Technologie und Lebensstil

Energieeffizienz und Energiesparen im Zeichen des Klimawandels

5. März 2010
Von Fritz Reusswig
Von Fritz Reusswig

Nach dem enttäuschenden Klimagipfel im Dezember 2009 in Kopenhagen – und dem kalten Winter 2009/2010 – mehren sich in den Massenmedien die skeptischen Stimmen zu Klimawandel und Klimapolitik. Am 11. Januar 2010 titelte etwa der Focus „Fällt die Klima-Katastrophe aus? Fehlende Sonnenaktivität könnte eine neue Kalt-Zeit auslösen“. Eine Umfrage in der EU aus dem Jahr 2009 zeigt zudem, dass wirtschaftliche Sorgen die Angst vorm globalen Klimawandel – sie war 2008 noch an erster Stelle der Bürger-Besorgnis – verdrängt haben. Und die Glaubwürdigkeit des Klimagremiums IPCC wurde durch das Aufdecken einiger „Fehler“ untergraben.
Dennoch kann keine Rede davon sein, dass Klimaschutz und eine ihm verpflichtete Energiepolitik obsolet geworden seien.

Die „Fehler“ des IPCC sind bei näherem Hinsehen lächerlich klein, und sie haben auf die wichtigen politisch wirksamen Dokumente überhaupt keinen Einfluss gehabt. Dass die größte Weltwirtschaftskrise seit 1929 die Bürgerinnen und Bürger aktuell mehr beschäftigt als der Klimawandel, ist nicht sehr überraschend. Überraschend ist eher, dass der Klimawandel mit 47 Prozent der Nennungen als wichtigstes globales Problem immer noch an der Spitze rangiert (in Deutschland sind es sogar 57 Prozent). Mittlerweile hat die Sorge vor einem wirtschaftlichen Abschwung sogar wieder abgenommen (siehe Eurobarometer-Ergebnisse - PDF).

Klimaskeptizismus im massenmedialen Zwischenhoch

Dass der Klimaskeptizismus dennoch zumindest massenmedial ein kleines Zwischenhoch erfährt, hängt weniger mit neuen wissenschaftlichen Befunden zusammen. Während Deutschland noch einmal einen richtigen Winter erfährt – der übrigens kein Rekordwinter ist, wir haben uns nur schon an die milden Winter der letzten Jahre gewöhnt – herrscht an vielen anderen Orten eine ungewöhnlich warme Temperatur.

Wenn es wissenschaftlich ernstzunehmende Gründe nicht sein können, die die medial verstärkte Skepsis dem Klimawandel gegenüber motivieren können, dann müssen wir die Ursachen woanders suchen. Eine alltagspsychologische Erkenntnis kann dabei hilfreich sein: Oft genug wehren wir uns innerlich gegen eine Einsicht dadurch, dass wir an ihrer Gültigkeit und Haltbarkeit zweifeln – um keinen Zweifel an unserem guten Willen aufkommen zu lassen. Warum eine leidvolle Diät machen, wenn man doch irgendwo lesen kann, dass Änderungen im Essverhalten gar nichts bringen, sondern alles irgendwie genetisch bedingt ist. Die Welt ist voller solcher „Theorien“, aber man kommt der Wahrheit wohl am nächsten, wenn man die Kausalität anders sieht: Nicht weil es so viele missverständliche oder offen falsche Theorien über Diäten gibt kommt es nicht zu den entsprechenden Verhaltensänderungen, sondern weil wir zu träge, faul oder willensschwach sind, klammern wir uns an allerlei Hypothesen.

Mangelnde Handlungsbereitschaft

Übertragen auf den Klimawandel und die jüngst aufkommende  Skepsis hieße das: Nicht mangelnder wissenschaftlicher Konsens hält die Leute vom Handeln ab, sondern mangelnde Handlungsbereitschaft kaschiert sich als Wissenschaftsskepsis.

Nun darf man auch hier das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Es trifft nämlich nicht zu, dass in punkto Klimaschutz und vorsorgender Energiepolitik einfach „nichts geschieht“. Es geschieht sehr viel, und es ist gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten. Hier muss auf Kopenhagen zurückgekommen werden. Spieltheoretisch betrachtet ist eine verbindliche Einigung auf konkrete und effektive Klimaschutzziele unter sehr vielen Staaten eher unwahrscheinlich – insbesondere dann, wenn man die enormen Machtunterschiede berücksichtigt.

