Inhalt:
Donnerstag, 10. September 2009
- Einleitende Bemerkungen von Ralf Fücks
- Keynote von Oliver Meier
- Strategiediskussion: "Warum gerade jetzt? - Von neuen Abrüstungsbemühungen bis hin zu einer atomwaffenfreien Welt"
- Podiumsdiskussion I: "Die Rettung des Nichtverbreitungsregimes - Strategievorschläge für die Überprüfungkonferenz 2010"
- Podiumsdiskussion II: "Atomenergie und Atomwaffen – Eine unauflösliche Mesalliance?"
- Forum I: "Verhinderung eines atomaren Rüstungswettlaufs im Nahen Osten"
- Forum II: "Rüstungskontrolle und Nonproliferation in Süd- und Ostasien"
- Abschlussdiskussion: "Auf dem Weg zu 'Global Zero'? Die Zukunft des nuklearen Nichtverbreitungsregimes nach 2010"
Donnerstag, 10. September 2009
Einleitende BemerkungenRalf Fücks, Vorstand, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
Ralf Fücks eröffnete die Tagung, indem er die gegenwärtige Debatte über die Nichtverbreitung von Kernwaffen in den geschichtlichen Zusammenhang einordnete und begründete, warum die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung den richtigen Ort für diese Diskussion darstellt. Die Hochzeit des Interesses an diesem Thema lag in den siebziger und achtziger Jahren, als in Deutschland Hunderttausende auf die Straße gingen, um gegen den Rüstungswettlauf zu protestieren. Ein Ergebnis dieser Bewegung war die Gründung der Partei Die Grünen, die auch heute noch gegen Atomenergie und Atomwaffen eintritt.
Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kalten Krieges ließ das Interesse an dem Thema nach, doch durch die Atomwaffenprogramme Nordkoreas, des Irans, Indiens und Pakistans ist es erneut in den Vordergrund gerückt. Hinzu kommt die Besorgnis, dass Terroristen sich Atombomben verschaffen könnten. „Atomare Anarchie ist kein Ding der Unmöglichkeit mehr“, so Fücks. Vor Kurzem wurde von verschiedenen außenpolitischen Schwergewichten eine Kampagne für „Global Zero“, eine Welt ganz ohne Atomwaffen, ins Leben gerufen, die auch die Unterstützung des amerikanischen Präsidenten Obama genießt. Diese Dynamik fällt zeitlich mit dem bevorstehenden Auslaufen des START-I-Vertrags und den Verhandlungen über seine Verlängerung sowie auch der Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags im nächsten Mai zusammen.
Weiterhin trägt auch das Thema Atomkraft zur Wiederbelebung der Debatte um Atomwaffen bei. Es gibt Stimmen, die die Atomenergie als Mittel im Kampf gegen den Klimawechsel sehen, doch, so Fücks: „Wer Atomkraft befürwortet, geht auch das Risiko einer Atombombe ein“. Fücks schloss seine Einführung mit der Bemerkung ab, dass die Bundesrepublik eine lange Tradition darin habe, sich für den Frieden einzusetzen, und nun mehr dafür tun müsse, dass „Global Zero“ Wirklichkeit wird.
Keynote
Oliver Meier, Arms Control Association, Berlin
Oliver Meier begann seine Rede mit der Anmerkung, dass durch Präsident Obamas Unterstützung für eine atomwaffenfreie Welt eine neue Ära im Streben nach Nichtverbreitung von Atomwaffen begonnen habe. Noch nie zuvor hätten sich die Vereinigten Staaten für dieses Ziel engagiert. Nun eröffne sich die Möglichkeit, die nukleare Rüstungspolitik ernsthaft neu zu überdenken. Meier gestand jedoch zu, dass die Idee der atomaren Abschreckung für viele Länder nach wie vor wichtig sei, und eine Abrüstung daher nur allmählich erfolgen könne.
