Wie funktionieren Weltklimakonferenzen?

Wassertropfen im Spinnennetz. Foto: estaticist. Dieses Foto steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

23. September 2009
von Elisabeth Kiderlen.
Von Elisabeth Kiderlen

2007 kamen gut 10 000 Delegierte und Klimaexperten auf Bali zusammen, dazu die Journalisten und der ganze Öko-Jahrmarkt drum herum. 2008 waren allein 8000 politische Delegierte im polnischen Poznan anwesend. Nach den Vorbereitungskonferenzen im Juni und August 2009 in Bonn, im September in Bangkok, im November in Barcelona werden nun Wetten abgeschlossen:  Wie viele Leute werden sich im Dezember zur entscheidenden Zusammenkunft nach Kopenhagen aufmachen?

Man spricht von 20 000 Leuten, die sich in der Heimatstadt der kleinen Seejungfrau akkreditieren wollen. Und dann sind da diejenigen, die Aktionen planen, um den Delegierten „Feuer unterm Hintern“ zu machen. Ist solch ein Treffen überhaupt arbeitsfähig? Ist es nur ein großer Zirkus? Wie kann eine Konferenz mit so vielen Teilnehmern überhaupt arbeiten?

„Das Geheimnis ist“, sagt Jennifer Morgan, „dass alle wissen, was ihre Rolle ist.“ Die Direktorin des Klima- und Energieprogramms  beim „World Ressource Institute“ in Washington kennt sich aus. Es gibt kaum eine Klimakonferenz, auf der sie nicht präsent war, zuerst als Leiterin des Klimaprogramms von „WWF International“, dann als Direktorin für Klima und Energiesicherheit bei „E3G“,  einer NGO, die u.a. für ihre informelle Klimadiplomatie auf höchster Ebene bekannt ist.

Mit ihren wilden blonden Locken ist Jennifer Morgan unter den vielen Menschen auf den Konferenzen schnell auszumachen. Ständig hantiert sie mit ihrem Blackberry. Papiere hat sie keine dabei, weder Laptop noch Adressbuch. Ihr Arbeitswerkzeug ist 3x5 Zentimeter groß und verbindet sie in Sekundenschnelle per SMS mit aller Welt. Mit jemandem im Büro von Kanzlerin Merkel zum Beispiel oder der Europäischen Kommission in Brüssel oder mit NGOs in Tokyo... Und wenn die Delegierten der 192 Länder unerreichbar in ihren Arbeitsgruppen sitzen, lässt sie ihnen per Blackberry die neuesten  Informationen zukommen. Informationen wie diese:  „Japan hat CO2-Reduktionsziele angekündigt. Nur acht Prozent unterhalb von 1990.“

Das war im Juni auf dem Bonner Vorbereitungstreffen für die große Klimakonferenz in Kopenhagen.  Die Nachricht machte blitzschnell die Runde. Acht Prozent, das sind nur zwei Prozent mehr, als Japan 1997, bei der Abfassung des Kyoto-Protokolls, bis zum Jahr 2012 versprochen hatte. Und seitdem sind die Emissionen des Landes weiter gestiegen. „Acht Prozent, wenn das Schule macht, steuern wir auf mindestens drei-vier Grad Erderwärmung zu“. Auf den Fluren des Maritim Hotels mischte sich Empörung mit Entsetzen. Das war im Juni 2009, im August wurde der japanische Premierminister Taro Aso abgewählt, sein Nachfolger Yukio Hatoyama stellt jetzt eine Reduktion von 20 Prozent in Aussicht. Erleichterung unter Klimapolitikern, denn wenn sich Japan nicht bewegt, stellt auch der ewige Rivale China auf stur. Diese Kurve wurde also genommen, doch es lohnt sich, dabei einen genauen Blick auf die Arbeit der NGOs zu werfen.

Da fehlen sogar dem Vorsitzenden die Worte

Wie auf jeder Klimakonferenz treffen sich auch im Frühsommer in Bonn die Vertreter des „Climate Action Network“ (CAN),  ein weltweites Netzwerk von 450 NGOs, jeden Morgen zur Beratung und Absprache. Die Nachricht aus Japan haben schon alle zur Kenntnis genommen. Die Klimaaktivisten sitzen auf dem Boden oder hocken auf Papierstapeln, Stühle sind rar, keine Aktentaschen - Rucksäcke lehnen an der Wand.

