Amerikanische Klima- und Energiepolitik hat es nicht leicht im Wahljahr 2010. Zwar bemühen sich die Senatoren Kerry, Graham und Liebermann seit Monaten um einen überparteilichen Gesetzentwurf. Doch nach der heftig geführten Debatte um die Gesundheitsreform warnt die demokratische Basis zunehmend vor vergleichbaren Anstrengungen so kurz vor den Kongresswahlen im November. Viele der 435 zur Wahl stehenden Abgeordneten und 36 Senatoren fürchten um ihr Mandat, sollte es ihnen nicht gelingen, die für Amerika hohe Arbeitslosenquote von fast 10% zu senken. Ein Blick in die krisengebeutelten Industriestaaten des mittleren Westen zeigt, wie schwer es energiepolitische Reformen haben, aber auch wie bisher unbekannte Bündnisse entstehen. In Indiana, Michigan und Ohio gehören Kleinunternehmer, Gewerkschafter, Gläubige aber auch Veteranen zunehmend zu den Verfechtern grüner Marktpolitik. Investitionen in Erneuerbare Energien und Energie Effizienz sollen neue Arbeitsplätze schaffen und die Region aus der Krise führen.
Keith Cooley (Video Interview) redet nichts schön. „Michigan ist bestimmt der erste von 50 Bundesstaaten, den die Wirtschaftskrise erwischt hat und wahrscheinlich der letzte, der sich wieder erholt.“ 30 Jahre hat Cooley für den amerikanischen Autohersteller Ford gearbeitet. Er weiß vom glanzvollen Aufstieg und rasanten Abstieg einer ganzen Region, von der Bedeutung der amerikanischen Autoindustrie als Wiege des amerikanischen Mittelstandes: „In vielen Fällen konnten die Leute hier sehr gut ihren Lebensunterhalt verdienen, ohne dass sie eine technische Ausbildung oder einen Universitätsabschluss haben mussten.“ Das hat sich mittlerweile verändert. Chrysler, GM und Ford straucheln. Seit über zehn Jahren bestimmen Firmenschließungen und Massenarbeitslosigkeit das Leben der Menschen in der Region. Cooley hat das erkannt. Rechtzeitig hat er umgedacht. Heute leitet der gebürtige Detroiter eine 19 Mitarbeiter große Organisation namens Next Energy. „Wir betrachten uns als Wirtschaftsbeschleuniger für alternative Energien“, beschreibt Cooley das Geschäftsmodell. „Wir helfen der Zuliefererindustrie ihr Profil zu erweitern, sich nicht länger nur auf Autos zu konzentrieren, sondern Wind -, Solar und Energie aus Biomasse in Betracht zu ziehen.“ Damit setzt Cooley auf die Strukturpolitik von Jennifer Granholm, der demokratischen Gouverneurin von Michigan und stärksten Verfechterin der bis 2015 zu erreichenden Quote von 10 Prozent an Erneuerbarer Energien. „Wir haben hervorragende Ingenieure und Produktionskapazitäten (...). Die können auch sehr gut zur Herstellung sauberer Energieträger genutzt werden (...), gerade mit Blick auf die nächste Generation von Autos, die wahrscheinlich durch Elektrifizierung und fortgeschrittene Batterietechnologie bestimmt wird.“, sagt Brandon Hofmeister (Video Interview), Granholm’s Energieberater. Doch die Quotenregelung und Steuervergünstigungen greifen nur langsam und viele Unternehmen zögern noch. Schließlich kann Granholm nach zwei Amtszeiten nicht mehr wieder gewählt werden, und einige der Nachbarstaaten könnten nach den Wahlen bessere Konditionen anbieten.
