In Tschetschenien wurde am Mittwoch Natalja Estemirowa ermordet: Die Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Memorial, einer langjährigen Partnerorganisation der Heinrich-Böll-Stiftung, war morgens entführt worden. Am frühen Nachmittag wurde ihre Leiche in der benachbarten Republik Inguschetien gefunden, etwa 40 Kilometer von Grosny entfernt.
Zum Mord an Natalja Estemirowa erklärt Jens Siegert, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau: "Wir sind empört und wütend über den Mord an der russischen Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa. Wir trauern tief mit ihren Nächsten. Der viel zu frühe und tragische Tod Natalja Estemirowas ist ein enormer Verlust für uns alle."
Natalja Estemirowa war eine der führenden und aktivsten Mitarbeiterinnen von Memorial im Nordkaukasus. Sie sammelte und veröffentlichte zusammen mit ihren KollegInnen Informationen über Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, vor allem aber nicht nur in Tschetschenien.
"Natalja Estemirowa hielt sich nicht zurück und nannte ein Verbrechen beim Namen: Dabei ging es um Entführungen, das Verschwindenlassen und Ermorden von Menschen, Androhungen von Gewalt, Einschüchterungen und auch die zunehmende, zwangsweise Islamisierung Tschetscheniens durch Kadyrow mit immer stärkerer Gängelung vor allem der Frauen. Die meisten Männer in Tschetschenen schweigen ohnehin. Zu hoch ist der Preis für sie, den Mund aufzumachen.
Wir fordern Russland dazu auf, seinem rechtsstaatlichen Anspruch gerecht zur werden und für die rasche und vollständige Aufklärung des Mordes an Natalja Estemirowa zu sorgen", erklärt Jens Siegert.
Erst am Montag dieser Woche hatte Natalja Estemirowa in einem Artikel auf der Website von Memorial kritisiert, dass die Zahl der Entführten in Tschetschenien seit der Aufhebung des sogenannten "antiterroristischen Regimes" durch Präsident Dimitri Medwedjew im April dieses Jahres wieder angestiegen sei. Allein 2008 hatte es insgesamt 42 Entführungen gegeben. Zuletzt arbeitete Natalja Estemirowa an weiteren, neuen Fällen von Entführung und außergesetzlichen Hinrichtungen und löste damit Unmut in der tschetschenischen Führung aus. In ihrer Arbeit folgte Natalja Estemirowa der Journalistin Anna Politkowskaja, mit der sie eng zusammengearbeitet hatte. Anna Politkowskaja war vor knapp drei Jahren in Moskau vor ihrem Haus ermordet worden.
Natalja Estemirowa schloss sich Anfang 2000, kurz nach Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs, Memorial an: Die Menschenrechtsorganisation arbeitet seit 1990 eng mit der Heinrich-Böll-Stiftung in Russland zusammen.
Zum ausführlichen Beitrag von Jens Siegert, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau.
Fachkontakt:
Jens Siegert
Büroleiter Moskau
E-Mail: siegert@boell.ru
Telefon: 0175-9627262 (derzeit anlässlich des 9. Petersburger Dialogs in München)