Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit heiße ich Sie sehr herzlich im Namen der Heinrich-Böll-Stiftung zu den 5. Kiewer Gesprächen willkommen.
Es freut mich sehr, dass die Kiewer Gespräche, an denen wir uns zum wiederholten Male mit Freude beteiligen, in diesem Jahr bei uns zu Gast sind, und ich bedanke mich insbesondere bei Stefanie Schiffer und dem Europäischen Austausch für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der Vorbereitung.
Wir verstehen die Kiewer Gespräche als Dialogplattform, um die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Ukraine zu beraten und Impulse für die Zusammenarbeit zu entwickeln. Bei den Treffen, die in Deutschland stattfinden, geht es natürlich auch darum, das Interesse für die Ukraine zu wecken und zu vertiefen:
- Für ein großes europäisches Land, das historisch und kulturell so vielfältig ist und das viel mehr zur europäischen Kultur beigetragen hat, als hierzulande gemeinhin bekannt ist
- ein Land, das über eine – im Vergleich mit anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion – sehr aktive Zivilgesellschaft und pluralistische Medienlandschaft verfügt
- ein Land, das es seit der Unabhängigkeit 1991 immerhin schon dreimal geschafft hat, friedliche Machtwechsel durch demokratische Wahlen zu bewirken, und schließlich
- ein Land, das von zentraler Bedeutung für den gesamten Osten Europas und die Zukunft der Beziehungen zwischen der EU und ihren östlichen Nachbarn ist.
Deshalb werden wir im Rahmen und am Rande dieser Konferenz auch darauf zu sprechen kommen, was der jüngste Machtwechsel, der ja deutlich über einen personellen Wechsel im Amt des Präsidenten hinaus geht – für die nächsten Jahre erwarten lässt. Ein überraschend deutliches Signal haben wir ja in der letzten Woche schon erhalten.
Vor wenigen Tagen haben zwei postsowjetische Präsidenten in Charkiw einen typisch postsowjetischen Deal abgeschlossen – keinen „New Deal“ und schon gar keinen „Green Deal“, sondern politischen Deal alter Machart. Old style war dieser Coup sowohl wegen der fast klandestinen Weise, in der er eingefädelt wurde wie im Hinblick auf die Strukturen, die er befestigt: Die Ukraine bekommt von Russland auf Jahre hinaus verbilligtes Gas – und Russland kann im Gegenzug seine Schwarzmeerflotte bis mindestens 2042 weiter in Sewastopol auf der Krim stationieren.
Die frisch ins Amt gekommene ukrainische Führung erreicht mit diesem Vertrag eine kurzfristige Entlastung des Staatsbudgets und wendet den Bankrott von Naftogas, dem ukrainischen Gasmonopolisten, ab. Zugleich veräußert sie jedoch zentrale Optionen für die Zukunft.
Zum einen schränkt sie die außenpolitische Entscheidungsfreiheit der Ukraine ein: Von der Perspektive eines ukrainischen NATO-Beitritts hat man sich ja offenbar sowohl in der Ukraine wie in der NATO schon längere Zeit verabschiedet. Doch gilt das nun auch für die EU? Denn wer von Ihnen, meine Damen und Herren, kann sich vorstellen, dass ein Staat der EU beitritt, der eine der größten Flottenbasen Russlands beherbergt? Dazu bedarf es schon sehr viel politische Phantasie. Selbstverständlich soll die EU ihre Zusammenarbeit mit der Ukraine weiter ausbauen, statt ihr jetzt den Rücken zu kehren. Große Teile der ukrainischen Gesellschaft verstehen sich als Teil des modernen, demokratischen Europa. Aber es wäre naiv zu glauben, der jüngste ukrainisch-russische Coup hätte keine Auswirkungen auf die politische Konstellation in Osteuropa und die Beitrittsperspektiven der Ukraine zur EU.
Auch energiepolitisch hat dieses Abkommen seine Schattenseiten. Mit der Absenkung des Gaspreises sinkt zugleich der Druck zur grundlegenden Modernisierung des ukrainischen Energiesystems. Welche politischen und wirtschaftlichen Interessen lassen sich nun mobilisieren, um mehr Energieeffizienz, transparente Finanzierungswege und den Übergang zu erneuerbaren Energien durchzusetzen, zumal die politische Führung der Ukraine eng mit der Energiewirtschaft verflochten ist?
Medienberichten zufolge sind in Charkiw auch weitere bilaterale russisch-ukrainische Abkommen geschlossen worden, über die die Öffentlichkeit bislang nicht unterrichtet wurde. Dabei geht um ein Konsortium zur Modernisierung des ukrainischen Gastransitsystems mit einer starken russischen Beteiligung (mindestens zu 50%), um eine exklusive Vereinbarung über die Belieferung der ukrainischen AKWs mit Brennstäben für die nächsten 15 Jahre, um den Bau von zwei neuen Atom-Reaktoren durch Rosatom und einen entsprechenden russischen Kredit in Höhe von 5-6 Mrd. USD. Angeblich soll Russland nach dieser Vereinbarung am späteren Stromexport in die EU zu 50% beteiligt werden. Auch Anteile an der ukrainischen Flugzeugindustrie sollen angeblich an Russland übertragen worden sein.
