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Wie Deutschland und Japan gemeinsam die nukleare Abrüstung voranbringen können

Lesedauer: 11 Minuten

1. März 2010
Von Dr. Oliver Meier

Während seines Antrittsbesuchs in Japan kündigte Außenminister Guido Westerwelle Mitte Januar eine deutsch-japanische Partnerschaft für eine atomwaffenfreie Welt an. „Abrüstung ist die zentrale Frage unserer Zeit. Deutschland will es, Japan will es auch, “ so Westerwelle in Tokio. Deutschland und Japan sollten dazu gemeinsame Initiativen und Konzepte „in der Völkergemeinschaft vertreten“ und sein japanischer Amtskollege Katsuya Okada meinte sogar, dass die beiden Staaten „eine führende Rolle übernehmen sollten, um eine nuklearfreie Welt zu realisieren.“

Die Chancen für eine solche Abrüstungspartnerschaft stehen gut: In Berlin und Tokio sind nach Parlamentswahlen im Herbst 2009 neue Regierungen an die Macht gekommen, die die nukleare Rüstungskontrolle weit oben auf der politischen Tagesordnung platzieren. Und für beide Regierungen ist es einfacher geworden, gemeinsam mit dem wichtigsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten, Abrüstung zu forcieren. Weil Barack Obama (im Gegensatz zu seinem Vorgänger George W. Bush) eine Welt ohne Atomwaffen will, gibt es nun keinen Widerspruch mehr zwischen Solidarität mit den USA und der Forderung nach nuklearer Abrüstung.

Wichtige Impulse können die beiden Länder insbesondere auf der im Mai stattfindenden Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungs-Vertrages (NVV) geben, die entscheidend für den künftigen Erfolg internationaler Bemühungen um die Atomwaffenkontrolle sein dürfte. Es gibt bereits jetzt erhebliche Überschneidungen zwischen der deutschen und japanischen Rüstungskontrollpolitik. Beide Staaten setzen sich seit langem für weitere Abrüstungsmaßnahmen der Kernwaffenstaaten sowie bessere Atomkontrollen ein. Zudem sind Deutschland und Japan wichtige Vermittler in den beiden zentralen Nichtverbreitungskrisen, Iran und Nordkorea. Diese Themen werden zweifellos weiter im Fokus deutsch-japanischer Abrüstungsbemühungen stehen müssen.

Aber welche weiteren Themen bieten sich an, um auf der Überprüfungskonferenz das Projekt einer deutsch-japanischen Abrüstungskooperation mit Leben zu füllen? In seiner Prager Rede von 5. April 2009 entwarf Barack Obama die Vision einer atomwaffenfreien Welt und nannte konkrete Schritte auf dem Weg zu diesem Ziel. An erster Stelle steht für Obama eine Herabsetzung der Bedeutung von Kernwaffen: „Um die Denkmuster des Kalten Kriegs zu überwinden, werden wir die Rolle von Atomwaffen in unserer nationalen Sicherheitsstrategie reduzieren und andere anhalten, dasselbe zu tun“, so der US-Präsident. Zugleich versprach er den amerikanischen Verbündeten: „Täuschen Sie sich nicht: Solange es diese Waffen gibt, werden wir ein sicheres und wirksames Arsenal zur Abschreckung potenzieller Feinde aufrechterhalten und die Verteidigung unserer Verbündeten garantieren.“

Genau bei der Frage, wie notwendig der nukleare Beistand Amerikas für die Verbündeten heute immer noch ist, sind Deutschland und Japan gefordert. Weil beide Staaten sich immer noch unter dem „nuklearen Schutzschirm“ der USA befinden, können sie einen wichtigen Beitrag zur Delegitimierung von Atomwaffen leisten, indem sie öffentlich und aktiv für eine Herabstufung der Rolle von Atomwaffen in ihren jeweiligen Bündnisbeziehungen eintreten.

Verzicht auf den nuklearen Ersteinsatz

Die Atomwaffenstaaten haben im Laufe der letzten 60 Jahre ihren Atomwaffen eine ganze Fülle von Funktionen, von der Abschreckung bis zu verschiedenen Arten der Kriegführung, zugewiesen. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist die zentrale Aufgabe von Kernwaffen – die Verhinderung einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West– zwar weggefallen. Auf die Militärplanungen vieler Nuklearwaffenstaaten hat dies aber bisher erstaunlich geringe Auswirkungen gehabt. Noch immer sollen Atomwaffen – auch die der USA und der NATO –Angriffe mit konventionellen, biologischen oder chemischen Waffen abschrecken, und sogar solche Staaten im Zaum halten, die einen Terrorangriff mit Massenvernichtungswaffen unterstützen.

