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Zukunft der Stadt – Stadt der Zukunft

3. Juli 2009
Von Ralf Fücks
Von Ralf Fücks

Eröffnung der Konferenz „Urban Futures 2030“  3./4. Juli 2009, Berlin

Ich begrüße Sie im Namen der Heinrich-Böll-Stiftung herzlich zur Konferenz Urban Futures 2030 - Visionen künftigen Städtebaus und urbaner Lebensweisen. 

Dieses Projekt verdankt sich einer doppelten Diagnose: Städte sind einer der großen Verursacher des Klimawandels, ökologische Monster mit einem immensen Verbrauch an Energie, Rohstoffen, Fläche, einem gewaltigen Schadstoffausstoß, Abwasserströmen und Müllbergen – und sie sind zugleich Pioniere des ökologischen Wandels.

Sie stehen im Zentrum der ökologischen und sozialen Probleme und bergen zugleich alle Elemente zu ihrer Lösung: als verdichtete Orte menschlichen Zusammenlebens mit all ihrer Vielfalt, ihrem Reichtum an Wissen, ihrer deliberativen Kraft, ihrer Kreativität und Innovationsfähigkeit.

Es ist ein besonderer Reiz, eine internationale Tagung zur Zukunft des Bauens und des städtischen Raums in unserem neuen Haus durchzuführen, das von einer großen deutschen Tageszeitung als „Projekt der ökologischen Moderne“ geadelt wurde. Ich hoffe, dass die Ästhetik, Funktionalität und Energietechnik sie ebenso anspricht wie uns, die wir seit einem Jahr in und mit diesem Gebäude arbeiten.

Welche Möglichkeiten es auch jenseits des Tagungsbetriebs bietet, veranschaulicht die Neuauflage von „Updating Germany“, dem deutschen Beitrag zur Architekturbiennale 2008 in Venedig, die eigens für diese Konferenz im Foyer installiert wurde. Wir danken dem Büro „raumtaktik“ für diese Ehre. In der „Paradise Lounge“ können Sie ganz entspannt im Konferenzreader blättern, plaudern, ein wenig abhängen und selbst Teil des Gesamtkunstwerks werden.

Wir richten diesen Kongress gemeinsam mit dem Bauhaus Dessau aus – einer Institution, die wie kaum eine andere die Baukultur der Moderne geprägt hat. Einen besseren Partner für dieses Unternehmen konnten wir uns kaum wünschen. Ich möchte insbesondere Walter Prigge von der Stiftung Bauhaus Dessau herzlich danken, der sich intensiv an der Vorbereitung beteiligt hat. Er wird gleich im Anschluss zu Ihnen sprechen.

Ein spezielles Dankeschön geht an das Team der Stiftung, das diese Konferenz aus der Taufe gehoben hat, namentlich an Sabine Drewes und Judith Utz von unserem Referat für Kommunalpolitik und Stadtentwicklung: starke Leistung!

Die Ziele von "Urban Futures"

„Urban Futures“ verfolgt zwei korrespondierende Ziele: Zum einen geht es darum, den internationalen Dialog über den Beitrag der Städte zur Lösung der Klimakrise zu vertiefen, Ideen und Erfahrungen auszutauschen und urbane Strategien zu diskutieren. So verschieden sie entsprechend ihrer unterschiedlichen Ausgangs¬bedingungen sein mögen, haben sie doch zumindest eines gemeinsam: dass sie dem Leitbild der nachhaltigen Stadt verpflichtet sind.

Unser zweites Anliegen ist es, Zukunftsentwürfe  nachhaltiger Architektur und Stadtgestaltung einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Wir brauchen die stimulierende Kraft visionärer Entwürfe und Modelle, um gegen die Macht der Gewohnheit und die Trägheit der politischen und kommerziellen Mächte den ökologischen Umbau der Stadt zu beschleunigen.

Architektur und Städtebau waren schon immer ein kosmopolitisches Metier. Baumeister und Handwerker wanderten schon in der Antike von Land zu Land – das gilt heute erst recht, wo nationale Grenzen sich allenfalls als Restriktionen des jeweiligen Bau-  und Planungsrechts bemerkbar machen.

Auch wenn die urbanen Realitäten im alten Europa, in den USA, in Asien oder Lateinamerika sich in vielem fundamental unterscheiden, stehen Städte doch fast überall auf der Welt vor gemeinsamen Problemen und Herausforderungen. Es macht deshalb Sinn zu fragen, wie Städte in verschiedenen Weltregionen sich der Aufgabe stellen, die Treibhausgas-Emissionen drastisch zu senken und einen zukunftsfähigen Entwicklungspfad einzuschlagen. Wie können sie der Energienachfrage und den Mobilitätsbedürfnissen einer weltweit wachsenden städtischen Bevölkerung gerecht werden, ohne die Ökosphäre definitiv zu ruinieren? Wie verwandeln wir unsere Städte zu Netto-Energieproduzenten auf der Basis erneuerbarer Energien? Wie sieht das Verkehrssystem der  Zukunft aus, das individuelle Mobilität mit einem Maximum an Flexibilität und einem Minimum an Flächenverbrauch und Emissionen verbindet? Wie holen wir mit Hilfe modernster Technik wieder mehr Nahrungsmittelanbau in die Städte zurück und verwandeln monofunktionale Gebäude in multifunktionale Gebilde?