„Wie wollen wir auf Tokyo reagieren? Welche Nachricht soll am Abend über Japans Bildschirme flimmern?“ Das ist die Frage. Es wird nicht lang diskutiert. „Kannst Du?“ „OK.“ „Fein!“ Im Gegensatz zum Berufsstand der Politiker sind die Umweltschützer vom Naturell her erfrischend uneitel. Sachorientiert. Es geht um Fakten, nicht um Ideen.

Monatelang hätte ihre NGO in Tokyo gearbeitet, um die CO2-Reduktionsziele ihres Landes stark zu machen, klagt eine junge Japanerin. Öffentliche Anhörungen zum Klimawandel, Aktionen, Diskussionen, Gespräche mit Regierungsmitgliedern…  sie hätten alles nur Mögliche gemacht. „Und nun dies! Unglaublich!“ An diesem verregneten Sommermorgen sollten sogar dem mit Rückschlägen nur zu vertrauten Vorsitzenden des UN-Klimasekretariats, Yvo de Boer, die Worte fehlen. Auf der Pressekonferenz nach Japans Klimapolitik befragt, fällt dem sonst so unerschütterlichen Moderator und Konfliktmanager nichts mehr ein: „Seit zweieinhalb Jahren mache ich diesen Job, aber zum ersten Mal weiß ich nicht, was ich sagen kann.“ Die kraftlose Ankündigung von Premierminister Taro Aso wird die Bereitschaft aller anderen Industrieländer zur energischen CO2-Reduktion dämpfen und unter den Schwellenländern störrischen Trotz provozieren, so die einhellige Befürchtung.

„In einer Situation wie dieser“, sagt Jennifer Morgan, „ist unsere Rolle klar. Jetzt kann es nur darum gehen, das negative Echo auf die japanische Ankündigung zu bündeln und klarzustellen, dass die japanischen Reduktionsziele von den anderen Ländern nicht akzeptiert werden.“ Flink gleiten ihre Finger über die Blackberry-Tastatur. Sie schickt Kurznachrichten an Empfänger in Deutschland, Südafrika, Australien, bei der Europäischen Kommission. Eine chinesische Kollegin wird gebeten, sofort die chinesische Delegation zu informieren. „Wir müssen jetzt alle überzeugen, dass sie in den japanischen Medien diese acht Prozent kommentieren und die Japaner auf bilateralen Treffen darauf ansprechen“. Die japanischen NGOs sind vorbereitet. Der Gegendruck  muss stark ausfallen, denn im Land der aufgehenden Sonne ist man stolz auf das dort ausgehandelte Kyoto-Protokoll und reagiert empfindlich auf öffentliche Kritik.

Die NGOs repräsentieren im UN-Rahmen die Zivilgesellschaft

Die NGOs und ihre vielen Millionen Mitglieder repräsentieren im Rahmen der Vereinten Nationen die Zivilgesellschaft, ihre Rolle ist es, den Prozess voranzutreiben und Druck auf die Delegierten auszuüben.  „Ohne die Schubkraft der NGOs wäre das Kyoto-Protokoll niemals ratifiziert worden“, sagt Jennifer Morgan. „Und ohne  starken Druck aus der Zivilgesellschaft werden wir auch keinen ehrgeizigen Vertrag in Kopenhagen erreichen.“ 

Der Schlüssel bei der Kooperation von Politik und NGO sind zuverlässige, vertrauenswürdige  Beziehungen. „Wenn du einer Person, die dich nicht kennt, eine SMS schickst, passiert gar nichts. Wenn du aber jemanden seit Langem kennst und vertraust, weiß diese Person, dass sie mit deinen Informationen arbeiten kann.“ Und dann kann alles ganz schnell gehen. Eben wie damals im Frühsommer: Eine Stunde nach der frustrierenden Ankündigung Japans traten Bundeskanzlerin Merkel und der dänische Premierminister Rasmussen in Berlin vor die Bundespressekonferenz – wie es für ihr Spitzentreffen sowieso geplant war. Nur hatten sie die Palette  ihrer Themen um eines erweitert: Ausgesprochen diplomatisch aber deutlich kritisierten sie Japans unzureichendes Klimaangebot - rechtzeitig für die Abendnachrichten im Fernen Osten.

