Die Wahlen und Demonstrationen im Iran haben in den Medien und den Metropolen der arabischen Welt Unruhe ausgelöst. Das Syrien der Hisbollah und Katar nahe stehende Lager, favorisiert eindeutig die offizielle Linie des Iran. Jene, die den Iran fürchten, insbesondere im Arabischen Golf, erwarten hingegen den Zusammenbruch der iranischen Regierung ähnlich wie in der Revolution von 1979. Sami Moubayed bezweifelt jedoch, dass die derzeitigen Entwicklungen zu radikalen Veränderungen führen werden. Er geht davon aus, dass, während Irans arabische Verbündete passiv bleiben und abwarten, bis das Land seine inneren Angelegenheiten geklärt hat, seine Gegner letztlich wohl mit einer Enttäuschung rechnen müssen.
Die Wahlen im Iran haben in den Medien und den Metropolen der arabischen Welt mehr als nur Unruhe verursacht.
Mehrere Medienunternehmen, allen voran der saudiarabische Sender Al-Arabiyya, rechnen mit einem völligen Zusammenbruch im Iran und berichten dem gemäß ausführlich über das Chaos, seit die Wahlergebnisse zeigten, dass Präsident Mahmud Ahmadinedschad eine weitere Periode im Amt bleiben wird. Einen zurückhaltenderen Ansatz vertreten Medien, die Syrien, der Hisbollah und Katar nahe stehen. So berichtet etwa Al-Jazeera über die Wahlen mit eindeutiger Distanz sowohl zu Ahmadinedschad als auch seinem unterlegenen Konkurrenten Mir-Hussein Mousawi. Der Hisbollah-Sender Al-Manar TV dagegen bezieht augenfällig Stellung für die bisherige Regierung und Großayatollah Ali Chamenei.
Auch die staatlich gelenkte Presse Syriens bemühte sich zunächst um eine Haltung der Distanz, begrüßte dann jedoch Ahmadinedschads Sieg als endgültig und berichtet nicht über die Demonstrationen und Gegendemonstrationen, die den Iran seit Mitte Juni erschüttern. Die unabhängigen Tageszeitungen hingegen brachten aktuelle Reports über die Ereignisse, die sich durch große Unparteilichkeit auszeichneten. Präsident Bashar Al-Asad war einer der ersten Staatsmänner, die dem iranischen Präsidenten gratulierten; in einem Brief versprach er ihm die Fortsetzung der Zusammenarbeit beider Länder, die „beide einen gerechten und umfassenden Frieden in der Region und der Welt insgesamt anstreben“.
Das Vorbild Iran
Abdulsalam Haykal, ein syrischer Medienguru und Herausgeber zahlreicher arabisch- und englischsprachiger Zeitschriften, schrieb: „Die Regierungen der Welt wollen die Iraner bestrafen und als Übeltäter in die Ecke drängen, doch sie vergessen dabei, dass sich der Iran im Gegensatz zu den anderen Ländern des Nahen Ostens einiger der fortschrittlichsten Institutionen in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Forschung rühmen kann“. Haykal, der auch dem Aufsichtsrat der angesehenen amerikanischen Universität in Beirut angehört, fügte hinzu: „Führende Universitäten auf der ganzen Welt erkennen an, dass iranische Ingenieure und Wissenschaftler international zu den besten und produktivsten zählen. Selbst wenn wir Meinungsverschiedenheiten mit dem Iran haben, sollten wir nicht vergessen, dass dieses Land seinen Bürgern Wohlstand und eine sich entwickelnde demokratische Regierungsform beschert hat. Das bezeugen auch die in diesem Teil der Welt ungewöhnlichen Proteste, und sie zeigen zudem, wie stark die iranische Jugend in Sachen Technologie ist“.
Auch Scheich Hamad Bin Khalifa Al-Thani von Katar verteidigte die iranische Demokratie und erklärte, trotz ihrer Rückschläge sei sie gesünder als jedes andere politische System in der arabischen Welt. Irrtümlicherweise behauptete er zwar, der Iran habe seit der islamischen Revolution von 1979 vier Präsidenten gehabt – mehr als alle andere arabischen Länder. Tatsächlich waren es aber nicht vier, sondern von Abolhasan Banisadr bis zu Ahmadinedschad sogar sechs. Sein Premierminister Scheich Hamad Bin Jassem Al-Thani vertrat wenig später gegenüber Al-Jazeera den Standpunkt: „Wir müssen dies als interne Angelegenheit betrachten, denn jedes Land und seine inneren Belange sollten respektiert werden“.
Unterschiede zu 1979
Sowohl das Lager Mousawi als auch jenes von Ahmadinedschad sorgen sich um die Zukunft des Iran. Viele in der Golfregion, die den Iran seit Jahren fürchten, machen sich auf einen völligen Zusammenbruch des Landes gefasst und versuchen, Parallelen zu ziehen zwischen dem, was heute geschieht, und den Ereignissen im Iran des Jahres 1979.