Tatsächlich ist es heute undenkbar, dass verantwortungsvolle Staaten einen nicht-nuklearen Angriff nuklear vergelten. Eine solche Reaktion würde international als unverhältnismäßig geächtet werden. Ein solcher Atomwaffeneinsatz wäre zudem illegal. Der Internationale Gerichtshof hat 1996 festgestellt, dass der Einsatz von Atomwaffeneinsatz allenfalls in einer „extremen Selbstverteidigungssituation, in der die Existenz eines Staates auf dem Spiel stünde“ zu rechtfertigen wäre. Schließlich ist der Verzicht auf den Ersteinsatz politisch geboten. Denn so lange Atomwaffen weitere Aufgaben, über die Abschreckung anderer Atomwaffenstaaten hinaus, erfüllen werden tiefe Einschnitte in die Atomwaffenarsenale gerade der großen Atommächte USA und Russland kaum möglich sein.

Die neue japanische Regierung wirbt offensiv für eine „no-first use“-Politik der Kernwaffenstaaten. Auf einer seiner ersten Pressekonferenzen als Außenminister betonte Okada, er werde dafür eintreten, dass die Atomwaffenstaaten und insbesondere die USA auf den nuklearen Ersteinsatz verzichten. Damit werde Japan nicht grundsätzlich auf eine nukleare Vergeltungsoption verzichten, so Okada, aber zumindest „halb unter dem nuklearen Schutzschirm hervortreten.“ Am 13. Februar unterstützten 204 japanische Parlamentarier in einem Brief an Präsident Obama außerdem eine Beschränkung der Rolle von US-Atomwaffen auf die Abschreckung von Angriffen mit Atomwaffen.

Anders stellt sich die deutsche Diskussion dar. Seit Joschka Fischer 1998 mit seiner Forderung, die NATO solle auf den nuklearen Ersteinsatz verzichten, am Widerstand der NATO-Atomwaffenstaaten scheiterte, ist das Thema in der sicherheitspolitischen Debatte in Berlin weitgehend tabuisiert. Außenminister Westerwelle hat in einem Interview Ende letzten Jahres aber klar gemacht, dass die in Deutschland stationierten US-Atomwaffen „schon lange kein Beitrag zu unserer Sicherheit mehr (sind)“ und damit zumindest indirekt einen Verzicht auf den nuklearen Ersteinsatz in der NATO angeregt. Aus deutscher Sicht ist eine solche Initiative auch deshalb besonders wichtig (aber auch schwierig) weil die im Februar 2010 verabschiedete russische Nukleardoktrin die Möglichkeit des Ersteinsatzes nicht ausschließt.

Deutschland und Japan wären als Mittelmächte, die sich während des Kalten Krieges besonders für eine „glaubwürdige“ Abschreckung eingesetzt haben, in einer guten Position auf der Überprüfungskonferenz gemeinsam für einen Verzicht der Nuklearwaffenstaaten auf den nuklearen Ersteinsatz zu werben. Eine solche „no first use“-Politik wäre ein zentraler Schritt zur Begrenzung der Rolle von Atomwaffen in der Sicherheitspolitik. Sollten die Atomwaffenstaaten hingegen an der Möglichkeit festhalten, Atomwaffen auch in Reaktion auf nicht-nukleare Angriffe einzusetzen, wäre dies ein deutliches Signal, dass sie die im NVV verankerten Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung nicht Ernst nehmen.

Die bessere Kontrolle taktischer Atomwaffen

Deutschland und Japan sind auf unterschiedliche Weise und aus unterschiedlichen Motiven in die nukleare Abschreckung eingebunden. Auf dem deutschen Luftwaffenstützpunkt Büchel lagern immer noch 10-20 US-Atomwaffen, deutsche Kampfpiloten bereiten sich wie im Kalten Krieg darauf vor, diese Atomwaffen im Kriegsfall ins Ziel zu bringen. Bundeskanzlerin Angela Merkel begründete Anfang April 2009 im Bundestag das Mitwirken Deutschland an dieser nuklearen Teilhabe der NATO unter anderem damit, dass „sie uns Einfluss im Bündnis, auch in diesem höchstsensiblen Bereich, sichert.“

Für Japan, das durch seine drei nicht-nuklearen Prinzipien („keine Atomwaffenproduktion, kein Atomwaffenbesitz, keine Atomwaffen auf japanischem Boden“) offiziell atomwaffenfrei ist, hat die erweiterte Abschreckung der USA eine unmittelbare sicherheitspolitische Bedeutung. In Asien spielt die nukleare Abschreckung eine größere Rolle als in Europa. Der japanische Außenminister Okada stellte in einem Brief an seine amerikanische Amtskollegin Hillary Clinton vom 24. Dezember fest, dass Japan sich „der Abhängigkeit von der amerikanischen Abschreckungskapazität einschließlich der nuklearen Abschreckung“ bewusst sei.