Dann wandte er sich seinem Hauptargument zu – dem Bedarf nach einer von den Atommächten verabschiedeten Doktrin des Verzichts auf den Ersteinsatz von Atomwaffen und der Beschränkung auf die Abschreckung. Meier ist der Auffassung, dass eine solche Politik eine positive Wirkung auf die Atommächte selbst, auf die Beziehungen der Atommächte untereinander und für das Nichtverbreitungsregime haben würde. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass die Doktrin im Bereich des Möglichen liegt: Der Verzicht auf den Ersteinsatz ist Berichten zufolge ein zentraler und vieldiskutierter Aspekt der neuen Haltung der Regierung der Vereinigten Staaten, und auch die NATO debattiert die Rolle, die Atomwaffen künftig in Verteidigung und Sicherheit der Allianz spielen werden. Unter den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat bisher allein China den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen erklärt, und von den anderen Atommächten ist nur Indien diesem Beispiel gefolgt.
Meier sprach auch einige der Schwierigkeiten an, die einer Vereinbarung über den Verzicht auf den Ersteinsatz im Wege stehen. Viele Länder, darunter Russland, betrachten Atomwaffen als Ersatz für mangelnde militärische Stärke im konventionellen Bereich. Weder Frankreich noch Großbritannien schließen den Einsatz von Atomwaffen gegen einen Angriff mit chemischen oder biologischen Waffen aus, wobei Großbritannien einer Zusammenarbeit mit Washington zu diesem Thema offen gegenüber zu stehen scheint. Indien, Pakistan und Israel haben ihre Atomwaffen als Reaktion auf regionale Spannungen entwickelt, und es könnte daher schwierig sein, sie in ein multilaterales System einzubinden.
Meier würde es begrüßen, wenn der Verzicht auf den Ersteinsatz auf der Tagesordnung der Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags stünde. Die Einbeziehung dieses Themas könnte dem Vertrag neue Legitimität verleihen, regionale Planung und Stabilität stärken und möglicherweise die Atommächte, die den Vertrag nicht unterzeichnet haben, in die Vereinbarung einbinden. Er glaubt auch, dass ein gegenseitiger Verzicht es den Vereinigten Staaten und Russland wesentlich erleichtern würde, ihr Arsenal in größerem Maße zu verkleinern. Meier schloss mit der Bemerkung, dass Atomwaffen zum einen Terroristen nicht abschrecken und zum anderen die internationale Zusammenarbeit auf Gebieten wie der Energiepolitik und der Bekämpfung des Klimawechsels erschweren.
Strategiediskussion: "Warum gerade jetzt? - Von neuen Abrüstungsbemühungen bi hin zu einer atomwaffenfreien Welt"
- Claus Wunderlich, Auswärtiges Amt, Berlin
- Henry Sokolski, Nonproliferation Policy Education Center (NPEC), Washington
- Vladimir Orlov, The Russian Center for Policy Studies (PIR), Moskau
- Moderation: Ralf Fücks, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
Claus Wunderlich sieht die atomare Abrüstung in den letzten Jahren zwar im Aufwind, warnte aber vor übermäßigem Optimismus: „Der Weg dorthin ist noch sehr weit“. Er hob die kritische Bedeutung eines Erfolgs der bevorstehenden Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags hervor, da ein erneutes Scheitern die Glaubwürdigkeit des Vorhabens untergraben würde. Wunderlich betrachtet den Iran und Nordkorea als die größten Herausforderungen für die Nichtverbreitung und empfahl folgende konkrete Schritte: zuerst den START-I-Nachfolgevertrag zur Reduzierung der Atomwaffenarsenale der Vereinigten Staaten und Russlands, dann die Inkraftsetzung des Atomteststoppvertrags (CTBT), beginnend mit der Ratifizierung durch die Vereinigten Staaten. Als dritter Schritt wäre ein Verbot der Produktion von spaltbarem Material für Kernwaffen und andere Kernsprengkörper (Fissile Material Cut-off Treaty, FMCT) ein „klares Zeichen, dass das Atomwaffenzeitalter vorüber ist“. Außerdem sei eine ordnungsgemäße Überwachung des zivilen Brennstoffkreislaufs unabdingbar.
In Erwiderung einer Frage von Ralf Fücks zum Abzug taktischer Atomwaffen aus Europa unterstrich Wunderlich, dass Europa in dieser Sache mit einer gemeinsamen Stimme sprechen müsse. Er wies auch darauf hin, dass Russland über eine große Anzahl taktischer Atomwaffen verfüge, die es als Ersatz für mangelnde militärische Stärke im konventionellen Bereich betrachte, und dass es daher schwer sein würde, ihre Abrüstung zu erreichen.