Doch besser sind die Anreize für Erneuerbare Energien im südlichen Nachbarstaat Indiana bisher nicht. Mit einem Kohleanteil von 97 Prozent an der Stromproduktion steht Indiana ganz oben auf der Liste der amerikanischen Verschmutzer. „Mehr als die Hälfte unserer Kohle müssen wir importieren“, sagt Terry Black (Video Interview) von Green Way Supply. „Wir sind eigentlich kein Kohlestaat, doch der politische und wirtschaftliche Einfluss der Industrie kontrolliert noch immer unsere Politik.“ Kleinunternehmer wie Black haben es nicht leicht, denn in Indiana fehlt es an ausreichenden Förderinstrumenten wie einer Quotenregelung oder Einspeiseverordnung für Erneuerbare Energien. „Eines der gröβten Hindernisse ist die Angst vor Veränderung“, sagt Laura Arnold (Video Interview) von der Indiana Renewable Energy Association. „Indiana ist in vieler Hinsicht ein sehr konservativer Staat. Konservativ im Sinne von widerstrebend, gegen Veränderungen.“ Und doch trifft man in Indiana eine Reihe von energiepolitischen Vordenkern. Dutzende von Kleinunternehmern preisen bei den Feierlichkeiten zum Earth Day, im Zentrum von Indianapolis, ihre Dienste an. „Es gibt viele Unternehmer, die energiesparende Sanierungen für Privathäuser, aber auch für Unternehmen anbieten“, sagt Arnold. „Und das sind bleibende Arbeitsplätze. Denn der Bau von energieeffizienten Gebäuden lässt sich schließlich nicht ins Ausland exportieren.“ Ein Optimismus, den sie braucht in Indiana, denn an der politischen Situation wird sich wohl so schnell nichts ändern. Der Republikanische Gouverneur Mitch Daniels bleibt bis Ende 2012 im Amt, und der demokratische Senator Evan Bay verabschiedet sich mit den anstehenden Kongresswahlen in den Ruhestand.
Anders in Ohio. Zwar ist der Kohleanteil des östlichen Nachbarn mit 78 Prozent ebenfalls sehr hoch, doch bemüht sich der demokratische Gouverneur Ted Strickland zunehmend um den Ausbau von Erneuerbaren Energien. „Wir sehen das als eine Möglichkeit, unsere bisherigen Stärken zu nutzen. Der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft wird über die nächsten Jahre Zehntausende neuer Arbeitsplätze schaffen“, sagt Mark Shanahan, (Video Interview) Energieberater des Gouverneurs. Ähnlich wie Michigan, sieht auch Ohio seine Stärken im Bereich der industriellen Fertigungsprozesse. „Im Nordwesten haben wir eine große Glasindustrie, die bisher vor allem Autofirmen beliefert. Aber zunehmend sehen wir eine Verschiebung, um die Kompetenz dieser Firmen für Solar Technologie zu nutzen“, sagt Shanahan. Viele der benötigten Materialien und Fähigkeiten seien dieselben. Marktführer First Solar hat das erkannt und in Perrysburg bei Toldeo 700 neue Stellen geschaffen. Doch Ohio will noch weiter. „Es ist eine Sache, neue Technologien zu entwickeln, zu produzieren und zu verkaufen, aber irgendjemand muss auch sicherstellen, dass sie einwandfrei funktionieren.“, sagt Shanahan und betont das große Potential lokaler Märkte, welche zusätzliche Arbeitsplätze im Bereich Installation, Wartung und Dienstleistung schaffen könnten. Genau darauf setzt auch Ted Howard (Video Interview). Der Professor der University of Maryland ist Mitbegründer der Evergreen Cooperatives, ein seit 2009 in Cleveland bestehendes Unternehmen. „Das ist der Versuch, grüne Arbeitsplätze in einkommensschwachen Stadtteilen zu schaffen (...), die sowohl gute Gehälter und Gesundheitsversorgung aber auch Vermögensbildung ermöglichen.“, sagt Howard und betont dabei die Unternehmensbeteiligung der Arbeitnehmer/innen. Einer der drei neuen Geschäftszweige der Kooperative heißt Ohio Solar, bietet Energiebilanzierung und Solaranlagen an, und will bis Ende des Jahres 100 neue Stellen schaffen.
