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Veranstaltung: Wahlen in Afghanistan

Lesedauer: 4 Minuten
Wahl am 20. August in Kandahar. Foto: Canada in Afghanistan. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

10. November 2009
Von Rahel Camps

Vor 100 Publikumsteilnehmern veranstaltete die Heinrich-Böll-Stiftung am 15. Juli 2009 in der Schumannstraße eine Podiumsdiskussion zur Sicherheitslage der Bevölkerung, den Präsidentschaftskandidaten und den Möglichkeiten der Intervention der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan.

Die afghanischen Expert_innen Adela Mohseni (Frauenrechtsaktivistin und Mitglied zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen) und Prof. Dr. Kabir Ranjbar (Parlamentarier und Mitglied der Demokratischen Partei Afghanistans) diskutierten mit Prof. Michael Daxner (Soziologe an der Universität Oldenburg und langjähriger Afghanistanberater) und der Moderatorin Dr. Andrea Fleschenberg (Universität Hildesheim) über die Situation während der Wahl.

Welchen Stellenwert hat die Wahl für die afghanische Bevölkerung und für politische AktivistInnen?
Alle Gesprächsteilnehmer waren sich einig, dass die Wahl transparent und fair ablaufen muss, um den Aufbau einer funktionierenden Demokratie in Afghanistan zu gewährleisten. Demokratie sei für Afghanistan ein sehr neues Konzept, daher wären die Wahlen von großer Bedeutung, betonte Prof. Ranjbar. Sie würden den Wunsch nach Demokratie und damit das Bedürfnis der Bevölkerung nach Beteiligung am politischen Geschehen zum Ausdruck bringen. Erschwert werde dies durch die sich immer weiter verschlechternde Sicherheitslage, die einen Großteil der Bevölkerung daran hindere, auf demokratischer Basis an der Wahl teilzunehmen.

Eines der Probleme sei dabei Einfluss lokaler Machthaber, die die Bevölkerung mit Gewalt kontrollierten. Prof. Ranjbar sprach davon, dass es extrem hinderlich für den Demokratisierungsprozess sei, dass in vielen Bezirken militärische Milizen ihre Macht mit eigenen Gesetzen durchsetzten und die Regierung ignorierten. Er ging sogar so weit zu sagen, „die Regierung existiert nur auf dem Papier“. Diesen Prozess schrieb er auch der Bonner Konferenz 2001 zu, die damals „realitätsferne Ziele gesetzt hat, die in Afghanistan nicht umsetzbar waren.“ Schon damals seien lokale Machthaber zur Wahl aufgestellt worden, so dass die Bevölkerung gezwungen war diese zu wählen.

Korruption sei auch bei der jetzigen Wahl das größte Problem. Kandidaten würden erpresst und sonst von der Wahlliste gestrichen. Auch der ehemalige Außenminister Abdullah Abdullah, der jetzt zur Wahl aufgestellt ist, sei korrupt. Hinzu komme, dass er bereits jetzt ankündige im Falle eines Wahlsieges eine Allianz mit den Mujaheddin einzugehen.

Auch der amtierende Präsident Karzai wurde scharf kritisiert. In den letzten Regierungsjahren habe er Afghanistan in eine rückschrittlichere Lage als 2001 gebracht und wäre nun stärker an der Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft interessiert, als Frieden und Entwicklung ins Land zu bringen. Außerdem sei die Wahlkommission nicht objektiv, da der Leiter der Kommission vom Präsidenten ernannt wurde und internationale Beobachter häufig fehlten.

Sowohl Adela Mohseni als auch Prof. Ranjbar favorisierten unter den Präsidentschaftskandidaten den früheren Finanzminister Ashraf Ghani Ahmadzai. Er sei der einzige unter den Kandidaten, der ein klares politisches Programm habe, das auch die Stärkung der Frauenrechte vorsehe. Außerdem habe er „kein Blut an den Händen“ und sei noch nie in Korruptionsprozesse involviert gewesen.

Frau Adela Mohseni rückte die Situation der afghanischen Frauen in den Fokus der Diskussion. Die Gleichstellung der Frau sei nicht vorhanden und Frauen in Afghanistan wirklich unterdrückt. Die Bedingungen etwas zu verändern seien jedoch „katastrophal“, da es schwer sei die Frauen überhaupt zu erreichen. Weibliche Aktivistinnen seien nicht mehr nur in den südlichen Provinzen in ständiger Gefahr, sondern auch in den anderen Gebieten. Die Information und die Schulung eines politischen Bewusstseins, nicht nur von Frauen, würden vor allem dadurch erschwert, dass ein Großteil der Menschen Analphabeten seien. Die Bevölkerung werde trotz Motivation uninformiert zur Wahl gehen.

Diesem Teil der Diskussion schloss sich die Frage an, welche Rolle die internationale Gemeinschaft während der Wahl spielen kann und soll. Prof. Daxner machte deutlich, dass er nichts von einer moralischen Einmischung des Westens halte. Die internationale Gemeinschaft solle sich davor hüten Afghanistan westliche Denkkonzepte aufzudrängen und deswegen auch keine Kandidatenempfehlung aussprechen. Die jetzige Verfassung sei zu schnell geschrieben worden, sei zu föderal und würde parallele Rechtssysteme („legal pluralism“) bisher nicht anerkennen. Zunächst müsse mit internationaler militärischer Hilfe eine stabile Sicherheitslage geschaffen werden, die es ermöglicht Kerninstitutionen, wie Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen aufzubauen. Dies werde allerdings noch viele Jahre dauern.

Abschließend fragte das Publikum nach dem Einfluss und der Rolle des Iran, der Glaubwürdigkeit der Internationalen Kräfte und dem Sinn des Engagements Deutschlands in Afghanistan.


Rahel Camps ist Mitarbeitern des Asien Referates der Heinrich-Böll-Stiftung