Auch Vladimir Orlov glaubt, dass sich aufgrund der neuen Haltung Washingtons und einer größeren Flexibilität Moskaus hinsichtlich der atomaren Abrüstung zwischen den wichtigsten Atommächten, den Vereinigten Staaten und Russland, ein Fenster aufgetan habe. Abrüstung und Nichtverbreitung hätten „höchste Priorität“ für die nationale Sicherheit Russlands. Er stimmt der Auffassung zu, dass taktische Atomwaffen in Europa überflüssig seien, und möchte sie nicht als Tauschpfand in Verhandlungen zwischen Vereinigten Staaten und Russland benutzt sehen. Insbesondere die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten über außerhalb ihres eigenen Territoriums stationierte taktische Waffen verfügen, betrachtet er als überholt. Orlov gab zu bedenken, dass eine beträchtliche Mehrheit der Bürger Russlands der Meinung sei, dass Atomwaffen von großer oder gar überlebenswichtiger Bedeutung für die nationale Sicherheit seien, und dass Politiker darauf Rücksicht nehmen müssten. Was den Iran betrifft, glaubt er, dass eine politische Lösung erreichbar sei. Er betrachtet Israel als den „Hauptdestabilisator“ des Nichtverbreitungsvertrags. Das Ziel der Reduzierung der Militärhaushalte in der ganzen Welt dürfe nicht aus den Augen verloren werden.
Henry Sokolski sprach sich dafür aus, die Realität der Nichtverbreitungsentwicklung im Blick zu behalten und warnte vor überzogenen Erwartungen an „Global Zero“. Er ist unzufrieden mit den Anstrengungen, die auf dieses Ziel hin unternommen werden, und betrachtet einige davon als kontraproduktiv. So sei die Verabschiedung des Atomteststoppvertrags lediglich ein symbolischer Schritt, der dennoch Schwierigkeiten mit sich bringe. Er stimmt mit der Auffassung überein, dass taktische Atomwaffen überholt seien, sieht ihren Abbau aber als in einigen Ländern, wie der Türkei, politisch schwer zu vermittelndes Thema. Er würde es begrüßen, wenn die internationale Gemeinschaft damit aufhörte, sich angesichts des iranischen Atomwaffenprogramms zu nachgiebig zu zeigen, und der Rüstungskontrolle in Asien mehr Aufmerksamkeit widmete.
In der nächsten Runde gingen die Diskussionsteilnehmer auf die Bemerkungen der anderen Redner und auf Fragen aus dem Publikum ein. Oliver Meier wies darauf hin, dass das kürzlich zwischen den Vereinigten Staaten und Indien geschlossene bilaterale Atomabkommen dem Vorwurf Nahrung verschafft habe, dass Nichtunterzeichnerländer des Atomwaffensperrvertrags mit zweierlei Maß gemessen würden,. Vladimir Orlov glaubt nicht an die Wirksamkeit von Sanktionen gegen den Iran und ist der Ansicht, dass ein Dialog bessere Ergebnisse bringen würde als Konfrontation. Er stellte die These auf, dass alle Länder ein Recht auf friedliche Nutzung der Atomkraft hätten und die Erlaubnis dazu nicht davon abhängen könne, ob wir das betreffende Land als „gut“ oder „böse“ einstuften. Emily Landau aus Tel Aviv reagierte direkt auf diese Äußerung. Sie argumentierte, dass alle Länder verschieden seien, und verwahrte sich gegen Orlovs zuvor gemachte Behauptung, dass Israel die hauptsächliche Bedrohung für die Stabilität im Nahen Osten sei.
