Herr Töpfer, lässt sich der Klimawandel noch eindämmen?
Der Klimawandel muss eingedämmt werden. Die Wissenschaft ist sich einig, dass der Temperaturanstieg auf eine Größenordnung von maximal plus zwei Grad Celsius begrenzt werden muss, sonst können wir die Folgen nicht mehr bewältigen.
Wie könnte das erreicht werden?
Um dies zu erreichen, müssen wir massive Veränderungen vor allem in unserer Energieversorgung durchsetzen. Zudem müssen wir eine technologische Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern realisieren, die es diesen Ländern möglich macht, Armut zu überwinden, ohne die Umwelt zu überlasten.
Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf Entwicklungsländer?
Bisher wurde Infrastruktur oft in Klimablindheit entwickelt. Wir sehen das gegenwärtig bei den verschiedenen Wetterextremen wie Stürmen oder Dürren und ihren Folgen. Nehmen Sie zum Beispiel die Philippinen. Dort kam es nach mehreren Stürmen zu massiven Erdrutschen, die die Infrastruktur zerstörten.
Gerade Entwicklungsländer sind auf die Folgen desKlimawandels oft nicht eingestellt. Auch die landwirtschaftliche Produktion muss an den Klimawandel angepasst werden. Doch das können die Entwicklungsländer, die ja nicht die Verursacher des Klimawandels sind, nicht alleine. Also muss eine breite Entwicklungszusammenarbeit so organisiert werden, dass Entwicklungsländer die Techniken und finanziellen Möglichkeiten erhalten, um sich anzupassen.
Im Dezember soll auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen ein Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls beschlossen werden. Wird das gelingen?
Die Frage ist, ob ein Nachfolgeabkommen das Sinnvollste ist, was gegenwärtig gemacht werden kann. Um Kyoto damals zu ratifizieren, haben wir 13 Jahre gebraucht. Diese Zeit haben wir nicht mehr. Es geht nicht darum, dass wir noch verhandeln, sondern, dass wir handeln. Zusammengenommen sind nur 20 Länder für etwa 80 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Wir brauchen klare Verminderungsprogramme, vor allem für diese Länder, die die größte Menge an Schadstoffen produzieren. Dort muss angesetzt werden.
Wäre die Bereitstellung neuer, umweltfreundlicher Technologien nicht eine Möglichkeit, die Situation für die Entwicklungsländer zu verbessern?
Es werden immer mehr umweltfreundliche Technologien entwickelt, etwa im Bereich der erneuerbaren Energien, die auch für Entwicklungsländer verfügbar sind. Doch es geht nicht alleine darum, technologische Hilfestellung zu leisten. Was gebraucht wird, sind finanzielle Mittel. Für die Anpassung an den Klimawandel sollten zusätzliche finanzielle Leistungen in Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt werden.
Was sollte mit diesen zusätzlichen finanziellen Leistungen getan werden?
Die Infrastruktur muss so ausgebaut und abgesichert werden, dass extreme Wetterereignisse nicht zu Katastrophen führen wie etwa auf den Philippinen. Das heißt konkret, dass Siedlungsstrukturen entsprechend entwickelt werden müssen. Beim Bau von Gebäuden sollte sehr viel stärker darauf geachtet werden, dass sie sicher konstruiert sind. Auch die landwirtschaftliche Produktion muss sich auf die veränderten Bedingungen einstellen. Darüber hinaus müssen Deiche etwa an großen Flüssen oder Küsten gebaut und instand gehalten werden. Es muss bis hin zur Veränderung der Energieversorgungsstruktur gehen – weg von fossilen Energieträgern, hin zu erneuerbaren, nicht kohlenstoffhaltigen Energien. Dies alles muss mit den zusätzlichen Geldern finanziert werden.
In welcher Weise muss sich die landwirtschaftliche Produktion auf die veränderten Bedingungen einstellen?
Die Landwirtschaft muss bei allen Bemühungen im Mittelpunkt stehen. Die Bodennutzung entscheidet wesentlich darüber, wie viel Kohlenstoffdioxid, also CO2, vom Boden aufgenommen werden kann. Die Wissenschaft hat herausgefunden, welche Maßnahmen in besonderer Weise geeignet sind, viel Kohlenstoff zu binden. Dazu gehören vor allem die Wälder. Doch nach wie vor gibt es Rodungen und sogar Brandrodungen mit den entsprechenden Konsequenzen. Etwa 20 Prozent Prozent der Klimawirkungen werden durch nicht nachhaltig bewirtschaftete Wälder ausgelöst, das wissen wirheute. Mit Blick auf Kopenhagen glaube ich, dass sich alle einig sind, dass besondere Programme finanziert werden müssen, um die Abholzung der Wälder zu vermindern oder gänzlich einzustellen.
