Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten eine strategische Rolle in der atomaren Abrüstungspolitik erarbeitet. Darauf baut auch die neue US-Administration bei der Suche nach Partnern für ihren neu eingeschlagenen Weg zu einer atomwaffenfreien Welt (Global Zero). Doch je mehr Bewegung in die internationale Abrüstungsdebatte kommt, desto leiser werden die Stimmen aus Deutschland. Und so wird sich bei den nun anstehenden Vorbereitungen der im Mai 2010 stattfindenden Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperr- bzw. Nichtverbreitungsvertrags (NVV) nicht nur die Zukunft des NVV-Regimes entscheiden, sondern auch die abrüstungspolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands zeigen.
Einmaliger Stand im Nichtverbreitungsregime
Die Tatsache, dass Deutschland das Know-how hatte, Atomwaffen zu bauen, sich aufgrund öffentlichen Drucks jedoch letztlich dagegen entschied, hat dem Land einen einmaligen Status im internationalen Nichtverbreitungsregime eingebracht. Diese Rolle hat die Bundesrepublik durch ihr vehementes Eintreten für den Nichtverbreitungsvertrag in den vergangenen Jahrzehnten deutlich ausgebaut.
Mit seiner 10-Punkte-Initiative gab beispielsweise der damalige Bundesaußenminister Klaus Kinkel im Dezember 1993 wegweisende Ziele für die Agenda der nuklearen Nichtverbreitung, Abrüstung und Rüstungskontrolle vor. Auch das deutsche Arbeitspapier "Attainig a Nuclear Weapon-Free World" von 2002 zur Vorbereitungskonferenz (PrepCom) für die NVV-Überprüfungskonferenz 2005 sowie die PrepCom Papiere von 2004 fanden viel Beachtung.
Überprüfungskonferenz 2010
Die im Mai 2010 anstehende Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages wird nach dem Scheitern der Konferenz von 2005 zum Scheideweg für das Nichtverbreitungsregime. Der NVV ist nach wie vor eines der wichtigsten Stücke des Völkerrechts im Rahmen internationaler Sicherheit und Frieden. Allerdings bröckelt es bekanntermaßen seit der Entdeckung des geheimen irakischen Nuklearwaffenprogramms - trotz einiger Fortschritte, wie der unbegrenzten Verlängerung des Vertrages 1995, - an allen Ecken und Enden des Vertrags. Prominente Beispiele sind der Rückzug Nord-Koreas, die Streitigkeiten mit dem Iran, der US-Indien Deal sowie die nicht eingehaltenen Abrüstungsschritte der Atomwaffenstaaten.
Der Richtungswechsel in den USA lässt jedoch hoffen. Die PrepCom im Mai dieses Jahres war der Beginn für neue vertrauensbildende Maßnahmen. Die USA haben erkannt, dass die alleinige Fokussierung auf die Nichtverbreitung in eine Sackgasse geführt hat. Ohne Abrüstungsschritte der Atomwaffenbesitzer ist auch die Weiterverbreitung von Nukleartechnologie nicht in den Griff zu bekommen. Diese Erkenntnis ist eine Mindestvoraussetzung für jegliche neue Verhandlungen. Um die Überprüfungskonferenz 2010 zum Erfolg zu führen, reicht dies allein jedoch nicht aus, wie die PrepCom ebenfalls zeigte. Zwar einigte man sich auf eine Agenda für 2010, allerdings konnten keine substantiellen Empfehlungen für die Überprüfungskonferenz erzielt werden. Das zeigt, wie tief der Graben zwischen den Atomwaffenstaaten und den Habenichtse weiterhin ist und wie hart in den nächsten Monaten vor allem bezüglich der Abrüstungsverpflichtungen noch gearbeitet werden muss.
USA brauchen Vorreiterstaaten
Hauptakteure bei den Abrüstungsverpflichtungen sind und bleiben die USA und Russland.
Sollte US-Präsident Obama nach seinem außenpolitischem Paukenschlag in Prag, der Einigung zum START-Nachfolgeabkommen mit Russland und den Vorbereitungen zur US-Ratifizierung des Kernwaffenteststopp-Vertrages (CTBT) sein abrüstungspolitisches Tempo beibehalten, sind die Chancen für eine erfolgreiche Überprüfungskonferenz gut. Dennoch können die USA und Russland den Global Zero Zug nicht ohne Schützenhilfe anderer Staaten auf die Schiene setzen. Das START-Nachfolgeabkommen oder auch der CTBT sind wichtig, aber in den Augen vieler Staaten doch eher eine Selbstverständlichkeit. Angesichts der ungeheuren Atomwaffenarsenale der ehemaligen Kontrahenten des Kalten Krieges ist der Weg zu einer atomwaffenfreien Welt noch sehr weit. Daher braucht es neben den USA und Russland Staaten, die nach einem knappen Jahrzehnt der abrüstungspolitischen Eiszeit abrüstungspolitische Zukunftsprojekte formulieren und an bereits lange formulierte ambitionierte Vorhaben, wie z.B. eine Atomwaffenkonvention, erinnern. So kann man gleichzeitig Druck auf die Atommächte ausüben und atomwaffenfreie Staaten bei der Stange halten.