Freitag, 11. September 2009
Podiumsdiskussion I: "Die Rettung des Nichtverbreitungsregimes - Strategievorschläge für die Überprüfungkonferenz 2010"- Oliver Thränert, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
- Martin Briens, französisches Ministerium für Auswärtige und Europäische Angelegenheiten, Paris
- Fiona Simpson, Center on International Cooperation, New York University
- Nobumasa Akiyama, Hitotsubashi-Universität und Japanese Institute of International Affairs, Tokio
- Moderation: Sylke Tempel, Internationale Politik, Berlin
Fiona Simpson sprach das Scheitern der jüngsten Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags im Jahr 2005 an und erörterte die Aussichten für die nächste Auflage im Mai 2010. Die letzte Konferenz sei nicht von Erfolg gekennzeichnet gewesen, die Probleme Nordkorea und Iran seien auch seither nicht gelöst worden, und die Bestrebungen, den Brennstoffkreislauf auf eine multilaterale Basis zu stellen, wurden vereitelt. Auch wenn 91 Mitglieder neue Sicherheitsprotokolle unterzeichnet hätten, seien diese doch nicht verbindlich, und die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) verfüge nach wie vor nicht über ein ausreichendes Budget. Angesichts des zunehmenden Optimismus plädierte Simpson dafür, die Erwartungen im Zaum zu halten, denn das letzte Vorbereitungstreffen habe gezeigt, dass weiterhin ernsthafte Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Prioritätensetzung bestehen. Zudem sei die Verabschiedung des Atomteststoppvertrags durch den amerikanischen Kongress keineswegs bereits eine sichere Sache. Simpson betrachtet die Nichteinhaltung von Vereinbarungen als das größte Problem, da es relativ leicht sei, die Inspektionen zu unterlaufen.
Oliver Thränert leitete seine Bemerkungen mit dem Hinweis ein, dass die Welt wesentlich anders – und zwar nicht im guten Sinne – aussähe, wenn es den Nichtverbreitungsvertrag nicht gäbe. Er schätzt die Ausgangslage für die bevorstehende Konferenz positiv ein, gab jedoch zu bedenken, dass die Regierung Obama nicht alles allein bewältigen könne und es zweifelhaft sei, dass der Atomteststoppvertrag oder ein START-Nachfolgevertrag vor der Überprüfungskonferenz ratifiziert würde. Er würde es als Erfolg betrachten, wenn alle Beteiligten sich auf die drei Säulen des Nichtverbreitungsvertrags sowie die im Jahr 2000 vereinbarten dreizehn Schritte einigen könnten. Außerdem würde er eine Stärkung von Artikel 10 begrüßen, die es Ländern erschweren würde, aus dem Vertrag auszusteigen.
Martin Briens hält den Iran für „den Dreh- und Angelpunkt“ unter den Faktoren, die den Ausgang der Überprüfungskonferenz beeinflussen werden. Zweitwichtigstes Thema sei die Frage, welche Abrüstungsfortschritte die Vereinigten Staaten und Russland, die neunzig Prozent der gesamten Atomwaffen der Welt besäßen, vorweisen könnten. Nicht zuletzt sei auch die Kompromissbereitschaft der Hauptakteure des Nahostkonflikts entscheidend. Briens würde es begrüßen, wenn die Überprüfungskonferenz über Rhetorik hinausgehen und echte Themen adressieren, sich auf die drei Vertragssäulen als gemeinsames Ziel verständigen und den Weg für die Zukunft des Vertrags bereiten würde.
Auch Nobumasa Akiyama zeigte sich hinsichtlich des Erfolgs der Überprüfungskonferenz vorsichtig optimistisch, wobei er jedoch auch an den Mangel an handfesten Ergebnissen bei früheren Konferenzen erinnerte. Er ist der Auffassung, dass das Erreichen einer Übereinkunft über Richtwerte und die bereits erwähnten dreizehn Schritte einen sichtbaren Erfolg darstellen würde. Es war ihm wichtig anzumerken, dass Japan es nicht als Kompliment betrachte, vom Iran als Vorbild für dessen Atomprogramm genannt zu werden. Das größte Problem in Ostasien sei die mangelnde Kommunikation, und es sei Japans Ziel, auf einen regionalen strategischen Dialog hinzuarbeiten.