Um die Höhe der Gehälter neugeschaffener Stellen sorgen sich auch die amerikanischen Gewerkschaften. Mit einem Gewerkschaftsanteil von 12-19 Prozent gehören Indiana, Michigan und Ohio zu den Bundesstaaten mit der stärksten Arbeitnehmervertretung in den USA. Als Leo Gerard, (Video der Rede) der Vorsitzende der United Stealworkers 2006, die Gründung der Blue Green Alliance verkündete, wurde sein Büro mit Hassbriefen überschüttet. Stahlarbeiter befürchteten, der neue Zusammenschluss von Gewerkschaften und Umweltverbänden würde ihre Arbeitsplätze kosten. Doch jetzt denken die Arbeiter um. „Es gibt keine Wahl zwischen guten Arbeitsplätzen oder einer intakten Umwelt. (...) Entweder, wir erreichen beides gleichzeitig, oder aber uns bleibt keines von beiden.“ sagt Gerard. Am 4. Mai 2010 steht er stolz an der Seite von Carl Pope, (Video der Rede) dem Vorsitzenden des größten amerikanischen Umweltverbandes Sierra Clu, und verkündet die neueste Zahl von 8,2 Millionen gemeinsamen Mitgliedern. „Wir haben eine Bewegung geschaffen, nicht nur eine weitere Organisation. Und diese Bewegung wird der Motor für Wandel und hochwertige Arbeitsplätze der nächsten Generation sein“, meint Gerard in Washington, DC vor 3.000 Teilnehmern der dritten landesweiten Konferenz. „Wir haben viel zu feiern“, sagt David Foster, Vorstand der Blue Green Alliance. „Aber es gibt noch viel mehr zu tun (...). Wir müssen endlich ein Klima- und Energiegesetz durch den Senat bekommen.” Mit seinem Ruf nach mehr Führungsverantwortung ist Foster längst nicht mehr allein. Nach nur drei Jahren zeugen hochrangige Redner von der politischen Relevanz der Blue Green Alliance. Nancy Pelosi (Video der Rede), die Sprecherin des Abgeordnetenhauses, wirbt trotz des anstehenden Wahlkampfes für den Mut zu energiepolitischen Reformen. John Kerry (Video der Rede), der Vorsitzende des Ausschusses für Außen- und Sicherheitspolitik im Senat, fordert mehr Kompromissfähigkeit und das Beenden parteipolitischer Grabenkämpfe. Und Dr. Steven Chu (Video der Rede), der neue Energieminister, verlangt mehr Anstrengung, damit Amerika nicht den technologischen Anschluss an Europa und Asien verliert.
Handeln über Parteigrenzen hinweg wollen auch Andere. Zunehmend engagieren sich Kirchen- und Glaubensgemeinschaften für eine Energiewende. „Indem wir die Belastungen für unseren Planeten reduzieren, bewahren wir Gottes Schöpfung. Aber ebenso helfen wir dadurch den Gemeinden Geld zu sparen, Geld, das diese wiederum für die Gemeindearbeit nutzen können“, sagt John Davidson (Video Interview)von den Disciples of Christ, einer protestantischen Glaubensgemeinschaft mit Gemeinden in 46 US-Bundesstaaten. Davidson verwaltet die kircheneigenen Kredite und hilft Gemeinden landesweit bei der Planung von Sanierungsmaßnahmen und Neubauten. Jetzt hat Davidson ein Konzept zur Energie-Bilanzierung entwickelt, das den Gemeinden helfen soll, Energiekosten von jährlich 10.000-30.000 USD zu sparen. Viele Gemeinden entdecken Energiesparmaßnahmen aber auch als erfolgreiche Möglichkeit, ihre krisengebeutelten Mitglieder finanziell zu entlasten und gleichzeitig neue Arbeitsplätze zu schaffen. Organisationen wie GreenFaith und der National Council of Churches wollen ihren Mitgliedern zunehmend mit Krediten für Sanierungsmaßnahmen unter die Arme greifen. Das Potential ist groß. Allein im District of Columbia liegt die Arbeitslosenquote unter Handwerkern bei 42%. Gleichzeitig könnte ein Drittel aller US-Emissionen durch effizientere Energienutzung eingespart werden.
