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Am Ende der Kette

Farmarbeiterin beim Ernten von Früchten. Foto: Trevor Samson / World Bank. Dieses Foto steht unter einer Creativ Commons Lizenz

28. Januar 2010
Renate Wilke-Launer

Von Renate Wilke-Launer

Gertruida Baartman musste ihren ganzen Mut zusammennehmen, als sie 2006 vor den Aktionären der britischen Supermarktkette TESCO stand. Aber sie war sich ihrer Sache sicher: dass es nicht recht ist, dass sie, Witwe und Mutter von drei Kindern, so wenig verdient, dass es hinten und vorne nicht reicht. Frau Baartman pflückt sechs Monate im Jahr Obst auf einer Farm in Ceres (Südafrika) – Früchte, die TESCO in seinen Geschäften verkauft. Sie bekam viel Beifall für diese Rede; David Reid, der TESCO -Chef, lobte ihren Mut und versprach, dass sie dafür nicht bestraft werde und dass man die Arbeitsbedingungen in Südafrika überprüfen werde. Doch kaum war Gertruida Baartman wieder zuhause, musste sie erleben, dass der Farmer sie für die nächste Saison nicht wieder anheuern wollte. Nur einer energischen Intervention von Women on Farms (WFP), der Gruppe, die sie nach London entsandt hatte, ist es zu verdanken, dass sie am Ende wieder beschäftigt wurde. Aber für Loyalität über den Lohn hinaus war nun kein Platz mehr: Hatte der Farmer früher ihren im Rollstuhl sitzenden Bruder zum Arzt transportiert, muss sie nun selbst dafür sorgen und aufkommen. Auf « ihrer » Farm haben sich die Arbeitsbedingungen seither etwas verbessert, aber grundlegend geändert hat sich für die Saisonarbeiterinnen am Kap kaum etwas. Gertruida Baartman ist deshalb 2007 noch einmal nach Großbritannien gereist. Sie hat den Aktionären vorgerechnet, dass sie vier Stunden arbeiten muss, um sich eine Tüte südafrikanische Birnen bei TESCO leisten zu können. Dass eine Arbeiterin zu Aktionären sprechen kann, zeigt, wie weit der Horizont von Women on Farms reicht. Die Organisation vertritt die Interessen der in der kommerziellen Landwirtschaft tätigen Frauen – im Alltag gegenüber dem einzelnen Farmer, aber auch im Widerstreit mit der Regierung oder gegen ausländische Konzerne. Fatima Shabodien, die Direktorin, bewegt sich auf einer Farmarbeiterinnenversammlung genauso sicher wie auf feministischen Kongressen oder in harten Debatten über die strukturell ungerechte Weltwirtschaft.

Die Mehrzahl der Saisonarbeitskräfte sind Frauen
Noch nie in der Geschichte Südafrikas waren so viele Frauenin der Landwirtschaft beschäftigt. Unter der Apartheid lebten die Arbeiterfamilien in einfachen Häusern auf dem Land ihres Arbeitgebers, in einem quasifeudalen Verhältnis vom Farmer abhängig.Und Frauen waren Anhängsel der Männer, arbeiteten als «Frau von» im Haus oder in der Saison mit. Über Generationen ging das so. Mit den neuen Gesetzen zugunsten der Farmarbeiter und im kalten weltwirtschaftlichen Wind werden die informellen,aber permanenten und mit Wohnmöglichkeit verbundenen Arbeitsverhältnisse zugunsten von Saisonverträgen abgelöst. Mit diesem Prozess geht eine Feminisierung einher: «Etwa 60 % der Arbeit wird heute durch Saisonkräfte erledigt, und zwei Drittel davon sind Frauen», sagt Fatima Shabodien. Women on Farms ist aus einer 1992 ins Leben erufenen Initiative von Menschenrechtsanwälten entstanden. 1996 wurde WFP dann als eigenständige Organisation anerkannt und gewann auch bald ausländische Förderer. « Wir tragen mit dazu bei, dass der Auftritt von Gertruida in London keine isolierte Initiative bleibt », sagt Paula Assubuji, Programmmanagerinim Kapstädter Büro der Heinrich-Böll-Stiftung. « sondern dass weitere Schritte geplant, vorbereitet und durchgeführt werden können, die zu einer nachhaltigen Verbesserung der Situation von
Frauen auf den Farmen beitragen. »Dazu gehört zum Beispiel juristische Expertise: Bei Women on Farms werden Gesetzesentwürfe auf ihre Auswirkungen auf Frauen auf den Farmen geprüft. Und wenn dann eine Anhörung im Parlament stattfindet, wissen die WFP-Frauen ihre Interessen gut zu vertreten. Die Arbeiterinnen werden bei verschiedenen Zusammenkünften über ihre Rechte informiert und dazu ermuntert und angeleitet, nicht nur bei Kampagnen mitzumachen, sondern dabei Führungsrollen zu
übernehmen. Doch NGO's können kommen und gehen, deshalb beschlossen die bestehenden «Vroue Regte Groepe» von WFP, diese Basisstruktur zum Kern einer starken Organisation zu machen, die im Namen ihrer Mitglieder handeln kann.