Auf diese Fragen werden im Verlauf der Konferenz herausragende Vertreter ihres Fachs antworten. Den Auftakt macht Peter Head, Direktor des renommierten Architekturbüros Arup, das sich u.a. mit der Planung der chinesischen Ökostadt Dongtan einen Namen gemacht hat. Dongtan soll eine der ersten CO2-neutrale Städte Chinas werden, die ihren Energiebedarf aus erneuerbaren Energiequellen deckt und eine weitgehend kohlenstofffreie Mobilität ermöglicht. Wir nehmen das als hoffnungsvolle Botschaft, da auch die neu aufsteigenden Wirtschaftsmächte des Südens den Übergang zu sinkenden Emissionen schaffen müssen, wenn der Klimawandel in handhabbaren Grenzen gehalten werden soll.

Darüber, wie China der doppelten Herausforderung der Urbanisierung und des Klimawandels begegnen soll, wird Professor Long Weiding sprechen, den ich ebenfalls sehr herzlich begrüße. Er forscht an der Tongji-Universität in Shanghai zu diesen Themen und berät auch die chinesische Regierung. 
Anschließend wird Renate Künast, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag und langjährige Berliner Stadtpolitikerin, ihre Sicht auf die Zukunft der Stadt darlegen.

Morgen werden wir unter anderem Vorträge von Peter Droege und Raquel Rolnik hören. Wir freuen uns außerordentlich, dass wir beide für diese Veranstaltung gewinnen konnten. Peter Droege werden viele von Ihnen als weltweit tätigen Experten für die „erneuerbare Stadt“ kennen – und damit ist durchaus mehr gemeint als nur die Umstellung auf erneuerbare Energien. Er wird uns morgen in die Notwendigkeit der urbanen Energierevolution einführen, die schwerpunktmäßig den Stadtumbau in westlichen Industrieländern betrifft.

Raquel Rolnik wird als UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen erläutern, wie sich der Klimawandel auf Städte wie Sao Paulo und dort auf unterschiedliche soziale Gruppen auswirkt.

Auch in den Foren heute und morgen werden  spannende internationale wie einheimische Projekte vorgestellt. Ich möchte Sie alle einladen, sich rege an diesem grenzüberschreitenden Austausch zu beteiligen.

Verantwortung für den Klimawandel übernehmen

Wer dem Klimawandel zu Leibe rücken will, muss sich  mit der Bautätigkeit der Menschen befassen. In den hochindustrialisierten Ländern entfallen rund 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen auf den Gebäudesektor. Zwar gibt es inzwischen weltweit innovative Beispiele für „Green Buildings“ mit drastisch reduziertem Energie- und Wasserverbrauch.  Gemessen am Gesamtvolumen von Neubau und Bestand ist der Bausektor jedoch eher innovationsträge. Das hängt zum einen mit den langen Lebens- und Abschreibungsszyklen von Gebäuden zusammen. Entsprechend langsam ist die Innovations¬geschwindigkeit im gebauten Raum.

Es gibt aber auch professionelle Defizite bei vielen Architekten, Bauleuten und Immobilienmanagern. Lange Zeit spielten Energieeffizienz und Nachhaltigkeit weder in der Ausbildung noch in der beruflichen Praxis eine große Rolle. Das hat sich inzwischen geändert. Zumindest im Neubau zeichnet sich ein Boom ökologischen Bauens ab. Es gehört zum guten Ton, über Energiebilanzen und ökologische Baustoffe Bescheid zu wissen. Technische Fortschritte, neue Materialien und besseres Design ermöglichen die Integration von Funktionalität, Ästhetik und Ökologie.

Erst kürzlich übergab der Bund Deutscher Architekten dem Bundesbauminister das von zahlreichen Architekten, Ingenieuren und Landschaftsplanern unterzeichnete Manifest „Vernunft für die Welt“, in dem sie für ihre Zunft Verantwortung für den Klimawandel übernehmen. Auch einige der auf unserer Konferenz anwesenden Architekten haben dieses Manifest unterschrieben. Ich nehme das als bewusste und definitive Abkehr von der „Charta von Athen“, in meinen Augen eines der verhängnisvollsten programmatischen Dokumente der Neuzeit.

Das alles stimmt durchaus hoffnungsvoll. Viele Fragen einer „Low Carbon Baukultur“ sind aber noch unbeantwortet. Wie übersetzen wir ambitionierte Pionierprojekte in einen umfassenden Stadtumbau, der auch den Gebäudebestand ergreifen muss?  Visionen der zukunftsfähigen Stadt können nicht beim einzelnen Gebäude stehenbleiben. Und selbstverständlich geht es nicht nur um Technik, sondern um neue Entwürfe urbanen Arbeitens und Lebens, urbaner Mobilität und Öffentlichkeit. 

Die Gestaltung der nachhaltigen Stadt ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dabei ist die Politik auf allen Ebenen ebenso gefordert wie Investoren,  Bauherren und –damen, Stadtplaner, Architekten und die städtische Öffentlichkeit – also wir alle. Wir hoffen sehr, mit diesem Kongress nachwirkende Anstöße für die große Herausforderung zu geben, die Stadt neu zu denken und neu zu bauen.

Dieses Jahrhundert wird das Jahrhundert der Städte sein. In nicht allzu langer Zeit werden weltweit 70% der Menschheit in Städten leben. Das heißt: In den Städten entscheidet sich, ob wir einer humanen Zukunft entgegengehen, die das Gleichgewicht mit dem Ökosystem wiederherstellt und soziale Teilhabe für alle ermöglicht.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine erfolgreiche Konferenz!


Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.

Dossier

Urban Futures 2030

Welche Visionen gibt es für Städtebau und urbane Lebensweisen heute? Wie stellen Beiträge über zukunftsorientierte Stadtentwicklung.vor, die aus westlichen Staaten sowie aus den neuen Industrienationen in Asien und Südamerika stammen.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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