Die einzige Ähnlichkeit sind allerdings Demonstranten auf den Straßen und Prediger in Moscheen, die mit „Allahu Akbar“ zum Gebet rufen. Die Verfechter dieser Theorie werden enttäuscht reagieren, wenn die Demonstrationen in den kommenden Wochen allmählich abebben, und zwar eben deshalb, weil keine gemeinsame und klare Linie vorhanden ist. Zudem bestehen zwischen 1979 und 2009 fundamentale Unterschiede in den Zielen, der Vorgeschichte und der Führung.
Damals verfügten die Iraner über die starke, charismatische Führerfigur des in Frankreich lebenden Ruhollah Khomeini. Und dieser hatte ein klar definiertes Ziel - das Ende des Schah auf seinem Pfauenthron. Wenn man heute die demonstrierenden Iraner auf der Straße nach ihrem Ziel fragt, bekommt man keine keine übereinstimmende Antwort. Tatsächlich sagt keiner von ihnen, dass sie beabsichtigen, das Ende der Revolution herbeizuführen. Manche erklären, sie wollen die Revolution „läutern“. Andere möchten Ahmadinedschad entmachten – ohne tatsächlich auszusprechen, dass sie Mousawi an seiner Stelle sehen wollen, der sich in seiner Zeit als Premierminister in den 1980er Jahren nicht gerade als großer Demokrat hervorgetan hat. Mousawi, der in der westlichen Presse fälschlicherweise als „Oppositionsführer“ bezeichnet wird, ist tatsächlich ein Produkt der Revolution; allerdings kann er nicht annähernd das Charisma aufweisen, das ein Khomeini 1979 hatte.
Worauf es bei einem Vergleich der Situation 1979 mit heute aber letztlich ankommt ist die Tatsache, dass der Schah erst verloren hatte, als die iranischen Soldaten aufhörten, auf die Demonstranten zu schießen. Jedes Regime, sei es noch so stark, kollabiert, wenn seine Soldaten den Befehl verweigern und sich gegen die Regierung auf die Seite des Volkes stellen. Nach allem, was man hört, ist dies heute im Iran nicht der Fall, und nichts weist darauf hin, dass die iranische Armee sich gegen Präsident Ahmadinedschad oder Großayatollah Chamenei erheben wird.
Von wichtigen Ereignissen abgelenkt
Ahmadinedschads arabische Befürworter sind besorgt; sie glauben, „der Westen“ habe sich im Iran eingemischt, und meinen damit unausgesprochen, aber eindeutig die Vereinigten Staaten. Mehrere „kreative“ Theorien werden von Analysten, Journalisten und politischen Kommentatoren verbreitet. Eine besagt, die USA hätten die gesamte Situation geschürt, um die Aufmerksamkeit des Iran vom Rückzug der amerikanischen Truppen aus den irakischen Städten und Dörfern bis zum 30. Juni 2009 abzulenken. Die Vertreter dieser Theorie meinen, der Iran hätte Guerillaattacken auf sich zurückziehende US-Truppen unterstützt, um sich an Barack Obama für die katastrophale Lage zu rächen, die George W. Bush im Irak hinterlassen hat.
Es stimmt allerdings, dass der Iran tatsächlich von Ereignissen abgelenkt ist, die den Entscheidungsträgern in Teheran normalerweise viel bedeuten. Obenan auf dieser Liste stehen die Lage im Irak und die Stimmung im Libanon nach der Wahl dort. Irans Verbündete, die von der Hisbollah angeführte Opposition, konnte nicht, wie viele erwartet hatten, die Mehrheit im libanesischen Parlament für sich gewinnen, sondern errang lediglich 58 der 128 Parlamentssitze. Wenngleich Irans Verbündeter Nabih Berri als Sprecher des libanesischen Parlaments wiedergewählt wurde, dürfte sich Teheran wohl nicht über die kürzlich erfolgte Ernennung von Saad Harriri, einem lautstarken Gegner der alten iranischen Regierung, zum Premierminister freuen.
Fakt ist jedoch, dass die iranischen Verantwortlichen im Moment zu beschäftigt sind, um sich mit diesen Dingen zu befassen. Für sie geht es in erster Linie darum, die innere Ordnung wiederherzustellen, und die Verbündeten des Iran werden abwarten, bis die inneren Angelegenheiten des Landes geklärt sind, ehe sie versuchen, seine Hilfe bei regionalen Problemen in Anspruch zu nehmen.
Sami Moubayed lebt in Damaskus; er ist Schriftsteller, Universitätsprofessor, Historiker und Chefredakteur der syrischen Zeitschrift Forward. 2006 erschien sein Buch „Steel & Silk: Men and Women Who Shaped Syria 1900 – 2000“.