Die politische Tragweite dieser Vereinbarungen zwischen den Präsidenten Janukowytsch und Medwedew geht weiter über ein Energie- und Stationierungsabkommen hinaus. Denn Russland bindet damit die Ukraine für weitere 32 Jahre wirtschaftlich wie politisch an sich – und das ohne jede Gewaltandrohung, sondern mit Begeisterung auf der offiziellen ukrainischen Seite. Auch wenn die Zugeständnisse in der Gasfrage den russischen Staatshaushalt insgesamt ca. 40 Mrd. USD kosten sollen: für die Sicherung der geopolitischen Ziele Russlands ist das ein Schnäppchenpreis.
Der Titel dieser Konferenz – Green New Deal auf Ukrainisch? – wurde vom Trägerkreis der Kiewer Gespräche sicher nicht deshalb ausgewählt, weil er so gut zur Heinrich-Böll-Stiftung passt – Green New Deal ist nämlich eines unserer Lieblingsthemen.
Vielmehr geht es darum, den postsowjetischen Deals eine zukunftsfähige Alternative entgegenzusetzen. Und es geht darum, die deutsch-ukrainische Zusammenarbeit auf eine moderne europäische Energiepolitik auszurichten.
Green New Deal steht in der deutschen und internationalen Diskussion für die ökologische und soziale Erneuerung der Industriegesellschaft. Es geht um Wege aus der dreifachen Krise der Weltökonomie finden: der Finanzkrise, der Klimakrise und der globalen Gerechtigkeitskrise.
Der Übergang zu einer umweltverträglichen, kohlenstoffarmen Wirtschaftform ist zugleich der Schlüssel für eine nachhaltige Belebung von Investitionen und Beschäftigung. Das bedeutet zum einen den Umbau von Schlüsselsektoren, die durch besonders hohen Energiebedarf und CO2-Emissionen gekennzeichnet sind. Zum anderen bedarf es einer grundlegenden Erneuerung des Energiesektors, des Verkehrssystems und des Städtebaus, die sich auf alle Wirtschaftssektoren und auf das Alltagsleben der Gesellschaft auswirkt.
Die ukrainische Volkswirtschaft mit ihrer hohen Abhängigkeit von externem Kapital, von externer Energiezufuhr, von energieintensiver Schwerindustrie und vom Kohlebergbau wurde von Weltfinanzkrise voll getroffen. Die drohende Klima- und Energiekrise stellen die Zukunftsfähigkeit der ukrainischen Wirtschaftsstruktur unmittelbar in Frage.
Welchen Platz wird die Ukraine in 20 oder 30 Jahren in einem Europa einnehmen, das seine Volkswirtschaften auf erneuerbare Energien, moderne grenzüberschreitende Stromnetze und kohlenstoffarme Produktionsformen umgestellt hat? Welche Formen wirtschaftlicher und energiepolitischer Kooperation befördern die außenpolitische Souveränität der Ukraine, welche behindern sie? Welche energie- und wirtschaftspolitischen, aber auch gesellschaftspolitischen Entscheidungen müssen heute gefällt werden, um die Ukraine durch umfassende Modernisierung zukunftsfest zu machen?
Meine Damen und Herren,
die Frage nach einem „neuen, grünen Deal“ für die Ukraine ist kein Luxusthema für bessere Zeiten. Mit ihren verschiedenen Dimensionen – Energiepolitik und Energiesicherheit, transparente Wirtschaftspolitik und Außenpolitik – berührt sie Kernbereiche der ukrainischen Situation im hier und heute. Ich hoffe, wir finden auch in der deutsch-ukrainischen Zusammenarbeit neue Lösungen für diese Herausforderungen.
Weiterführende Links:
Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.Dossier
Die Ukraine auf dem Weg zur Demokratie
Seit 1991 ist die Ukraine unabhängig. Trotz Reformen hat die Demokratie in der Ukraine immer noch große Defizite. Die Orangene Revolution 2004 hat den Prozess der Demokratisierung beschleunigt, doch ist die Demokratie im Lande weiter instabil und die Zivilgesellschaft zu schwach, um Politiker und Politikerinnen kontrollieren zu können. Ein Schritt zurück zur Autokratie ist bei der andauernden politischen und wirtschaftlichen Krise nicht ausgeschlossen. Das Dossier begleitet die aktuellen Entwicklungen mit Artikeln und Hintergrundberichten.- Dossier: Die Ukraine auf dem Weg zur Demokratie von Dr. Kyryl Savin - Feedback an: savin@boell.org.ua