Auf eine Frage hinsichtlich eines Verzichts auf den Ersteinsatz von Atomwaffen hin erwiderte Briens, dass eine Welt ohne Abschreckung seiner Auffassung nach nicht notwendigerweise sicherer wäre und er eine Selbstverpflichtung Frankreichs nicht für erforderlich halte. Sowohl Briens als auch Thränert unterstrichen, dass sie vom Iran eine Einstellung der Anreicherung für die Dauer der Verhandlungen erwarteten, aber keineswegs verlangten, dass das Land auf Dauer auf eine friedliche Nutzung der Atomkraft verzichte.
Podiumsdiskussion II: "Atomenergie und Atomwaffen – Eine unauflösliche Mesalliance?"
- Rebecca Harms, Mitglied des Europäischen Parlaments, Brüssel
- Henry Sokolski, Nonproliferation Policy Education Center (NPEC), Washington
- Clóvis Brigagão, Zentrum für Amerikastudien, Universität Cândido Mendes, Rio de Janeiro
- Moderation: Barbara Unmüßig, Vorstand, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
Die Moderatorin bat alle Teilnehmer um ihre Auffassung zu den „siamesischen Zwillingen“ – der zivilen und militärischen Nutzung von Atomkraft – und dem Aufschwung der Atomenergie weltweit.
Rebecca Harms, eine führende Anti-Atom-Aktivistin erster Stunde, stellte die Existenz eines solchen Aufschwungs in Frage. Immerhin seien in den Vereinigten Staaten seit 1979 keine neuen Atomkraftwerke errichtet worden und in Europa seit 1986 erst zwei, die sich beide als wirtschaftliches Desaster erwiesen hätten. Insgesamt sei die Zahl der in Betrieb befindlichen Atomreaktoren seit dem Kalten Krieg gesunken. Harms betrachtet vor allem die Bemühungen europäischer Unternehmen zum Bau von Atomkraftwerken in anderen Teilen der Welt (wie Afrika, den arabischen Staaten, Südamerika und Indonesien) als Risiko, da diese Länder auf diese Technologie nicht vorbereitet seien, und es dort an Industrie, ordentlich ausgebildetem Personal und anderen entscheidenden Faktoren fehle.
Henry Sokolski wies die Behauptung vieler Regierungen, darunter der der USA, dass Leichtwasserreaktoren harmlos seien, aufs Schärfste zurück. Diese könnten sehr wohl zur Erzeugung von waffenfähigem Material und damit für militärische Zwecke genutzt werden. Darüber hinaus kritisierte er die Inspektionstätigkeit der IAEO und bezweifelte deren Fähigkeit, bezüglich neuer Entwicklungen auf dem Laufenden zu bleiben. Er ist der Auffassung, dass „wir nicht klar denken, wenn wir sagen, es gäbe eine scharfe Trennlinie zwischen einem Atomreaktor und militärischer Nutzung“. Außerdem wies er auf die wirtschaftlichen Kosten hin, die außerordentlich hoch seien und dass Atomkraft keineswegs eine wettbewerbsfähige Alternative zu anderen Energiearten darstelle.
Clóvis Brigagão verwies auf die Vereinbarungen zwischen Argentinien und Brasilien als Modell für regionale nukleare Aktivitäten mit nachvollziehbaren Prüf- und Kontrollmechanismen. Er sagte, dass Brasilien die Atomkraft allein zu friedlichen Zwecken nutze und diese Beschränkung in der brasilianischen Verfassung verankert sei. Brasilien habe den Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet, sehe die neuen Zusatzprotokolle jedoch als anachronistisch an und wolle über sie verhandeln, statt sie von den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats diktiert zu bekommen.
In Reaktion auf die Beiträge der anderen Panelisten, brachte Henry Sokolski seine Besorgnis hinsichtlich des vorhandenen Interesses an einer militärischen Nutzung des brasilianischen Atomprogramms zum Ausdruck. Er begrüßte die Schaffung einer globalen Agentur für alternative Energien ohne Atomenergie.
Rebecca Harms sagte, dass die Meinung, die so genannte zivile Nutzung der Atomenergie könne ein Mittel im Kampf gegen den Klimawechsel darstellen, unbedingt aufgegeben werden müsse. Sie verwies darauf, dass die Nutzung der Atomenergie nicht nur ein militärisches, sondern auch ein Umweltrisiko darstelle und verlangte eine grundsätzliche Abkehr von der Atomkraft. Insbesondere sollten keine öffentlichen Gelder für den Bau von Atomreaktoren ausgegeben werden.
