Das internationale Minimalziel, die Erderwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen, wird nur mit einer massiven Reduzierung der globalen CO²-Emissionen und einem möglichst schnellen Ausbau erneuerbarer Energieträger zu erreichen sein. Klimapolitik ist deshalb zum großen Teil auch Energiepolitik. Neben den ökologischen müssen wirtschaftliche und politische Interessen unter einen Hut gebracht werden. Der enttäuschende Klimagipfel in Kopenhagen hat demonstriert, wie schwierig das ist.
Auf der internationalen Konferenz "Europäische Energiepolitik. Energiesicherheit, Klimaschutz, Innovation" der Heinrich-Böll-Stiftung am 16. und 17. März 2010 in Berlin war eine der zentralen Fragen: Kann Europa mit gutem Beispiel vorangehen? Die Antwort war eindeutig: Europa kann und Europa muss. Denn ohne eine Stärkung der supranationalen europäischen Energiepolitik wird der notwendige energiepolitische Wandel nicht stattfinden.
"Alle Pipelines führen zu uns"
Die Energieinteressen der Mitgliedsländer stehen seit Beginn der europäischen Integration weit oben auf der Tagesordnung. Mit der Gründung der "Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl" 1951 sowie der "Europäischen Atomgemeinschaft" 1957 wurde die gemeinschaftliche Versorgung mit fossiler und atomarer Energie gesichert. Die Versorgungssicherheit ist bis heute ein zentrales Motiv der Energiepolitik. Die Konferenz vermittelte jedoch früh den Eindruck, dass von einer wirklich europäischen Energiepolitik bislang noch keine Rede sein kann.
Dabei steht Europa auf den ersten Blick gar nicht so schlecht da. Das vor zehn Jahren in Deutschland beschlossene Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat sich zu einem Vorbild für viele andere Länder entwickelt. Zu den Fortschritten auf EU-Ebene gehört die 2007 beschlossene "20-20-20 bis 2020"-Initiative , die eine CO²-Reduzierung um 20%, eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energie am europäischen Energiemix auf 20% sowie eine Steigerung der Energieeffizienz um 20% vorsieht. Spätestens die Gas-Krise von 2006 demonstrierte allerdings die Grenzen der europäischen Kooperation. Als Russland seine Gaslieferungen an die Ukraine und Moldawien einstellte und damit zum ersten Mal auch die Versorgung Europas in Gefahr geriet, reagierten Deutschland, Frankreich und andere Länder mit einer Intensivierung ihrer nationalen Pipeline-Strategien.
Der energiepolitische Leerlauf auf europäischer Ebene wurde besonders von Rebecca Harms kritisiert. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen/EFA im Europäischen Parlament stellte in ihrer Keynote fest (Audio-Mitschnitt) , dass die Zukunft der EU-Energiepolitik jenseits des unausgesprochenen Mottos "Alle Pipelines führen zu uns." in vielen Punkten immer noch offen sei. Die durch politische Sonntagsreden gestützte öffentliche Annahme, dass es in Brüssel eine "grüne Mehrheit" in der Energiepolitik gebe, treffe jedenfalls nicht zu. Innerhalb der EU gebe es immer noch erhebliche Uneinigkeit hinsichtlich der Maßnahmen zur Reduzierung der CO²-Emissionen und der Zukunft von Kohle und Atomkraft. EU-Kommissionspräsident Barroso habe seine "Wurzeln im Gestern" und bremse grüne Energiekonzepte. Eine Besserung dieser Umstände erhoffte sich Rebecca Harms von dem neuen diplomatischen Dienst, der mit dem Vertrag von Lissabon beschlossen wurde und der die europäische Perspektive in der Energiepolitik der einzelnen Mitgliedstaaten stärken könnte.
Die Kritik von Rebecca Harms an der europäischen Energiepolitik wurde während der Konferenz vielfach geteilt. Von einer EU-Strategie könne angesichts des geringen Budgets und der nationalen Dominanz in der Energiepolitik kaum die Rede sein, meinte Claude Turmes, seit 1999 Mitglied der Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament. Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, wies darauf hin, dass den bisherigen Plänen zufolge selbst im Jahr 2020 nur 2% des europäischen Stroms grenzüberschreitend produziert und verteilt würden. Dörte Fouquet, Direktorin der European Renewable Energies Federation, zeigte Skepsis gegenüber den beschriebenen Selbstverpflichtungen der EU-Länder. Die Erfahrung lehre, dass die meisten Staaten ihre klimapolitischen Zusagen bisher "nie erfüllt" hätten. Selbst in Deutschland gerate das so hoch gelobte Erneuerbare-Energien-Gesetz zunehmend unter politischen Druck. Schon eine teilweise Rücknahme der Maßnahmen hätte in Europa fatale Signalwirkung, so Fouquet.