Die Frauengewerkschaft Sikhula Sonke verfolgt einen integrierten Ansatz
2004 war es dann so weit: Am 9. August, dem nationalen Frauentag, wurde die Gewerkschaft Sikhula Sonke («Wir wachsen gemeinsam») gegründet. Sie hat heute mehr als 3.500 Mitglieder auf mehr als 120 Farmen. Bis Ende 2008 hat die Mutter WFP die Tochter noch unterstützt, seither ist Sikhula Sonke komplett selbständig, und die beiden verstehen sich eher als Schwestern. Wie andere Gewerkschaften streitet Sikhula Sonke für bessere Löhne und gegen Verstöße gegen das Arbeitsrecht, etwa ungerechtfertigte Entlassungen. Bei einer Anhörung des Arbeitsministeriums im September 2008 in Paarl im Weingebiet der Kapprovinz haben mehr als 400 Arbeiter, die meisten Frauen, den Behördenvertretern deutlich gemacht, dass ihr Lohn zum Leben nicht ausreicht. Nirgendwo sonst im Land waren so viele Menschen zu einer solchen Anhörung erschienen. Seit dem 1. März 2009 gilt immerhin ein neuer, der Inflation angepasster Mindestlohn von 100 Euro im Monat. Und die Regierung hat endlich auch einer Forderung der Frauen entsprochen, diesen Lohn nicht auch noch nach Regionen zu differenzieren. Eine Frauengewerkschaft wie Sikhula Sonke geht aber weit über das hinaus, was vergleichbare männliche Organisationen behandeln. Sie muss sich, so Fatima Shabodien, in einem «integrierten Ansatz» mit allem beschäftigen, was das Leben der Farmarbeiterinnen beeinträchtigt und gefährdet. Und da gibt es jede Menge Probleme. So sind zum Beispiel die Verträge zum Wohnrecht auf dem Farmgelände fast alle mit einem Mann abgeschlossen. Stirbt er, hat die hinterbliebene Frau keinen Rechtsanspruch, manche müssen gehen und verlieren damit auch ihre Arbeit. Und sie müssen oft allein für die Kinder aufkommen, weil die Männer sich der Verantwortung entziehen. Die Frauen haben zwar Anspruch auf Leistungen aus Südafrikas rudimentärem Sozialstaat (zum Beispiel Kindergeld), brauchen aber Unterstützung, um Anträge zu stellen.

Übergriffe auf Frauen bekämpfen
Besonders schwierig ist der Kampf gegen die endemische Gewalt auf den Farmen. Alle Gewerkschaftsmitglieder machen es sich zur Aufgabe, gegen Übergriffe auf Frauen in ihren Gemeinschaften vorzugehen. Sie wissen, dass sie sich auf die Polizei nicht verlassen können. «Die ist in ländlichen Gebieten mehr auf die Bekämpfung von Viehdiebstahl ausgerichtet», sagt Wendy Pekeur mit bösem Spott. Gertruida Baartman, Fatima Shabodien und Wendy Pekeur kämpfen mit den aus der Apartheid übernommenen Strukturen, gegen zu niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und die Missachtung und Misshandlung von Frauen. Und gleichzeitig rütteln sie an einer langen weltwirtschaftlichen Kette, die immer straffer organisiert wird, weil am anderen Ende der Welt Aktionäre Geld sehen wollen. Damit sich an dieser Ungerechtigkeit
etwas ändert, ist Gertruida Baartmann zweimal nach London gereist.

Der Text ist der Broschüre der Heinrich-Böll-Stiftung "Geschlechterpolitik macht einen Unterschied" entnommen.

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