Clóvis Brigagão führte aus, dass, obgleich das brasilianische Militär durchaus an der Erlangung der Atombombe interessiert sei, es sich bei Brasilien um eine gesunde Demokratie handele, deren Verfassung und öffentliche Meinung dies verhindern würden.
Forum I: "Verhinderung eines atomaren Rüstungswettlaufs im Nahen Osten"
- Emily Landau, Institute for National Security Studies, Tel Aviv
- Arzu Celalifer Ekinci, International Strategic Research Organization (USAK), Ankara
- Marc Berthold, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
- Moderation: Andrea Nüsse, Tagesspiegel, Berlin
Emily Landau brachte das iranische Atomprogramm zur Sprache und stufte die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zum konstruktiven Umgang mit dem Iran als gescheitert ein. Es gebe zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass Irans nukleare Aktivitäten militärischen Zwecken dienten. Iran entwickle sich zu einem „feindlich gesinnten Anwärter auf regionale Hegemonie“, und obgleich es die aggressivste Rhetorik für Israel reserviere, fühlten sich auch andere Staaten in der Region bedroht. Der Schlüssel zum Fortschritt liege in der Entwicklung der Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran.
Landau distanzierte sich von einer „Gut versus Böse“-Rhetorik, die sie als problematisch erachtet. Dennoch seien nicht alle Staaten hinsichtlich der Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind, sowie ihrem Handeln nach gleich, und es gebe Normen für das Verhalten auf internationaler Ebene.
Arzu Celalifer Ekinci forderte eine atomwaffenfreie Zone für alle Länder des Nahen Ostens, wobei Vertrauen und Transparenz mit Hilfe von Inspektionen durch die IAEO gestärkt werden sollten. Sie ist der Auffassung, dass die Anwendung von zweierlei Maß, insbesondere durch die Vereinigten Staaten, den Nichtverbreitungsvertrag gefährde. Die Türkei betrachte eine Isolation des Iran als schlechteste Lösung. Ekinci sprach sich auch gegen die Unterscheidung in dem Westen freundlich bzw. nicht freundlich gesinnte Länder aus, und plädierte für ein „konditioniertes Engagement“ mit dem Iran, der Sicherheitsgarantien und eine ernsthafte Berücksichtigung der legitimen Sicherheitsanliegen des Landes einschließen müsse.
Marc Berthold kam auf die Anwendung von zweierlei Maß für den Iran zurück, indem er darauf hinwies, dass der Staat mittlerweile den von ihm unterzeichneten Nichtverbreitungsvertrag verletze. Er wies die Vorstellung einer gegen den Iran gerichteten Strategie des Westens zurück und erinnerte daran, dass es mittlerweile fünf Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu diesem Thema gebe. Hinsichtlich möglicher Verhandlungen hätten die Vereinigten Staaten dem Iran mehr Zuckerbrot zu bieten, während Europa vor allem auf die Peitsche, d. h. Sanktionen, zurückgreifen könne. Der Iran habe in der Tat legitime Sicherheitsanliegen, doch stehe seine Rhetorik gegen Israel einer Diskussion unter Gleichen im Wege. In seinen letzten Vorschlägen habe der Iran angedeutet, dass man die Angebote der Regierung Obama nicht ernsthaft erwägen und stattdessen weiterhin auf Zeit spielen werde.
In Erwiderung auf eine Frage zur Rolle der Türkei in Verhandlungen mit dem Iran erklärte Arzu Celalifer Ekinci, dass die Türkei wohl die Rolle eines Moderators übernehmen, dem Iran selbst aber wenig anbieten und daher lediglich als „Überbringer“ fungieren könne. Emily Landau stimmte überein, dass ernsthafte Verhandlungen nur durch die Vereinigten Staaten geführt werden können, da diese Iran als einzige das regionale Übereinkommen bieten könnten, nach dem es strebe.