100% Strom aus Erneuerbaren Energien in 2050?
Trotz der zögerlichen und widersprüchlichen Energiepolitik in Europa ist der Abschied von fossilen Energieträgern und die Dekarbonisierung der Wirtschaft seit Jahren im Gange. Claude Turmes hob hervor, dass 2009 mehr als 60% aller Neuinvestitionen im europäischen Stromsektor in erneuerbare Energieträger geflossen seien. Der Übergang zur grünen Stromerzeugung habe bereits heute eine hohe Eigendynamik. Angesichts des bedrohlichen Tempos der Erderwärmung, aber auch wegen der wachsenden Konkurrenz durch die ökologische Energiewirtschaft in den USA und in China wäre es allerdings fatal, passiv auf eine Marktlösung zu warten. Ein aktives politisches Vorantreiben der Entwicklung auf europäischer Ebene erschien für fast alle Konferenzteilnehmer nicht nur wünschenswert, sondern unentbehrlich. Eine gemeinsame europäische Energiepolitikmit richtungsweisenden Investitionsanreizen für technologische Innovationen und gesellschaftliches Umdenken kann die Infrastrukturen für eine Energiewende mit dem Ziel 100 Prozent Erneuerbare Energien in Europa schaffen. Dafür bedarf es Kooperation auf allen Feldern, von Forschung und Entwicklung bis zu transnationalen Stromnetzen. Die Notwendigkeit einer europäischen Planungs- und Investitionsstrategie wurde während der Diskussion über die technologischen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen eines breiten Durchbruchs für Strom aus Erneuerbare Energien konkretisiert.
Christian Hey, Generalsekretär des Sachverständigenrates für Umweltfragen, stellte eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) vor, in der eine vollständige Umstellung der europäischen Stromerzeugung auf erneuerbare Energieträger aus technologischer und ökonomischer Sicht als realistische Option bewertet wurde. Das kostengünstige Energiepotential aus Wind, Wasserkraft, Sonne, Biomasse und Erdwärme beträgt dieser Studie zufolge etwa 70.000 TWh und übertrifft den europäischen Energiebedarf im Jahr 2050 damit um das Zehnfache. Die größte Herausforderung bei der Umsetzung dieses Szenarios wäre Hey zufolge nicht die Produktion, sondern die Verteilung des Stroms. Die große Vielfalt und europaweite Verteilung grüner Energiequellen würde auf lokaler und regionaler Ebene größere Stromschwankungen verursachen, die im bisherigen Stromnetz die Versorgungssicherheit bedrohen könnten. Ein neues "intelligentes Stromnetz" ("Smart Grid") müsste deshalb in der Lage sein, europaweit sehr viel größere Strommengen sehr viel effizienter und flexibler verteilen und zwischenspeichern zu können.
Eine Europäisierung der Energiepolitik ist eine zentrale Voraussetzung für die Lösung dieses Problems, so Christian Hey. Um ein europaweit funktionierendes Stromnetz aufbauen zu können, bedarf es einer gesamteuropäischen Planungsstrategie. Dies würde den investierenden Energieunternehmen klare Bauvorgaben und dringend notwendige Planungssicherheit verschaffen und die Investitionsrisiken abfedern.
Die von Christian Hey und anderen Referenten geteilte Vision einer 100%igen Umstellung auf Strom aus Erneuerbaren Energien in ganz Europa traf während der Konferenz auf zum Teil deutlichen Widerspruch. So bestand Arne Mogren, Vizepräsident für Klimapolitik beim Energieunternehmen Vattenfall, darauf, dass die technischen Anforderungen an ein "Smart Grid"-System zu groß seien, um auf das Sicherheit bietende Grundlastangebot aus Atomkraft und Kohle verzichten zu können. Es müsse weiterhin Kraftwerke geben, die rund um die Uhr laufen, um ein Stromangebot bereit zu stellen, das zu keiner Zeit unterschritten wird. Vattenfall-Studien hätten ergeben, dass bis 2050 ein europäischer Anteil an Strom aus Erneuerbaren Energien von 40 bis 80% realistisch sei. Die Herausforderung sei in diesem Szenario bereits groß genug, da die Investitionen in saubere Energieerzeugung, neue Netze und Speichermöglichkeiten bis 2020 verdoppelt werden müssten. Mogrens Erfahrungen in Skandinavien ließen ihn zudem vor den oft unterschätzten politischen Schwierigkeiten einer transnationalen Energiepolitik warnen.