Führend im Klimaschutz: private Haushalte, Kommunen und Unternehmen

Umso erstaunlicher ist, dass unterhalb der Ebene der Nationalstaaten deutliche Zeichen für den Klimaschutz gesetzt werden: bei privaten Haushalten, Kommunen und Unternehmen. Dabei schlägt das Problem der Trittbrettfahrer besonders heftig zu. Angesichts der verschwindend geringen Reduktion an Treibhausgasen, die ich durch mein eigenes Handeln erzielen kann, scheint es nachgerade absurd, die Kosten des Klimaschutzes tragen zu müssen. Es wäre, dieser Logik folgend, viel sinnvoller, die knappen Mittel, die mir – als Bürger, als Kommune, als Unternehmen – zur Verfügung stehen, in Maßnahmen zur Anpassung an den unvermeidlichen Klimawandel zu investieren. Wie immer es mit dem globalen Klimaschutz ausgehen mag, sind diese Mittel sinnvoll ausgegeben: ich schütze mich, meine Familie, meine Stadt.

Dennoch gibt es viele Aktivitäten zum kommunalen Klimaschutz. Auch Unternehmen engagieren sich. In einem Pilotvorhaben haben zehn deutsche Unternehmen den CO2-Fußabdruck ihrer Produkte ermitteln lassen und denken momentan über klimafreundlichen Konsum nach. Auch Bürgerinnen und Bürger sind engagiert. Das funktioniert auf lokaler Ebene besonders gut, wie z.B. der Bürgerpakt für Klimaschutz der Stadt Münster zeigt.

Ich selbst habe das Vergnügen, an der Entwicklung des Konzeptes zum Klimaschutz für Potsdam mitzuwirken. Auch hier merkt man: Arbeiten Kommunalpolitik, lokale Wirtschaft und ein aktiver Kern engagierter Bürgerinnen und Bürger zusammen, stehen die besten Aussichten gut, auch ehrgeizige Klimaschutzziele zu erreichen.

Mehr sparen durch höhere Preise

Die klima- und energiepolitische Debatte hat durch zwei Entwicklungen sehr profitiert: den weltweiten Anstieg der Öl- und Gaspreise sowie die Resonanz klimaökonomischer Befunde. Dass Energieeffizienz und -sparen mit dem Anstieg der Preise bessere Chancen haben, braucht nicht lange erläutert zu werden. Und wenn sich die Peak-Oil-Hypothese bewahrheitet, derzufolge die Zukunft der Energiepreise nicht so sehr von der absoluten Angebotsmenge abhängt, sondern vielmehr davon, wie sich diese verändert, dann dürfte es auch ohne das Zusatzproblem Klimawandel rational sein, sich längerfristig auf erneuerbare Energieträger einzustellen.

Der Stern-Review hat allerdings deutlich gemacht, dass dieses Zusatzproblem rascheres Handeln erforderlich macht. Anders als die meisten klimaökonomischen Studien zuvor hat Lord Nicholas Stern zweierlei deutlich gemacht: Erstens richtet der Klimawandel deutlich mehr wirtschaftliche Schäden an, als bisher angenommen. Zweitens sind die Kosten des Klimaschutzes deutlich geringer als bisher geglaubt (nur rund ein bis zwei Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts).

Elektroauto = Limousine ohne Verbrennungsmotor?

Der gesellschaftliche Klimadiskurs weist bislang eine gewisse Verkürzung auf. Bisweilen erwecken Ökonomen und Politiker den Eindruck, der erforderliche Umbau des Energiesystems sei eine rein technische und, siehe Stern, noch dazu recht kostengünstige Angelegenheit. Das erweckt leicht den Eindruck, man könne sich locker zurücklehnen und warten, bis Politik und Wirtschaft diesen Umbau geschafft haben. Wann kommt es endlich, das Elektroauto mit genau den gleichen Features, dem gleichen Design, den gleichen Kosten und der gleichen Infrastruktur wie sein fossiler Vorgänger?

Diese Rechnung – dieser Alltagsmythos einer ergrünenden Konsumkultur – wird nicht aufgehen. Wir brauchen nicht Geringeres als eine dritte industrielle Revolution (siehe die Beiträge in Die dritte industrielle Revolution).

Revolution der Konsum- und Lebensstile

Ohne eine Revolution der Konsum- und Lebensstile wird es dazu aber nicht kommen. Noch nie in der Technikgeschichte hat sich umfassender Wandel einfach nur als technische Umstellung durchgesetzt. Er waren stets begleitet von teils schrittweisen, oft aber dramatische Änderungen in Produktion, Distribution und Konsumtion, von neuen Organisationsformen und Regulierungsmustern. Das war so bei der ersten industriellen Revolution der Fall und genauso bei der Einführung der Elektrizitätsnetze und Kraftmaschinen.

