„Wir brauchen neue Regeln zur Regulierung des Wirtschaftslebens“

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9. Juli 2009
Der Umweltethiker Konrad Ott ist Initiator des Manifestes "Aufbruch und Wandel": Darin kritisiert er, dass die politischen und ökonomischen Eliten Katastrophenhilfe für das „gescheiterte, neoliberale Wirtschaftsmodell“ organisieren, ohne die Grundlagen dieses Modells in Frage zu stellen.

Er formuliert Antworten auf die Wirtschafts-, Finanz- und Umweltkrise und macht Vorschläge, wie der Green New Deal verwirklicht werden könnte. Dazu gehören Ideen für die Regulierung der Finanzmärkte, für eine grüne und gerechte Steuerreform sowie für eine konkrete ökologische Politik. Professor Dr. Konrad Ott hat den bislang einzigen Lehrstuhl für Umweltethik in Greifswald inne. Seine Forschungsgebiete sind nachhaltige Entwicklung und ethische Aspekte des Klimawandels.

 

Frage: In Ihrem Manifest „Aufbruch und Wandel“ beklagen Sie die Hegemonie des Neoliberalismus, die keine Antwort auf heutige Krisen wie Lebensmittelknappheit, Klimawandel oder globale Armut habe. Doch auch der Green New Deal sei bislang nicht viel mehr als ein Sammelbegriff für Wege aus der Krise. Was sind die Kernforderungen Ihres Manifestes?

Green New Deal ist ja zunächst nur eine titelartige Überschrift für ein mögliches Regelwerk, das dann letztendlich in politischen Debatten konkretisiert und spezifiziert werden muss. Diese titelartige Überschrift bedarf gewissermaßen der Untersetzung. Die Botschaft des Manifestes ist klar: Wir brauchen neue Regeln zur Regulierung des Wirtschaftslebens, und das Manifest enthält erste Vorschläge zu einer solchen Regulierung. Die Kernbotschaft ist also: Reguliert das System neu, reguliert es strenger, als es bisher geregelt worden ist, und widersteht der Versuchung, rasch wieder in das Fahrwasser von „business-as-usual“ hineinzurutschen oder nur noch zu fragen, welche Firma vom Staat (nicht) gerettet werden sollte.

Können Sie Beispiele nennen?

Der Regelteil im Manifest hat zwei Teile: zum einen Wirtschaft, zum anderen Umwelt. Der Teil über Wirtschaft geht von der Regulierung der Finanzmärkte über Ideen zu einem gerechten und nachhaltigen Steuersystem bis hin zu Verbraucherpolitik, Verkehrspolitik und Industriepolitik, die dann schon zum zweiten Teil, der eigentlichen Umweltdimension, überleiten.

Wie würden Sie zum Beispiel ein gerechtes und nachhaltiges Steuersystem organisieren?

Ein Vorschlag, der zunächst einmal ziemlich radikal anmutet, besteht darin, dass wir dafür plädieren, ein zulässiges Höchsteinkommen einzuführen. Das heißt, ab einem bestimmten Einkommen beträgt der Steuersatz 100 Prozent. Wo die Schwelle dann liegt, kann man politisch verhandeln: Man könnte sagen, beim 12- oder beim 20-fachen eines Durchschnittverdienstes.

Wir sind dann sogar der Meinung, dass die breiten Mittelschichten im Grunde eher moderat besteuert werden sollten, dafür aber auch die gesamten Schlupflöcher tatsächlich gestopft werden. Und wir schlagen vor, dass gerade auch Anreize für die „working poor“ steuerrechtlich umgesetzt werden sollten, dass man also teilweise mit einer negativen Einkommenssteuer arbeitet, um das Einkommen der Geringverdienenden so weit aufzustocken, dass man von Arbeit auch auskömmlich leben kann, aber gleichzeitig sogar ein Anreiz bleibt, tatsächlich einer Erwerbsarbeit nachzugehen.

Deswegen haben wir zum Beispiel die Forderung nach einem bedingungslosen Bürgergeld als Grundeinkommen nicht ins Manifest aufgenommen, sondern dort andere Akzente gesetzt. Unsere Vorschläge würden die Unterschiede in den Einkommen verringern. Einkommen sind für uns nicht nur Marktergebnisse, sondern gründen auch in geleisteten Beiträgen zu einem System der Kooperation in einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Und da leisten Krankenpfleger womöglich ebenso viel wie Finanzexperten.

Warum veröffentlichen Sie Ihre Forderungen ausgerechnet jetzt?