Im Februar aber berichtete die japanische Presse, dass die Obama-Administration Tokio bereits Ende 2009 über eine künftige Reduzierung der US-Atomwaffenfähigkeiten in Asien unterrichtet habe. Im Zuge der Beratungen über die US Nuclear Posture Review (ein Grundsatzdokument, dass die Leitlinien der US-Atomwaffenpolitik für die nächsten 5-10 Jahre festlegen soll) sei beschlossen worden, dass nukleare Marschflugkörper („Tomahawk Land Attack Missiles“, TLAM/N) ersatzlos außer Dienst gestellt werden. Diese Waffen waren ausschließlich für den Einsatz auf US-U-Booten im Pazifik vorgesehen und galten Washington bisher als die unverzichtbare Basis amerikanischer Sicherheitsgarantien für Japan.

Außenminister Okada hatte in seinem Brief an Clinton aber schon klargestellt, dass Japan der Abrüstung der TLAM/N nicht im Wege stehen würde. Im Gegenteil: Ein Festhalten an den TLAM/N, „stände im Widerspruch zu meiner persönlichen Auffassung, die nukleare Abrüstung zu befürworten“, so Okada.

Auch die Bundesregierung hat jüngst klargemacht, dass sie auf die Präsenz von US-Atomwaffen in Europa gern verzichtet. Die schwarz-gelbe Regierung hat im Koalitionsvertrag vom Oktober 2009 versprochen, sie werde sich „im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden.“ Diese Passage ist ein allianzpolitischer Tabubruch: Noch nie hat sich ein NATO-Mitglied öffentlich für eine derart weitreichende Änderung der NATO-Atomwaffenpolitik ausgesprochen. Aber der Vorstoß kommt zur rechten Zeit. Denn die Allianz debattiert gerade über ein neues Strategisches Konzept, das auf dem Lissabon-Gipfel am 19.-20. November verabschiedet werden soll. Auch die nukleare Dimension der NATO-Verteidigungspolitik steht dabei zur Disposition.

Ein Abzug von US-Atomwaffen aus Europa würde weit über die NATO hinaus wirken. Deutschland ist einer von nur fünf Nichtatomwaffenstaaten, auf deren Territorium Atomwaffen stationiert sind. US-Atomwaffen lagern außerdem noch in Belgien, Italien, den Niederlanden und der Türkei. Im Rahmen der nuklearen Teilhabe sollen diese Staaten nicht nur in der Lage sein, US-Atomwaffen im Kriegsfall einzusetzen, sondern sie sind auch aktiv in die Nuklearplanungen der Allianz einbezogen. Dieses Arrangement ist einmalig und wurde immer wieder von Mitgliedern des NVV kritisiert, weil es dem Geist des Vertrags widerspricht.

Deutschland und Japan sollten sich die gegenwärtige Diskussion um den Verzicht auf die Vornestationierung von Atomwaffen nutzen und die USA zu einem dauerhaften Rückzug ihrer Atomwaffen auf das eigene Territorium ermuntern. Im Rahmen des NVV könnten sie dann für einen Beschluss werben, der die Stationierung von Kernwaffen in Nichtkernwaffenstaaten generell verbieten würde. Ein solcher Beschluss hätte globale Bedeutung. Denn er würde es auch anderen Kernwaffenstaaten erschweren, Atomwaffen auf Territorium von Nichtatomwaffenstaaten zu stationieren. So befürchten manche, dass pakistanische Atomwaffen einmal in Saudi-Arabien stationiert werden könnten. Aber auch Moskau hat durch seine Drohung, Atomwaffen in der russischen Enklave Kaliningrad zu stationieren deutlich gemacht, dass es bereit ist, die Vornestationierung von Atomwaffen als Druckmittel einzusetzen.

