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Die Suche nach intelligenten Lösungen

Thermogramm eines ungedämmten (links) und gedämmten Hauses.
Autor: Passivhaus Institut (Quelle: wikimedia.org). Das Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz (by-sa).

2. März 2010
Von Elisabeth Kiderlen
Warum kommt die energetische Sanierung des Baubestands so langsam voran?

Jimmy Carter, von 1977 bis 1981 Präsident der USA, ließ während seiner Amtszeit auf dem Dach des Weißen Hauses eine Solaranlage anbringen. Sein Nachfolger, Präsident Ronald Reagan, baute diese schleunigst wieder ab. Erneuerbare Energien stehen eben nicht nur für eine neue Energieform, sondern auch einen neuen way of life.
Klaus Töpfer, von 1998 – 2006 Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), schrieb jüngst: "Die asiatischen, afrikanischen, lateinamerikanischen Länder erwarten, dass wir als technologisch führende Länder beweisen, dass eine entwickelte Nation künftig mit zwei bis drei Tonnen CO2 pro Kopf auskommen kann, ohne die wirtschaftliche Stabilität zu gefährden. Ebenso erwarten die rapide wachsenden Städte dort, dass die Kommunen in Deutschland mit wirklichen Lösungen aufwarten. Ich bin überzeugt, dass wir das können, wenn wir in systematischen Aktionen die top runners, also die umwelttechnisch jeweils avanciertesten Produkte, als Standard akzeptieren und umsetzen."
Avancierte Lösungen hat Europa einige zu bieten. So wagt sich Rolf Disch, renommierter Solararchitekt aus Freiburg, vor: "Innerhalb von 20 Jahren könnte man eine Stadt wie Berlin plus Umland zu einer Plus-Energie-Stadt machen, die Energieüberschüsse ins Strom- oder Wärmenetz einspeist. Die Technik ist vorhanden."

Neopor, Micronal, Latentspeicher, Wärmetauscher, Dreifach-Verglasung – der Mix macht’s

Doch die top runners, Passivhäuser, die keine Energiezufuhr von außen mehr brauchen, und Plus-Energie-Häuser, die sogar noch Energie ins Stromnetz einspeisen, sind nur in einzelnen Neubauvierteln zu finden – In der von Disch gebauten Solarsiedlung am Freiburger Schlierberg zum Beispiel, im Solardorf Penzdorf, in Neugründungen am Rande von Köln, Oberhausen, Erkelenz … Es sind wenige, aber es werden mehr.
In einem Land wie Deutschland mit seiner schrumpfenden Bevölkerung geht es allerdings weniger um neue Ansiedlungen,  als um den ökologischen Umbau vorhandener Wohnhäuser. 77 Prozent des Bestandes zählen zum Altbau, d. h., sie wurden nach einer Definition des Fraunhofer-Instituts vor 1984, dem Jahr, als eine neue Wärmeschutz-Verordnung in Kraft trat, gebaut. Diese Häuser verbrauchen 95 Prozent der Energie, die für das Heizen aller Privathaushalte benötigt wird.
Wie ist die energetische Modernisierung von Häusern der letzten Jahrhundertwende, der Nachkriegszeit und der 70er-Jahre also zu schaffen? Und was tun mit den denkmalgeschützten Gründerzeit- und Jugendstilhäusern, die den Baubestand im Zentrum der meisten deutschen Großstädte ausmachen?
"Für jedes Haus und jeden Stadtteil gibt es intelligente Lösungen, man muss die Stadtquartiere einzeln untersuchen: Um was für Gebäudetypen geht es? Was wäre die beste Strategie für eine bezahlbare Standardlösung?" Rolf Disch übt sich seit den frühen 70er-Jahren, also seitdem er für ökologisches Bauen kämpft, in Optimismus. "Erst wird man belächelt, dann bekämpft und dann als normal wieder eingemeindet" – das ist seine Erfahrung. Wichtig sei, dass die Lösung, die man findet, standardisierbar ist, sonst werde es teuer.
Bei BASF, eine der größten Chemiefirmen der Welt, ist "grün" inzwischen Standard. Das Unternehmen steht auf der Liste der Top 12 des Carbon Disclosure Leadership Index und auf dem Dow Jones Sustainability Index 2009. "Das Material", so Matthias Hensel, Geschäftsführer von Luwoge, dem Wohnungsunternehmen der BASF, "wird immer besser." Mit Neopor, einer Weiterentwicklung von Styropor, ist die Dämmung um zehn Zentimeter dünner und 20 Prozent effektiver geworden. Mit Micronal, einem Material, das wie ein Latentspeicher funktioniert, lassen sich Temperaturschwankungen ohne Energiezufuhr ausgleichen: Die winzigen Wachskügelchen in einem derart modifizierten Gipsputz, Anstrich oder Spachtelstoff schmelzen bei 23 Grad und nehmen Wärme auf. Wird es kühler, erhärten sich die Kügelchen und geben dabei Wärme ab.
Neopor, Micronal, Wärmetauscher, Dreifach-Verglasung … Mit einem Mix vieler neu entwickelter Produkte lässt sich der Energiebedarf von 1870er-Altbauten von 21 Litern Heizöl pro qm und Jahr auf sieben Liter senken, von 1920er-Häusern auf vier Liter. "Und die Häuser von 1970 zahlen heute keine Heizkosten mehr", sagt Hensel. Luwoge hat die unterschiedlichen Häusertypen im Modellversuch energetisch saniert und getestet.
Doch wenn das alles so wunderbar ist, warum wurde bislang nur ein Prozent des Bestandes energetisch auf Stand gebracht? Bei diesem Tempo wird Deutschland noch hundert Jahre brauchen. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP werden 25 Jahre angepeilt, um den gesamten Bestand zu sanieren.
Die Erneuerung beginnt bei den Produkten und geht über die ökonomischen Konzepte bis zum Mietrecht. Für Eigentümer lohnt sich oft eine Sanierung nicht, die nur zum geringen Teil auf die Mieter umgelegt werden darf und sich erst über Jahrzehnte rentiert. Die Städte Heidelberg und Mannheim geben deshalb 2500 Euro als Stimulus zur Umrüstung der Häuser hinzu und machen damit gute Erfahrungen.
Doch es müssen Konzepte für jeden Typus von Eigentum entwickelt werden und die Preise müssen sinken. Am kompliziertesten ist es für Eigentümergemeinschaften, sich auf ein Renovierungskonzept zu einigen. "Doch in der Krise geht meistens alles viel schneller", Rolf Disch ist wieder einmal optimistisch, "da werden dann Crash-Programme aufgelegt und durchgezogen." Und möglicherweise steht dann die organische Photovoltaik schon bereit, absolut dezentral, leicht verwendbar – vielleicht der Hit der Zukunft? BASF, Bosch, Merck, Schott haben zur Forschung hier ihre Kräfte gebündelt. Und dann ist da noch eine kleine Dresdner Firma … Die dritte Generation Solartechnik ist auf dem Weg.

Weitere Informationen unter: www.rolfdisch.de


Elisabeth Kiderlen ist Redaktionsleiterin von Böll.Thema und freie Journalistin.

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