Auch Jean-Arnold Vinois, Mitglied der Europäischen Kommission, zweifelte daran, dass ein völliger Verzicht auf Kohle und Atomkraft auf europäischer Ebene durchzusetzen sei. Im 100%-Szenario wäre z.B. eine Verzehnfachung des Verbundnetzes zwischen Frankreich und Spanien notwendig - nach seinen bisherigen Erfahrungen beim Ausbau transnationaler Stromnetze ein politischer "Alptraum", so Vinois.
Frank Umbach, Experte für internationale Energiesicherheit am Centre for European Security Strategies in München/Berlin, erläuterte am Beispiel Polens, dass Regierungen ihre Energiepolitik nicht nur an ökologischen und wirtschaftlichen, sondern auch an sicherheitspolitischen Gesichtspunkten ausrichten. Polen bestehe auf seine Kohlekraftwerken, plane den Bau neuer Atomkraftwerke und kaufe teures Erdgas aus Bahrain, um eine Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu umgehen. Die geplanten "Smart Grids" seien außerdem viel zu anfällig für Cyber-Angriffe und könnten im schlimmsten Fall die Stromversorgung ganzer Regionen zusammen brechen lassen.
Ulrich Ehricke, Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, machte darauf aufmerksam, dass klimapolitische Visionen sehr schnell an energie- und wettbewerbsrechtliche Grenzen stoßen. Das mögliche Ausmaß der juristischen Komplikationen könne es sogar sinnvoll erscheinen lassen, den Netzbetrieb vollends in staatliche Verantwortung zu überführen, so Ehricke.
CO²-Speicherung und klimafreundliche Atomkraftwerke?
Die Einwände gegen einen radikalen Umbruch im Energiesektor führten während der Konferenz immer wieder zu engagierten Diskussionen über das Pro und Contra der Atomkraft und den Nutzen neuer Innovationen wie der CCS-Technologie ("Carbon Dioxide Capture and Storage"), mit der CO²-Emissionen aus Kohlekraftwerken abgeschieden und in geologischen Lagerstätten gespeichert werden sollen. Der Energiekonzern Vattenfall plant ein CCS- Modellprojekt in Brandenburg.
Frank Umbach bestand darauf, dass die Ablehnung der Atomkraft durch die Deutschen europaweit und erst recht auf globaler Ebene nicht geteilt wird. Auch die Kohle werde aufgrund der globalen Reserven sehr lange ein wichtiger Energieträger bleiben. Die CCS-Technologie werde deshalb mit oder ohne Europa kommen. Der deutsche Atomausstieg könnte sich hinsichtlich seiner Klimabilanz sogar als Rückschlag herausstellen, da Russland mittlerweile über den Bau von Kohlekraftwerken nachdenke, um sich auf die gestiegene Erdgasnachfrage aus Deutschland einzustellen.
Auch Jean-Paul Poirier vom französischen Energiekonzern AREVA bestand auf den Klimavorteilen der Atomkraft und wies darauf hin, dass zahlreiche Länder gegenwärtig den Bau weiterer AKWs planten. Diese Argumentation Poiriers wurde von Hans-Josef Fell, Sprecher für Energie und Technologie der Bundestagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, bestimmt zurückgewiesen. Fell sagte dem Unternehmen Poiriers das Schicksal von General Motors voraus, da auch AREVA die weltweiten Marktbedingungen völlig falsch einschätze. Die internationalen Uranreserven gingen zur Neige und das Sicherheitsrisiko sowie die Kosten neuer AKWs seien viel zu hoch. Ein Bestehen auf der Atomkraft sei klimapolitisch keineswegs harmlos, da es die Einführung erneuerbarer Energien bremse.