Mehr Transparenz der Atomwaffenstaaten

Die Mitwirkung Deutschlands und Japans an der nuklearen Abschreckung ist von einem Mantel der Geheimhaltung umgeben, der eine öffentliche Diskussion des Themas und die parlamentarische Kontrolle der Waffen erschwert. Offiziell hat keine Bundesregierung dazu Stellung genommen, wie viele US-Atomwaffen noch in Deutschland lagern und wo diese Waffen sich befinden. Und die neue japanische Regierung hat erst nach den Wahlen Ende August 2009 eine Expertenkommission ins Leben gerufen, um herauszufinden, in welchem Umfang die Politik Japans, keine Atomwaffen auf japanischem Territorium zu dulden, möglicherweise in der Vergangenheit unterlaufen wurde.

Gleichzeitig werben beide Länder seit vielen Jahren dafür, dass die Atomwaffenstaaten ihre Atomwaffenpolitik transparenter gestalten. Bereits vor 15 Jahren hat der damalige Außenminister Klaus Kinkel den Vorschlag für ein UN-Kernwaffenregister ins Spiel gebracht. Der damalige japanische Außenminister Hirofumi Nakasone forderte im April 2009 in einem 11-Punkte Plan zur nuklearen Abrüstung von den Atomwaffenbesitzern eine „Kultur der Offenheit“. Nukleare Transparenzmaßnahmen und Vertrauensbildung seien nötig, um Misstrauen abzubauen und Rüstungsspiralen zu durchbrechen, so Nakasone damals.

Auf der Überprüfungskonferenz sollten beide Regierungen auf diesen Ansätzen aufbauend konkrete Transparenzmaßnahmen wie die Schaffung eines Kernwaffenregisters, verbindliche Berichte der Kernwaffenstaaten über ihre Nuklearwaffenpolitiken sowie ein internationales Kontrollsystem für waffenfähige Spaltstoffe fordern. Berlin und Tokio sollten zudem mit gutem Beispiel vorangehen und offenlegen, in welchem Umfang sie die Aufrechterhaltung der nuklearen Abschreckung durch die USA praktisch unterstützt haben und immer noch unterstützen.

Deutschland und Japan als Advokaten der nuklearen Abrüstung

Japan und Deutschland erfüllen eine wichtige Vorbildfunktion innerhalb des nuklearen Nichtverbreitungsregimes. Japan ist als einziger Staat Opfer eines Atomwaffenangriffs gewesen und das geteilte Deutschland hatte über Jahrzehnte die Last der nuklearen Konfrontation der Supermächte zu tragen gehabt. Trotzdem haben Deutschland und Japan mehrfach und dauerhaft dem Atomwaffenbesitz abgeschworen.

Für die Kohärenz der deutschen und japanischen Abrüstungspolitik ist es wichtig, die Kernwaffenstaaten zu weiteren radikalen Abrüstungsschritten und zur baldigen Ratifizierung des nuklearen Teststopp-Vertrages zu drängen und klar zu machen, dass sie eine fortgesetzte Modernisierung der Atomwaffenarsenale ablehnen. Die Glaubwürdigkeit einer solchen Position würde vergrößert, wenn Deutschland und Japan aktiv und sukzessive auf den nuklearen Schutzschirm der USA verzichten. Der Verzicht auf den nuklearen Ersteinsatz, der dauerhafte Abzug taktischer US-Atomwaffen aus Asien und Europa sowie mehr Offenheit in Bezug auf Ausgestaltung der nuklearen Abschreckung wären wichtige erste Schritte in diese Richtung.

Erst eine solch umfassende Abrüstungsinitiative würde deutschen und japanischen Bemühungen um eine Verschärfung von Regeln zur Kontrolle von Atomtechnologie die nötige Überzeugungskraft verleihen. Ohne ein nachhaltiges Eintreten für weitere Abrüstungsschritte, besonders der nuklear bewaffneten Verbündeten, müssen sich Berlin und Tokio den Vorwurf gefallen lassen, unredlich zu agieren. Denn wer es sich selbst unter dem nuklearen Schutzschirm bequem macht, kann von anderen schlecht Verzicht fordern.

Dr. Oliver Meier ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (http://www.ifsh.de/) und Internationaler Repräsentant und Korrespondent der Arms Control Association (http://www.armscontrol.org/).

Japanese-German Dialogue on Non-Proliferation, March 2010 / Japanisch-deutscher Dialog zur Non-Proliferation, März 2010

Dossier

Atomwaffenfreie Welt oder atomare Anarchie?

Wie kann eine atomwaffenfreie Welt erreicht werden? Wie können die Krisen um die Atom-Programme im Iran und Nordkorea gelöst werden? Wie kann das globale Abrüstungs- und Rüstungskontrollsystem gestärkt werden? Antworten findes Sie in unserem Dossier.