Weil dieses Jahr ein Jubiläumsjahr ist – 60 Jahre Bundesrepublik, 20 Jahre Fall der Mauer, übrigens auch 40 Jahre Woodstock – und weil es ein Wahljahr ist. Und weil man auf diese doch sehr schwer wiegende Krise, wie ich denke, politisch reagieren musste, um eine breite, zivilgesellschaftliche Debatte vielleicht ein wenig zu beleben und einen kleinen Impuls zu setzen, wohin die Reise in diesem Land mit Wirtschaft und Umwelt in Zukunft gehen sollte.

Sie üben in Ihrem Manifest Wachstumskritik. Dies ist nicht neu. Wo soll der neue Schub herkommen?

Wachstumskritik würde ich ein wenig differenzieren. Wir sagen, dass diese eine Messgröße namens Bruttoinlandsprodukt (BIP) bestimmte Dinge ganz gut misst, sie ist ein Maß für wirtschaftliche Aktivität, aber sie ist nicht unbedingt auch ein Maß für gesellschaftlichen Wohlstand und sie ist kein Maß für Lebensqualität.

Bekanntlich enthält das BIP eine ganze Reihe von Verbuchungsfehlern, d.h. Dinge, die eigentlich nicht wünschenswert sind, tragen zum Wachstum des Bruttoinlandsproduktes bei. Andere Dinge, die eher positiv zu bewerten sind, verringern das Wachstum, da könnte ich jetzt eine ganze Reihe von Beispielen nennen. Wir fordern also nicht dogmatisch Nullwachstum, sondern wir wollen diese Kennziffer BIP stark relativieren, weil wir glauben, dass sie über die wirkliche Stärke einer entwickelten Volkswirtschaft gar nicht so viel aussagt, wie gemeinhin angenommen wird. Wir wollen sie dadurch natürlich auch als Maßstab für politischen Erfolg in Frage stellen, also die Auffassung, dass nur der ein guter Politiker ist, der dafür sorgt, dass die Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes möglichst hoch sind.

Neu ist diese Kritik nicht. Wir hatten in den 1970er Jahren bereits eine Kritik am Bruttoinlandsprodukt und am Wachstumsdenken, die sehr weit entwickelt war. Insofern erinnern wir im Grunde nur an einen Diskurs, der in den 1980er Jahren eher abgebrochen als ausgetragen wurde.

Wie gelingt es, dass der Green New Deal nicht ausschließlich als ökologisches Investitionsprogramm, sondern als gesellschaftliches Projekt, als Transformation ins postfossile Zeitalter begriffen wird?

Dazu kann so ein Text natürlich nur sehr wenig beitragen. Es käme zunächst einmal darauf an, dass wir die gesamte Diskurslandschaft, neudeutsch "framing", also etwas verändern und verschieben. Und nicht nur über die Rettung von dieser oder jener Firma reden oder darüber, wie viel Prozent in einem Konjunkturprogramm einen ökologischen Akzent haben mögen. Das sind Verkürzungen der Debatte, die uns irgendwann einholen werden.

Wir brauchen eine breiter aufgestellte Debatte, die die Finanz- und Wirtschaftskrise in den größeren Kontext der eigentlichen - empathisch gesagt - Menschheitsfragen stellt, nämlich Klimawandel, Naturverbrauch, Armut, Nahrungsmittelsicherheit. In gewisser Weise kehren die Themen der 1970er Jahre wieder und die Menschen, die damals engagiert waren, sollten neue Allianzen mit der jungen Generation bilden.

Aber ist die Welt wirklich reif für den Green New Deal? Oder könnte der Markt nicht radikal jede Umwelt-Effizienz, die irgendwo erreicht wird, an anderer Stelle wieder zerstören?

Nicht notwendigerweise. Es gibt verschiedene Modelle von Marktwirtschaft, darunter auch solche, wo die Unternehmen durch staatliche Regulierungen dazu genötigt werden, innovative Produkte zu kreieren, so dass sich sog. "Lead"-Märkte herausbilden können. Sind diese Innovationen einmal zum üblichen Standard geworden, werden sie in aller Regel beibehalten. Es gibt weltweit nicht nur das viel beklagte "race to the bottom", sondern auch eine Diffusion fortschrittlicher Verfahren und Produkte. Daher sollten Deutschland und die EU eine Vorreiterrolle bei sog. "starken" Umweltinnovationen einnehmen. Im Jahresgutachten 2008 des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU, Kap. 2) finden sich hierzu nähere Ausführungen.

Wie gesagt, dies alles sind Denkanstöße und Vorschläge. In einer Zeit, in der sich fast alle Parteien einen "grünen" Anstrich geben, sollten Bündnis '90/Die Grünen diese Zukunftsthemen offensiv und selbstbewusst besetzen.

Das Interview führte Karoline Hutter, Heinrich-Böll-Stiftung.

 
 
 

Böll.Thema Ausgabe 1/2009 - Green New Deal

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