeit

Zur Eröffnung der Ausstellung „Eingebrannte Bilder“, Werke von Ernst Volland

29. Mai 2009
Von Ralf Fücks
Von Ralf Fücks

Die Idee zu dieser Ausstellung entstand in einem Kaffeehausgespräch mit Ernst Volland in den Hackeschen Höfen (unserem alten Domizil) vor einem guten Jahr.

Mir waren einige seiner Fotoarbeiten zu Augen gekommen, die er seit Anfang der 90er Jahre produziert hat, mit genau jenem unverwechselbaren Stil, der auch hier zu besichtigen ist: die Transformation von Fotografien in eigenständige Kunstwerke, die das Original zugleich verfremden und kenntlich machen.

Zuvor war mir Volland als Urheber  politisch-satirischer Plakate geläufig, mit denen er seit Anfang der 70er immer wieder in die öffentliche Sphäre interveniert hat. Wenn man die Plakate ausstellen würde, die sich dem kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik eingeprägt haben, wird man sehr viel öfter auf Ernst Volland als auf andere Künstler treffen, den heutigen Präsidenten der Akademie der Künste eingeschlossen.

Volland hat es also selbst mit einigen Plakaten zu dem gebracht, um das es hier geht: er hat Bilder  erzeugt, die ins kollektive Bewusstsein eingedrungen sind, in unser „Blitzlichtgedächtnis“, wie die Psychologen und Neurologen sagen. Wir werden täglich mit einer irren Bilderflut konfrontiert, die an uns vorüberzieht, ohne nachhaltige Wirkung zu hinterlassen. Aber manchmal gibt es Bilder, die sich für immer eingraben. Sie machen die Ikonographie einer Epoche aus.

Am stärksten wirken Bilder, die mit einem hohen affektiven Gehalt aufgeladen sind, die also nicht nur unseren Verstand, sondern auch unser Gefühl ansprechen. Dazu gehören private Szenen, die uns nie verlassen und jederzeit wieder auftauchen können, wenn wir durch irgendeinen Zufall an das Ereignis erinnert werden, zu dem sie gehören. Dazu gehören aber auch Szenen, die zum kollektiven Gedächtnis von Nationen, Generationen und manchmal sogar der Welt gehören. Sie markieren Schocks, Glücksmomente, Wendepunkte, verdichtete Knoten im Strom der Zeit, aufgeladen mit symbolischen Bedeutungen, die das singuläre Ereignis transzendieren.

Solche Bilder stehen am Ausgangspunkt dieser Ausstellung, sie sind das Material, aus dem Volland seine Artefakte macht, die auf den ersten Blick nur ahnen lassen, worum es geht. Dann beginnt das Gehirn zu arbeiten, wir beobachten uns selbst dabei, wie wir versuchen, hinter der Verfremdung das Original zu finden: Wer war das? Was war das? Wann war das?

In diesem Prozess des Erinnerns fragen wir uns zugleich, was diese Ereignisse und Personen für uns und die Welt bedeutet haben: Eine KZ-Szene, der 17. Juni 53, der tote John F. Kennedy, fliehende Kinder in Vietnam, Benno Ohnesorg vor der Deutschen Oper, Willy Brandt in Warschau, Hans-Martin Schleyer als Geisel der RAF, der erste Mann auf dem Mond, der Fall der Mauer … ich hoffe, ich verrate nicht schon zu viel.

In der Summe führen uns diese Bilder das turbulente halbe Jahrhundert zwischen dem Ende des 2. Weltkriegs und dem Fall der Mauer noch einmal vor Augen, zwischen dem Beginn des Kalten Krieges und der trotz alledem glücklichen Wiedervereinigung Europas. Obwohl die allermeisten dieser Fotos zum öffentlichen Gemeingut geworden sind, sehen wir sie aus unserer je individuellen Perspektive und mit unserer persönlichen Lesensart. Sie neu aufzurufen, heißt zugleich, noch einmal ihre Bedeutung zu überprüfen, unser Geschichtsbild neu zu bedenken und den Emotionen nachzugehen, die sie erzeugen.

Insofern handelt es sich tatsächlich um höchst politische Kunst – aber eben nicht um AgitProp, sondern um die Auseinandersetzung mit politischer Zeitgeschichte mit genuin künstlerischen Mitteln.

Deshalb passt diese Ausstellung auch wunderbar in das Hauptquartier einer politischen Stiftung, die sich der politischen wie der kulturellen Bildung verschrieben hat und die Aufklärung als eine ihrer vornehmsten Aufgaben begreift: Aufklärung als Reflexion und öffentliche Diskussion von kollektiven Erfahrungen und Erlebnissen, die nicht nur in die Vergangenheit weisen, sondern unser künftiges Handeln beeinflussen.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

Dieser Text steht unter einer Creative Commons-Lizenz.