Energie-Sicherheit und die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz lassen auch viele Kriegsveteranen umdenken. „Wir alle sehen Energiesicherheit als einen wichtigen Schritt, um unsere Nation zu schützen. Nachhaltig zu wirtschaften, bedeutet Konflikte zu reduzieren und weniger Brüder und Schwestern im Sarg nach Hause kommen zu sehen.“, sagt Garett Reppenhagen (Video Interview). Der ehemalige Scharfschütze arbeitet jetzt für Veterans Green Jobs, einer Organisation, die Soldaten nach ihrer Rückkehr von Auslandseinsätzen erste Arbeitsmöglichkeiten und Weiterbildungen anbietet. Kurze aber intensive Arbeitseinsätze im Bereich der städtischen Forstwirtschaft und Gebäudesanierung soll den Veteranen den Einstieg in den zivilen Arbeitsmarkt erleichtern. Weiterbildungsangebote im Bereich von Energieeffizienz und Erneuerbare Energien sollen ihre Fähigkeiten fördern und neue Karrierewege aufzeigen. „Unsere Veteranen bringen großartige Fähigkeiten mit nach Hause: Arbeitsethik, Erfahrungen mit Kollegen unterschiedlichster Herkunft und einem dienstleistungsorientierten Wertesystem. Diese Fähigkeiten stehen in enger Verbindung mit grünen Arbeitsplätzen, mit der Idee, etwas für das eigene Land, für die Gemeinschaft zu tun.“ Darauf setzt auch Michael O’Gorman (Video Interview). Der Landwirt aus Kalifornien und Leiter der Farmer Veteran Coalition hat drei der erfolgreichsten amerikanischen Projekte ökologischen Gemüseanbaus betrieben, bevor er sich 2008 entschloss, Veteranen beim Einstieg in die Landwirtschaft zu helfen. Überdurchschnittlich viele amerikanische Soldaten kommen aus ländlichen Regionen. Ökologische Landwirtschaft soll den Rückkehrern nicht nur den Wiedereinstieg erleichtern, sondern auch eine langfristige Berufsperspektive bieten.
Und so bewegt sich Amerika auf die Kongresswahlen zu. Einflussreich bleiben die industriepolitischen Interessen der Kohle- und Ölstaaten. Festgefahren sind viele der regionalpolitischen Grabenkämpfe. Und doch wachsen neue, zunehmend starke gesellschaftliche Bündnisse von Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen- und Veteranenverbänden heran, die alle eines gemeinsam haben: Das Potenzial, Amerika grundlegend zu verändern, durch überparteiliche Zusammenarbeit in eine andere, hoffentlich grünere Zukunft zu führen.
Dieses Projekt wird von der Europäischen Kommission gefördert. Die inhaltliche Verantwortung liegt bei der Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Washington.
Till Kötter arbeitet im Washingtoner Büro der Heinrich-Böll-Stiftung und koordiniert ein 2-jähriges Transatlantik-Programm zur Stärkung regionaler Kooperation im Bereich der Klima-und Energiepolitik: The Climate Network-Transatlantic Solutions for a Low Carbon Economy. Im April 2010 bereisten Till Kötter und Midwest Renewable Energy Fellow, Christine Wörlen (Arepo Consult) für eine Woche 4 US-Bundesstaaten des Mittleren Westen zur Vorbereitung der Midwestern Green Jobs Tour. Gemeinsam mit der Blue Green Alliance soll diese Reise vom 12. - 16. Juli 2010 in Indiana, Minnesota, Michigan und Ohio Strategien zur Schaffung von Arbeitsplätzen im Bereich der Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz vorstellen und diskutieren. Basierend auf den Diskussionen mit regionalen Entscheidungsträgern, Gewerkschaftern und Kirchenvertretern, soll ein Strategiepapier entwickelt werden, welches vor den Kongresswahlen in Washington vorgestellt wird.
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