Um das weltweite Klima bei einer zusätzlichen Erwärmung von zwei Grad Celsius zu stabilisieren, müssen hierzulande bis 2050 die Emissionen um 80 bis 90 Prozent reduziert werden. Eine solche kohlenstoffarme Wirtschaft lässt sich nur mit dem Umbau von Produktion, Produkten und Geräten, Logistik, Gebäuden, Infrastrukturen und Politik erreichen. Konsummuster können dabei nicht außen vor bleiben.

Bedienungsanleitung für die Stadt der Zukunft

Ein Niedrigenergiehaus kann durch falsches Handling eine genauso schlechte Energiebilanz haben wie ein konventionelles Gebäude, das klimabewusst gemanagt wird. Optimal ist es, wenn ein energetisch gutes Gebäude von klimabewussten Menschen bewohnt wird. Genau das hat die Planer der ersten klimaneutralen Stadt der Welt, Masdar in Abu Dhabi, dazu bewogen, ein Handbuch für die künftigen Bewohner (PDF) zu entwickeln. Diese müssen ihren Lebensstil ändern, damit sie zum technischen Angebot „passen“. Ähnliches gilt für den Stromverbrauch – auch bei grünem Strom – und die Elektromobilität.

Viele Politiker und Politikerinnen wollen an das Thema „Wandel des Lebensstils“ nicht rühren. Sie wollen wiedergewählt werden und glauben, dass die Forderung, Konsum und Lebensstil zu ändern, vom Wahlvolk als Spaßbremse verstanden würde. Stimmt das wirklich? Richtig ist: Das Zusammenspiel zwischen individuellem Konsum und politischem Rahmen ist komplex. Ich als einzelner Verbraucher kann nur wenig tun. Aber ich würde eine Politik unterstützen, die mir – und allen – helfen würde, richtig zu handeln ohne dabei das Nachsehen haben zu müssen.

Politik der Lebensstile

Was heißt das für eine Politik der Lebensstile? Es muss deutlich werden, dass auch diejenigen, die auf Technik setzen um eine post-fossile Gesellschaft zu erreichen, implizit von Änderungen des Lebensstils und Konsums ausgehen. Anders kann die technologisch mögliche Effizienz gar nicht erreicht werden. Niemals wäre das Energie-Plus-Haus erfunden worden, hätten wir nur gefragt, wie bestehende Bedarfe durch klimaneutrale Energieträger abgedeckt werden können. Der Clou bestand in der Frage: „Brauchen wir überhaupt so viel Energie – und wozu?“ Weniger war dann, wie sich zeigte, einfach mehr.

Die Maßstäbe von Komfort, Sauberkeit und Bequemlichkeit, die der modernen Konsumgesellschaft mindestens so sehr zum Durchbruch verholfen haben wie technische Innovationen, gehören auf den Prüfstand. Sie können und müssen neu definiert und durch „grüne“ Technologien sowie alternative Organisationsmuster neu formuliert werden. Das ist auch eine kulturelle Aufgabe. Und es ist eine Aufgabe, bei der wir neben technischen auch soziale Experimente brauchen. Wir müssen eine Politik fördern, die uns im Gegenzug den nötigen Manövrierraum dafür freischaufelt oder frei hält.

Experten und Künstler für die dritte industrielle Revolution

Ob die Himalaya-Gletscher schon 2035 oder erst 2075 abschmelzen – der Klimawandel ist da, und er wird sich noch verstärken. Es gibt keine wissenschaftlich haltbaren Gründe, die uns daran zweifeln lassen könnten. Wir sollten dennoch aufhören, weiter an der Angstschraube zu drehen. Aus Angst entsteht kaum Kreativität und Neues.

Die dritte industrielle Revolution kommt, wenn es gelingt, überzeugende Erzählungen des guten Lebens auf einer neuen technologisch-zivilisatorischen Grundlage zu entwickeln. Dabei können uns Experten helfen – und übrigens auch Künstler, die hier viel aktiver werden müssten. Handeln aber müssen wir selbst. Wir müssen aus freiem Willen auf einen desaströsen Pfad der Entwicklung verzichten und uns dafür entscheiden,  einen besseren Weg einzuschlagen.

Fritz Reusswig ist Leiter Konsum- und Lebensstilforschung am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Das Webdossier versammelt zum Teil kontroverse Beiträge von Expertinnen und Experten, die an der Konferenz teilnahmen. Die in den Beiträgen vertretenen Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Sicht der Heinrich-Böll-Stiftung wider.

Dossier

Europäische Energiepolitik

Der Abschied von Kohle, Öl, Gas und Atomkraft ist machbar. Der Übergang ins Zeitalter der Erneuerbaren Energien muss politisch vorangetrieben werden. Es geht um Investitionsanreize und Zukunftsmärkte, um Energiesicherheit und Machtfragen, um technische Innovationen und gesellschaftliches Umdenken.



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