Obama hat deutlich formuliert, dass die USA sich dieser Situation, dass sie andere Staaten als Vorreiter brauchen, bewusst sind. Als Kandidat für eine solche Vorreiterrolle fällt in Arbeitsgesprächen immer wieder der Name Deutschlands, das aufgrund seiner einzigartigen geographischen Lage, seines Verzichts auf eigene Atomwaffen trotz der nuklearen Technologiefähigkeit und seiner nuklearen Teilhabe beim gleichzeitigen Bekenntnis zur Abrüstung besonders geeignet wäre.
Mehr deutsches Engagement notwendig
Auf der PrepCom im Mai machte die Bundesregierung jedoch nicht den Anschein, als wolle sie eine derartige Vorreiterrolle auch wirklich einnehmen. Außer dem begrüßenswerten gemeinsamen Papier mit Russland zum Brennstoffkreislauf gab die Bundesregierung kein eigenes Statement ab, sondern agierte lediglich im Rahmen der EU. So sinnvoll ein gemeinsames Handeln der EU-Staaten ist, so wenig trägt die EU aufgrund ihrer atomaren Heterogenität derzeit jedoch zu einer wirklich progressiven Abrüstungspolitik bei. Andere Staaten der EU, wie Schweden und Irland, agieren daher zusätzlich in der New Agenda Coalition (NAC), um über die EU-Position hinausgehende Initiativen anzustoßen. In ihrer Stellungnahme und im Arbeitspapier der PrepCom im Mai unterstrich die NAC die Bedeutung von weiterführenden abrüstungspolitischen Initiativen.
Die Bundesregierung hingegen verwies mit Blick auf ihre – über die EU-Kompromisse hinausgehende – eigene Position lediglich auf ihre PrepCom Arbeitspapiere von 2008. Diese enthalten viele wichtige Forderungen. So soll das IAEO Zusatzprotokoll zum neuen Verifikationsstandard gemacht werden, der Vertrag über das Verbot zur Produktion von waffenfähigem Spaltmaterial (FMCT) vorangebracht werden und der CTBT in Kraft treten. Die meisten dieser Forderungen sind jedoch angesichts der Dynamik der letzten Monate mittlerweile allgemeine Diskussionsgrundlage oder sogar im Arbeitsplan der US-Administration enthalten.
Vorreiter oder Mitläufer?
Um auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt voranzukommen und der US-amerikanischen Bitte um Unterstützung nachzukommen, reicht eine solche Bestandsaufnahme von Initiativen nicht aus. Es braucht den politischen Willen, die notwendigen Zwischenbahnhöfe auf dem Weg zu Global Zero nun auch beim Namen zu nennen, und die Bereitschaft, dort auch selbst Halt zu machen.
Für Deutschland als "Mitmach-Atommacht" hieße das, praktische Abrüstung auch als eigene Aufgabe zu begreifen. In Deutschland lagern nach wie vor rund 20 atomare US-Sprengköpfe und deutsche Tornado-Piloten üben deren Abwurf, womit die Bundesrepublik direkt an der nuklearen Abschreckung der NATO beteiligt ist. Zugleich verlangen wir aber von anderen Staaten, auf Atomwaffen zu verzichten – eine Doppelzüngigkeit, die im Rahmen der Überarbeitung der NATO-Strategie auf den Tisch kommen wird. Die Frage ist nur, ob Deutschland Vorreiter dieser Diskussion sein wird oder nur Mitläufer.
Wenn Deutschland den neuen US-Ansatz von einer Welt ohne Atomwaffen aktiv voranbringen will, müssen wir dem Vorbild Griechenlands und Kanadas folgen und die nukleare Teilhabe in der NATO beenden. Zudem gilt es, konkrete Vorschläge für eine nicht-nukleare Strategie der NATO vorzulegen. Dabei muss vor allem das Konzept der nuklearen Abschreckung wie auch den Ersteinsatz von Atomwaffen begraben werden.
Internationale Vorreiterschaft
Auf internationaler Ebene ist die dringlichste multilaterale Aufgabe, den jüngsten Schub für den Vertrag über das Verbot zur Produktion von waffenfähigem Spaltmaterial (FMCT) auszubauen. Deutschland könnte hier aufgrund seiner Erfahrungen die Federführung bei der Ausarbeitung eines Verifikationsverfahrens übernehmen.
Zudem muss als Zukunftsprojekt die Forderung nach einer Atomwaffenkonvention – also einem völkerrechtlichem Vertrag zur vollständigen weltweiten Abrüstung von Atomwaffen und dem Verbot von Entwicklung, Test, Herstellung, Lagerung, Weitergabe, Einsatz und Androhen des Einsatzes – wieder auf den Tisch. Eine solche Konvention ist nicht von heute auf morgen umsetzbar und könnte erst einmal ohne die großen Akteure angestoßen werden. Dass sie dennoch durchaus erfolgreich sein kann, zeigen andere Abrüstungsinitiativen wie das Ottawa- und Oslo-Abkommen.
Auch der eigene konkrete Nichtverbreitungsvorschlag, die Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufes, muss weiter vorangetrieben, allerdings auch ergänzt, werden. Die Große Koalition teilte in ihrem Vorschlag die Welt erneut in Habende und Habenichtse ein. Die nächste Bundesregierung sollte dies korrigieren und anstreben, dass langfristig alle Anreicherungsanlagen unter multilaterale Kontrolle gestellt werden.
Jürgen Trittin ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Koordinator des Arbeitskreises Internationale Politik und Menschenrechte der Grünen Bundestagsfraktion