Diese Bremswirkung ist nach Ansicht von Claude Turmes durchaus im Interesse von Energiekonzernen wie Vattenfall und AREVA. Die großen Unternehmen pflegten das "Dinosaurier-Konzept" der Grundlast, um möglichst lange an ihren "Cash Cows", den überaus profitablen alten und abgeschriebenen Kohle- und Atomkraftwerken, festhalten zu können. Turmes erinnerte daran, dass heute immer noch 95% des europäischen Stroms von nur 12 Konzernen produziert werde. Die möglichen Probleme bei der Einführung erneuerbarer Energien würden deshalb in vielen Industriestudien übertrieben.
Dass dies nicht immer der Fall sein muss, wurde von Martin Rocholl, Politischer Direktor der European Climate Foundation, demonstriert. Rocholl präsentierte eine Studie, bei der bewusst die Daten aus der Energiewirtschaft und wirschaftsnahen Organisationen wie McKinsey einbezogen wurden. Das Ergebnis: Bei allen Szenarien - mit einem Anteil von 40%-100% erneuerbaren Energieträgern - ist die Versorgungssicherheit voll zu gewährleisten und es würde keineswegs zu größeren Schwankungen im Stromnetz kommen. Der Grund: die Volatilität der verschiedenen Energiequellen gleiche sich im europäischen Netz größtenteils aus. Die nötigen Pufferkapazitäten könnten der Studie zufolge durch flexibel einsetzbare Erdgaskraftwerke ausgeglichen werden. Auch aus wirtschaftlicher Sicht gebe es keine Nachteile. So wären die hohen Anfangsinvestitionen in den Ausbau des europäischen Stromnetzes durch dessen billigen, effizienten und sicheren Betrieb schon bald wieder ausgeglichen, so Rocholl.
Erdgas – fossiler Energieträger des Übergangs
In allen Energieszenarien, die während der Konferenz vorgestellt wurden, spielte Erdgas in der Überbrückungsphase eine zentrale Rolle. Auch Frauke Thies, Energieberaterin für Greenpeace in Brüssel, pflichtete dieser Einschätzung bei. Der Erdgasverbrauch sei mit vergleichsweise geringen CO²-Emissionen verbunden. Erdgaskraftwerke könnten sehr flexibel eingesetzt werden, sie seien deshalb als Ergänzung zu den erneuerbaren Energieträger und als verlässliche Energiereserve gut geeignet.
Neben der Durchsetzung des Strom aus Erneuerbaren Energienwird also auch die Sicherung der Erdgaslieferungen in weiterer Zukunft zu den Aufgaben europäischer Energiepolitik gehören. Aus Sicht der russischen Zulieferer sei dies kein Problem, wie Burkhard Woelki von der Unternehmensgruppe GAZPROM Germania in Berlin betonte. Vorwürfe, dass Russland seine Rolle als Energielieferant politisch ausnutze, wies Woelki entschieden zurück. Russland sehe sich als Partner der EU und liefere Erdgas seit 40 Jahren zuverlässig. Die weitere Bedeutung des Energieträgers Erdgas komme schon dadurch zum Ausdruck, dass GAZPROM in Europa Lieferverträge bis 2030 und darüber hinaus abgeschlossen habe.
Maria Belowa vom Institut für Energie und Finanzen in Moskau unterstrich, dass nicht nur die EU, sondern auch Russland ein großes Interesse an energiepolitischer Planungssicherheit habe. Die russische Verhandlungsstrategie gegenüber den EU-Ländern ziele keineswegs darauf ab, diese gegeneinander auszuspielen, sie sei vielmehr eine Reaktion auf die europäische Uneinigkeit in der Energiepolitik.
Enno Harks, Political Advisor bei der Deutschen BP , fasste seine Meinung zu den diskutierten Pipeline-Projekten im Norden und Südosten Europas (Nord Stream, South Stream und Nabucco) folgendermaßen zusammen: "Jede Pipeline mehr ist besser als eine weniger." Die Diversifizierung der Transportwege des Erdgases vergrößere die europäische Versorgungssicherheit. Manuel Sarrazin, Sprecher für Europapolitik der Bundestagsfraktion der Grünen, sprach sich dagegen aus, die europäische Energiepolitik gegenüber Russland ausschließlich negativ zu definieren. Die EU sollte Russland vielmehr als Partner betrachten und auf positive Aspekte setzen. Kooperationsprogramme zur Förderung der Energieeffizienz und zur Unterstützung bei der Erschließung von erneuerbaren Energien in Russland würden beiden Seiten zugutekommen.