Welche Anforderungen stellt der Klimawandel an eine Organisation wie die Welthungerhilfe?
Zunächst einmal ist die Welthungerhilfe immer verpflichtet,dort, wo Hunger herrscht, wo Menschen verhungern, wo sie keine Perspektive mehr haben, zu helfen. Es gilt, die Strukturen so zu verändern, dass die Hungerwahrscheinlichkeit geringer wird. Das bedeutet konkret etwa, in Wasserprojekte dort zu investieren, wo man für Trockenperioden vorsorgen kann. Das tun wir gegenwärtig zum Beispiel in Kenia.
Was wird in Kenia getan?
Dort betreibt die Welthungerhilfe systematisch Regenwassersammlungen. So kann das
Wasser, das bei den tropischen Regenfällen in großen Mengen niedergeht, für spätere Trockenperioden gespeichert werden. Diese strukturellen Maßnahmen sind dringend notwendig, wenn wir nicht nur kurzfristige Hilfe zur Überwindung von Hungersnöten leistet wollen, sondern wenn wir mittel- und langfristig dazu beitragen wollen, dass Hilfe zur Selbsthilfe möglich ist. Wir sind jedem, der dafür sein Scherflein mit einer Spende an die Welthungerhilfe leistet, herzlich dankbar.
Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Welt immer noch im Griff. Gibt es überhaupt wirtschaftliche und politische Kapazitäten, um das Thema Klimawandel anzugehen? Warum dürfen wir nicht wegsehen?
Es ist ja nicht so, dass wir eine Alternative haben. Bewältigen wir zuerst die Finanz- und Wirtschaftkrise und dann die Klimakrise. Das ist falsch. Richtig ist, dass wir die Klimakrise bewältigen, indem wir dadurch auch gleichzeitig die Wirtschaftskrise bewältigen. Wir müssen diese zwei Krisen mit einer Klappe, mit einem Instrumentenset bearbeiten. Dafür gibt es Möglichkeiten, man nennt das meistens auch einen »Green New Deal«. Wirtschaftliche Strukturen müssen so umgestellt werden, dass sie wirtschaftspolitisch richtig sind, dass sie Arbeitsplätze schaffen und gleichzeitig die Umwelt und das Klima entlasten.
Können Sie Beispiele nennen?
Dazu zählen etwa Investitionen in erneuerbare Energien, Veränderungen unserer Nahverkehrssysteme und der Bau leistungsfähigerer Elektrizitätsnetze, die es ermöglichen, sehr viel sinnvoller Energieeinsparungen durchzusetzen. Aber auch die bessere Isolierung unserer Häuser ist wichtig. 40 Prozent der CO2-Emissionen bei uns kommen aus der Bausubstanz. Es gibt also massenhaft Instrumente und Maßnahmen, die Arbeitsplätze schaffen, die Wirtschaftskrise überwinden helfen und gleichzeitig entscheidende Beiträge dazu leisten, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen. Es ist also nicht ein Entweder- oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Zwei Krisen mit einer Klappe schlagen, das ist die Herausforderung für gute Politik.
Das Interview führte Patricia Summa, Mitarbeiterin der Welthungerhilfe in Bonn. Es erscheint am 15.12.2009 in der "Welternährung" (4/2009).
Informationen zu Klaus Töpfer:
Professor Dr. Klaus Töpfer ist seit 2008 Vizepräsident der Welthungerhilfe. Als Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, von 1998 bis 2006, hat er sich international einen hervorragenden Ruf erworben. Von 1987 bis 1994 war der CDU-Politiker Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, anschließend Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Zudem ist er Gründungsdirektor des 2009 gegründeten Instituts für Klimawandel, Erdsystem und Nachhaltigkeit in Potsdam (Institute for Advanced Sustainability Studies, IASS).
Mehr Informationen rund ums Klima
- Cancún aktuell in der Rubrik "Klima & Energie"
- Blog: www.klima-der-gerechtigkeit.de
- In Cancún: Kontaktadressen und Veranstaltungen der Stiftung
- Pressemitteilung zu Cancún "Klima-Finanzhilfen ignorieren Menschen- und Umweltrechte"
- Regionale Arbeit zum Thema Klima in der Länderbüros
- Klima-Dossier zu den Verhandlungen in Kopenhagen