Das war ein Meisterstück erfolgreicher NGO-Arbeit. Hingegen kommt auf dieser Konferenz wie den folgenden die Konsensfindung der politischen Delegierten nur zermürbend zäh voran. Sich auf ambitionierte Ziele zu verständigen, scheint nicht in der Natur demokratischer Politik zu liegen. Diese ist auf Kompromisse angelegt und da ist es gewöhnlich am einfachsten, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Und während die NGOs auch mit Emotionen, Moral und dem Gefühl gerechter Empörung arbeiten, können sich die Klimadiplomaten der Vereinten Nationen nur einer unbeirrbaren, fast eisernen Höflichkeit bedienen.

Im großen Plenarsaal sitzen ehemalige Kolonien in alphabetischer Nachbarschaft neben ehemaligen Kolonialmächten. Vertreter kleiner, vom Untergang bedrohter Inselstaaten neben kraftvoll aufstrebenden Schwellenländern. Staaten, die miteinander Krieg führen, Staaten, die auseinanderzubrechen drohen, Staaten, die polarisieren und Angst verbreiten. Und trotzdem verhandeln sie friedlich miteinander. Ist das nicht erstaunlich?

Alle Entscheidungen müssen einstimmig getroffen werden

„Ja“, sagt Mozaharlu Alam, Delegationsleiter aus Bangladesh. „In einem gewissen Sinn grenzt das schon an ein Wunder, das ist wahr, denn die Kultur der 192 Länder ist so unterschiedlich wie ihre Wirtschaftskraft und ihre Art zu denken.“ Und bei all diesen Unterschiedlichkeiten und nationalen Egoismen müssen die Entscheidungen einstimmig getroffen werden – jedes Land eine Stimme. Auch deshalb die Höflichkeit. Trotzdem wünscht sich der Brasilianer Savio Carvalho, Berater der Southern Climate Change Campaign von Oxfam, mehr öffentliche Auseinandersetzung. „Selbst wenn du tief drin furchtbar wütend bist, musst du zuvorkommend und diplomatisch bleiben. Und das selbst, wenn dein Land morgen absäuft und im Meer verschwindet. Aber wenn ein Inselstaat in fünfzig Jahren untergeht, werden die Menschen vielleicht zu lange höflich gewesen sein.“ 

„Uganda asked to have the floor. Please Uganda, you have the floor.“ Mit gleichbleibender Freundlichkeit erteilt der Vorsitzende den Ländern das Wort. Und auch der Vertreter von Uganda übt sich in Liebenswürdigkeiten: „Mr. Chairman, Sie und Ihr Team haben die Konferenz mit großem Geschick geleitet und wir danken Ihnen sehr. Auch wir haben sehr hart gearbeitet. Und ich bin sogar überzeugt, dass wir einigen Fortschritt erzielt haben, aber die Gruppe ist zu keinem gemeinsamen Entschluss gekommen. Die entwickelten wie die sich entwickelnden Ländern haben sich intensiv bemüht, aber wir haben die Probleme unterbewertet. Bei der nächsten Konferenz werden wir hoffentlich ein besseres Ergebnis abliefern können. Ich danke allen, die uns geholfen haben.“

Zwei mal haben die Delegierte im Juni 2009 die Kapitel „Anpassung“ und „Technologietransfer“ gemeinsam durchgesehen, es gab viele Ergänzungs-  und  Veränderungswünsche.  Bei der Klimakonferenz im August wurde dann die Arbeit am Entwurf begonnen, der in Kopenhagen vorliegen soll. „Gute Arbeit“, sagte UN-Klimasekretär Yvo de Boer. Bei der Reduktion von Treibhausgasen sei die Arbeit allerdings weniger erfolgreich gewesen, verkündet er grimmig. „Wir haben weder eine Einigung über die kollektiven Reduktionsziele der Industrieländer gefunden, noch liegt uns eine komplette Liste der Minderungsabsichten bis 2020 vor.“

Die historische Verantwortung der Industrieländer

 Delegierte der Schwellenländer beharren auf der historischen Verantwortung der Industrieländer  – diese müssten sich zuerst bewegen. „Die entwickelten Länder haben die Früchte der Entwicklung jetzt mehr als hundert Jahre genossen und die sich entwickelnden Nationen fangen gerade an, ein wenig davon zu genießen. Fairerweise sollte deshalb der kleine Rest der CO2-Absorptionsfähigkeit der Atmosphäre für unsere Entwicklung reserviert werden.“ Der Umweltaktivist aus Brasilien ist da kompromisslos.