Die DESERTEC-Vision
Während der Konferenz wurde die DESERTEC Foundation als Preisträger im Innovationswettbewerb "365 Orte im Land der Ideen" ausgezeichnet. Die allgemeine Faszination mit dem Projekt ließ sich auch daran ablesen, dass DESERTEC in fast jeder Diskussion der Konferenz zur Sprache kam. Bei der Vorstellung des Projekts vermittelte Friedrich Führ, Vorstand DESERTEC Foundation, einen Eindruck vom überwältigenden Potential des Solarstroms aus der Wüste. Um den heutigen globalen Strombedarf von 18.000 TWh/Jahr zu decken, würde es demnach ausreichen, Solarstrom auf drei Tausendsteln der globalen Wüstenflächen zu produzieren. 90% der Weltbevölkerung könnte nach dem Vorbild der DESERTEC-Idee effizienter Zugang zu Solar- und Windstrom verschafft werden.
Die technologischen Fragen des Projekts seien bereits geklärt, so Führ. Einer Umsetzung der Vision stehe heute vor allem das Beharrungsvermögen der herkömmlichen Energieindustrie entgegen, die immer noch sehr viel Gewinn abwerfe. Europa selbst brauche aufgrund eigener erneuerbarer Energiequellen eigentlich keinen Solarstrom aus Nordafrika. Das Projekt würde sich aber als Ergänzung zum künftigen europäischen Stromnetz anbieten und zugleich einen Entwicklungsschub für eine der ärmsten Regionen der Welt auslösen.
Neben viel Zuspruch für DESERTEC gab es während der Konferenz auch skeptische Stimmen. Frauke Thies warnte, dass das neue Stromnetz zwischen Nordafrika und Europa kurzfristig zum Bau von Kohle- und Atomkraftwerken in den afrikanischen Ländern führen könnte. Martin Rocholl ging davon aus, dass das Projekt vor beträchtlichen politischen Komplikationen bei der Kooperation der beteiligten Staaten stehen werde. Rocholl befürchtete zudem, dass die potentiellen Vorteile von DESERTEC die europäische Politik von näher liegenden Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz oder regionalen Projekten wie der Nordsee-Offshore-Initiative ablenken könnten. Kritischen Stimmen zur Beteiligung großer Unternehmen am DESERTEC-Projekt wurde dagegen von allen anwesenden Experten widersprochen: Die Beteiligung von "Big Playern" wie Deutsche Bank oder E.ON könne die Chancen der Realisierung einer solch ambitionierten Idee nur erhöhen.
Energiewende geht nicht ohne Politik
Die Diskussionsrunde "Energiesparen durch Lebensstilreform?" sollte der Frage auf den Grund gehen, ob Individuen angesichts der empfundenen "Impotenz der Politik" (Moderator Tilman Santarius) eine treibende Rolle bei der Durchsetzung einer ökologischen Lebensführung spielen können. Allerdings wurde auch hier das Fazit gezogen, dass es ohne umweltrechtliche und ökonomische Rahmensetzung kaum zu einer tiefgreifenden Veränderung des westlichen Lebensstils kommen wird. Die Vermittlung neuer kultureller Leitbilder z.B. durch Massenmedien, Musikindustrie oder Architekturdesign könne allerdings dabei helfen, die Akzeptanz eines "Low Carbon Lifestyle" in der Bevölkerung zu unterstützen, so Fritz Reusswig vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Appelle zum Konsumverzicht und generelle Wachstumskritik wären nach Ansicht der Mehrzahl der Experten dagegen nur schwer zu begründen und würden einer Durchsetzung der Energiewende eher schaden.
Bei allen Kontroversen; Einig ware sich die Diskutantinnen und Diskutanten der Konfrenz: Nur eine konzertierte Aktion der europäischen Staaten kann die EU zum Vorreiter einer globalen Energiewende machen. Europäische Visionen wie die Europäische Gemeinschaft für Erneuerbare Energien (ERENE) und regionale wie überregionale Energiekooperationen wie DESERTEC weisen den Weg in die richtige Richtung.
Eindrücke von der Konferenz
Dossier
Europäische Energiepolitik
Der Abschied von Kohle, Öl, Gas und Atomkraft ist machbar. Der Übergang ins Zeitalter der Erneuerbaren Energien muss politisch vorangetrieben werden. Es geht um Investitionsanreize und Zukunftsmärkte, um Energiesicherheit und Machtfragen, um technische Innovationen und gesellschaftliches Umdenken.Dieses Projekt wurde mit Unterstützung des Programms „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ der Europäischen Kommission finanziert.