Forum II: "Rüstungskontrolle und Nonproliferation in Süd- und Ostasien"
- Pervez Hoodbhoy, Fachbereich für Physik, Quaid-i-Azam-Universität, Islamabad
- Arundhati Ghose, ehemalige Botschafterin Indiens bei den Vereinten Nationen, New Delhi
- Christian Wagner, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
- Moderation: Julia Scherf, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
Pervez Hoodbhoy begann die Diskussion mit der Feststellung, dass die Idee, einige wenige Atomwaffen würden zur Abschreckung ausreichen, mittlerweile von der Geschichte widerlegt worden sei. Er verwies auf Indien und Pakistan, die beide ihre Arsenale immer weiter ausbauten. Dennoch glaube er daran, dass der Rüstungswettlauf in Südasien aufzuhalten und auch der Antagonismus zwischen Indien und China kein eingefleischter sei, wie der zunehmende Handel zwischen beiden Ländern zeige. Während die pakistanische Regierung darauf bestehe, dass Pakistans Atomwaffenarsenal gut vor Terroristen geschützt sei, seien „die sensibelsten Regierungsorgane von Fanatikern erfolgreich angegriffen“ worden, was Hoodbhoy auf lange Sicht als Grund zur Sorge betrachtet.
Botschafterin Ghose ist der Ansicht, dass der Fokus der internationalen Sicherheit in Asien liegt und regionale Konflikte dort weltweite Auswirkungen haben könnten. Sie erläuterte, dass China sich geweigert habe, einen Dialog mit Indien über dessen Besorgnis über das chinesische Atomprogramm zu führen, und dass Indiens bilaterales Abkommen mit den Vereinigten Staaten China in seiner Haltung bestärkt habe. Gespräche über die Sicherheit in der Region seien jedoch kürzlich mit einem Treffen zwischen Indien, China und Pakistan in Shanghai in Gang gebracht worden. Ghose glaubt, dass das Verhältnis zwischen Pakistan und Indien bis zu den Anschlägen in Mumbai ein gutes gewesen und – obgleich beide Regierungen daran arbeiteten – der Terrorismus nun „das besorgniserregendste Element in den gegenseitigen Beziehungen“ sei.
Christian Wagner wies darauf hin, dass alle drei Länder unterschiedliche Gründe für die Entwicklung von Atomwaffen gehabt hätten. Indiens Beweggrund sei nicht eine Bedrohung durch Pakistan, sondern der Wunsch gewesen, mit China auf internationaler Ebene gleichzuziehen. Pakistan wollte dann seinerseits zu Indien aufschließen. Obwohl China und Indien noch immer einen Disput über territoriale Ansprüche austrügen, so nehme doch der Handel zwischen ihnen zu und die Beziehungen gestalteten sich derzeit vergleichsweise friedlich. Wagner zufolge sind die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan derzeit besser als jemals sonst in den vergangenen sechzig Jahren. Auch die Reaktion auf die Terroranschläge in Mumbai sei gemäßigter gewesen als die nach dem Anschlag auf das indische Parlament im Jahr 2002.
Abschließend hatten die Panelisten Gelegenheit, auf die Ausführen der anderen einzugehen und Fragen aus dem Publikum zu beantworten. Pervez Hoodbhoy stimmte Botschafterin Ghoses Einschätzung zu, dass Indien derzeit keine weiteren Atomwaffentests plane, obwohl einige Stimmen im Lande darauf drängten. Er glaubt, dass es in Pakistan Gruppen von Fanatikern gibt, die Angriffe auf Indien ausüben wollen. Obwohl die pakistanische Regierung dies zu verhindern versuche, müsse Indien entscheiden, wie es gegebenenfalls auf ein solches Ereignis reagieren würde. Hoodbhoy ist der Ansicht Christian Wagners, dass das Verhältnis zwischen Indien und Pakistan bis zu den Angriffen in Mumbai das beste in der Geschichte der beiden Staaten gewesen sei, und schreibt General Musharraf das Verdienst daran zu.
Botschafterin Ghose stimmte mit Hoodbhoy darin überein, dass die Tatsache, dass Pakistans Armee derzeit die Kontrolle über das Atomwaffenarsenal des Landes habe, gegenwärtig die beste Lösung sei, bemerkte jedoch, dass es schwierig sei, Gespräche über vertrauensbildende Maßnahmen zu führen, solange sich die pakistanischen Atomwaffen in den Händen einer Organisation befänden, die Indien als ihren Todfeind betrachte.