Zuvorkommende Höflichkeit ist und bleibt die Sprache der Vereinten Nationen, etwas anderes kann sich die Organisation auch gar nicht leisten. Es ist selten, dass ein Delegierter diesen gebieterischen Kodex durchbricht. Doch so war es 2007 in Bali, George W. Bush präsidierte noch im Weißen Haus. Mit erhobener Stimme sagte da ein Vertreter von Papua Neuguinea vor laufenden Kameras dem Vertreter der USA ins Gesicht: „Lead or get out of the way!“ Also: Übernimm endlich die Führung im Kampf gegen den Klimawandel oder mach Dich aus dem Weg! So etwas könnte in Kopenhagen wieder passieren, denn die Dringlichkeit durch den fortschreitenden Klimawandel wächst wie die Enttäuschung der sich entwickelnden Länder über die Industrieländer.“ Oder wie Savio Carvalho es formuliert: „Die Zeit rennt uns weg. Wir können zwar endlos über das Klima verhandeln, aber wir können nicht mit dem Klima verhandeln.“

Doch für die Ergebnisse der Klimakonferenzen sind wesentlich die nationalen Regierungschefs verantwortlich.  „Und da  sollten wir das politische Momentum nicht unterschätzen“, gibt sich Jennifer Morgan optimistisch. „Was wir jetzt sehen, ist, dass Regierungen anfangen, in den Erfolg von Kopenhagen zu investieren.“ Sie nennt Gordon Brown, der Ende Juli einen sehr ambitionierten Finanzierungsvorschlag öffentlich machte: Großbritannien wolle bis 2020 den Entwicklungsländern mindestens 100 Milliarden US-Dollar jährlich für Klimaschutz und die Bewältigung der Folgen des Klimawandels bereitstellen. Finanziert solle der britische Beitrag zum Klimaschutz durch eine realistische Mischung aus Energiesteuern und der Versteigerung von  Emissionen. Für die Klimaaktivistin Jennifer Morgan ist auch das Treffen, auf dem Barack Obama und Angela Merkel über gemeinsame Anstrengungen zum Klimawandel gesprochen haben, von Bedeutung. „Es ist unglaublich wichtig für die Entwicklungsländer zu sehen, dass diese beiden geachteten Persönlichkeiten den Klimawandel ganz oben auf ihre Agenda stellen.“

Der konservative Premierminister Taro Aso wurde inzwischen in Japan abgewählt. Damit ist das Reduktionsangebot von nur acht Prozent vom Tisch. Der neue Premierminister Yukio Hatoyama hat grüne Jobs, die Förderung erneuerbarer Energien und eine ambitionierte Klimapolitik zu seinem Programm erklärt. „Es gibt zur Zeit einen neuen Schwung, eine  Übereinkunft zu erzielen“, so Jennifer Morgan. „Aber ob das eine Übereinkunft für einen bindenden Vertrag sein wird, der die Erwärmung unter zwei Grad hält, ist offen.“ Und sie ergänzt mit einem durch Erfahrung gehärteten Realitätssinn: „Alles ist noch unglaublich offen.“

Elisabeth Kiderlen ist Journalistin und Redakteurin von Böll.Thema, dem Magazin der Heinrich-Böll-Stiftung.

Böll.Thema Ausgabe 2/2009 - Klimawandel und Gerechtigkeit

„Während die Industrieländer vorangehen müssen, sind die Zeiten vorbei, in denen die Schwellen- und Entwicklungsländer die Hände in den Schoß legen dürfen. Alle Länder müssen Klimaschutz betreiben, egal, wie arm sie sind – dies schon allein aus Eigennutz. Außerdem lassen sich etliche Klimaschutzmaßnahmen aufs Beste mit Armutsreduktion verbinden – man denke nur an Solarkocher, um die Abholzung für Brennholz zu vermeiden, oder den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, um allen gleichermaßen Mobilität zu ermöglichen. Dennoch ist klar: Die meisten Entwicklungsländer können und sollen in Kopenhagen noch keine Verpflichtungen eingehen.“ - Lili Fuhr und Tilman Santarius, Heinrich-Böll-Stiftung

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