Christian Wagner erinnerte daran, dass das indisch-amerikanische Abkommen die Zustimmung aller Atommächte inklusive Chinas gehabt habe. Dies zeige eine potentiell interessante Möglichkeit auf, Länder in das Nichtverbreitungsregime einzubinden und Inspektionen durchzusetzen.
Abschlussdiskussion: "Auf dem Weg zu 'Global Zero'? Die Zukunft des nuklearen Nichtverbreitungsregimes nach 2010"
- Jürgen Trittin, Vizefraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Berlin
- John Steinbruner, Center for International and Security Studies, University of Maryland
- Arundhati Ghose, ehemalige Botschafterin Indiens bei den Vereinten Nationen, New Delhi
- Moderation: Ralf Fücks, Vorstand, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
John Steinbruner führte aus, dass wir die vorhandenen Atomsprengstoffe im Grunde niemals loswerden würden, und es daher immer die Notwendigkeit wirksamer Kontrollen geben werde. Er betrachtet den einsatzbereiten Zustand dieser Waffen in Russland und insbesondere den Vereinigten Staaten als eines der größten denkbaren Risiken. „Es ist auch mit strategischen Erwägungen nicht zu verteidigen, dass man die Möglichkeit hat, Tausende dieser Waffen in Sekundenschnelle auf ihren Weg zu schicken.“ Es sei eine Veränderung in den Sicherheitsbeziehungen zwischen den Großmächten erforderlich, damit eine umfassende Deaktivierung der Atomwaffenarsenale in den Vereinigten Staaten und Russland durchgesetzt werden könne. Allerdings sieht er keine Möglichkeit, den Klimawandel aufzuhalten, ohne verstärkt Atomenergie zu erzeugen.
Botschafterin Ghose sprach über die Schwierigkeiten, Indiens Energiebedarf zu decken, und die Möglichkeit, dies durch die Nutzung von Atomenergie zu tun. In dem Maße, in dem Indiens Wirtschaft wachse, steige auch der Strombedarf. Vor dem Abkommen mit den Vereinigten Staaten, entfielen nur drei Prozent der indischen Energieerzeugung auf Atomenergie. Dies solle bis zum Jahr 2035 auf fünfundzwanzig Prozent gesteigert werden. Botschafterin Ghose vertritt die Ansicht, dass die Sicherheitsbelange aller Länder berücksichtigt werden müssten, bevor „Global Zero“ weltweit Konsens werden könne. Sie wünscht sich zudem eine bessere Kontrolle des Transfers nuklearer Technologien und betrachtet es als großes Problem, dass viele Länder den Besitz dieser Technologien als Beleg für Fortschrittlichkeit betrachten – eine Auffassung, die geändert werden müsse.
Jürgen Trittin wandte sich gegen zwei weit verbreitete Mythen, die in der Atomdebatte weiter aufrecht erhalten werden. Der erste sei, wie von Botschafterin Ghose bereits erwähnt, dass die Nukleartechnik den höchsten Stand moderner Technologie, die ein Land erreichen kann, darstellen würde. Dieser Irrglaube sei auch zwanzig Jahre nach dem Ende des Rüstungswettlauf noch im Umlauf und müsse ein für alle Mal zerstreut werden. Der zweite Mythos beträfe die Annahme, dass wir auf Atomenergie nicht verzichten könnten, wenn wir dem Klimawandel Einhalt gebieten wollten (wie von John Steinbruner vorgebracht). Trittin wies darauf hin, dass nur drei Prozent des weltweiten Energiebedarfs durch Atomenergie gedeckt würden und die Technologie zudem unerschwinglich teuer sei. 1,6 Milliarden Menschen verfügten noch nicht über Elektrizität, und wir könnten es uns nicht leisten, diesen Bedarf mit Atomenergie zu decken. Er rief die Bundesregierung auf, sich stärker für ein Verbot zu engagieren und forderte eine strikte Multilateralisierung des Brennstoffzyklus.