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Grüner Strich auf dunkler Wand

Teaserfoto: Steve Rhodes (Quelle: Flickr.com). Dieses Foto steht unter einer Creative Commons Lizenz.
Foto: Hamed Saber (Quelle: Flickr.com). Dieses Foto steht unter einer Creative Commons Lizenz.

8. Juni 2010
Von Taravat Taghvaie
Von Taravat Taghvaie

Seinen Abschied haben wir gefeiert, noch bevor wir zur Wahl gingen. Eine Mischung aus Angst und Hoffnung zugleich für eine bessere Zukunft brachte uns zum Wählen, nicht jedoch das Einverständnis mit dem Regime. NEIN. Das Nein zu IHM war unsere Gemeinsamkeit.

Die Wahlen waren manipuliert. Und die Regierung hält sich nicht einmal an ihre Pseudodemokratie. Unzufriedenheit wird zu Wut. Und wir bringen unsere Wut auf die Straße. Bezaubert hat die Welt auf uns gesehen. Iran ist auf einmal nicht mehr die vor Unterdrückung schweigende Nation. Iran, das ist plötzlich die Nation, die Sehnsucht nach Demokratie und Freiheit hat. Gegen diese Sehnsucht ist der islamische Staat mit Gewalt vorgegangen. Töten, um des Machterhalts willen. Schlagen, um einzuschüchtern. Dieses Mal waren unter den Protestierenden aber nicht nur Studenten, Journalisten, Frauen- und Menschenrechtsaktivisten. Nein, die Bewegung nährte sich von der Masse, die mit der wirtschaftlichen Lage unzufrieden war und sich verzweifelt eine Verbesserung ihrer Situation wünschte. Grün wird die Farbe der Bewegung. Ein Zeichen der Hoffnung.

Die Grüne Bewegung organisiert ihren Protest an den religiösen Festtagen entlang und benutzt die Neuen Medien als Kommunikationsmittel – Handy und SMS, das Internet mittels Blogs, YouTube und Twitter. All das lässt die Türen der Bewegung für jedermann offen und trägt zu ihrer Pluralität bei. Desweiteren sucht sie sich ihr eigene Ausdrucksmittel, stellt sich offen zur Schau: Graffitis, Slogans auf Geldscheinen, grüne Bändchen um die Handgelenke und Posterentwürfe zur Unterstützung politischer Gefangener.

Wesentliche Straßenproteste dauern bis Dezember an, solange, bis die Gewalt gegen Demonstrierende ihren Höhepunkt erreicht. Gegner des Regimes werden als Anarchisten im Fernsehen vorgestellt, und die „Wahrheit“ dreht sich zu Gunsten des Staats, der die Unterdrückung der Freiheitsliebenden rechtfertigt. Die Ashura-Demonstration war der letzte Massenprotest bis zum heutigen Tag. Die Unzufriedenheit bleibt bestehen.

Die schlechte innen- und außenpolitische Führung hat die Regierung und das Land Iran isoliert. Wirtschaftliche Sanktionen auf der einen, und die Inflation und Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite betreffen das Leben aller Iraner. Das ist das Ergebnis einer Regierung, die ursprünglich Armut bekämpfen wollte. Die Innenpolitik der aktuellen Regierung in Iran ist gescheitert und durchlebt ihre schwierigste Phase. Nicht alle konservativen Politiker sind mit der derzeit herrschenden Unterdrückung zufrieden. Nicht einmal alle Pasdaran (Soldaten der Revolutionsgarden) sind mit einer Regierungsführung auf Kosten aller einverstanden. Die Mehrheit des Parlaments will jedoch die Bestrafung der Führer der Grünen Bewegung, und die Justiz spricht von einer zeitnahen und der Situation entsprechenden Reaktion. Liberale und Reformer wurden zur Seite geschoben und haben nach Schließung ihrer wenigen Zeitungen keinen Spielraum mehr. Der Kampf wird innerhalb der Konservativen ausgetragen – Reformer und Regimekritiker wurden, wie das Volk, zu Zuschauern.

Jungen Iranern fällt es nicht einfach, sich eine Perspektive für die Zukunft ihres Heimatlands vorzustellen. Die Tendenz zur Emigration vergrößert sich: Erst mal weg und egal, wohin, Hauptsache raus aus dem Iran! Teilweise sind die Emigranten Studenten, die wegen ihrer politischen Aktivitäten in Iran an jeglicher Fortbildung gehindert werden oder aber Journalisten sowie Frauen- und Menschenrechtsaktivisten, die lebensbedrohlich verfolgt wurden. Ein Neuanfang im Ausland ist nicht einfach, oft bleibt aber kein anderer Weg.

Die Gefängnisse der islamischen Regierung sind voll von Frauen und Männern, die gegen die Unterdrückung aufstanden. Mit ihren Anwälten dürfen sie sich kaum in Kontakt setzen, können ihre Familien nur unter schwierigen Umständen treffen, und eine Freilassung geschieht nur nach Zahlung einer schweren Kaution.

Politische Kunst wird auf keinen Fall toleriert. Der Filter der Zensurbehörde ist engmaschig. Entstanden ist dadurch eine Subkultur, in der es zwar einen gewissen Freiraum, aber nur sehr begrenzte Möglichkeiten zur Veröffentlichung gibt. Und dennoch sind jene Künstler zahlreich, die bereit sind, unter diesen Umständen ihre Arbeit mit Liebe weiter zu verfolgen: Lieder und Songtexte, die für die Grüne Bewegung geschrieben wurden, sind ein Beispiel hierfür.

Je näher das einjährige Jubiläum der Wahl rückt, desto nervöser zeigt sich der Staat. Hinrichtungen kurdischer Menschenrechtsaktivisten waren die kürzlich stärkste Ausformung der Gewalt gegen ethnische Minderheiten. Neue Verordnungen und strengere Kleiderverordnungen zeigen, dass die Regierung sich in Sicherheit fühlt und keinesfalls und nirgendwo nachgeben will. Mussawi und Karrubi haben einen Antrag auf eine legale Demonstration am 12. Juni gestellt. Eine Demonstration, die sich auf die Wahlen des letzten Jahres stützt, wird die Regierung jedoch wohl nicht zulassen, und dennoch bereitet sie sich darauf vor, Demonstrierende zu bekämpfen.

Der alleinige Fokus des Westens auf die Atompolitik des Iran erschwert die Situation der Grünen Bewegung. Während sich die ganze Welt um die Anreicherung von Uran in Iran kümmert, kümmert sich die iranische Regierung um die Unterdrückung ihres Volks in schwerer Art und Weise. Ob es ausreicht, wenn Abgeordnete des Europäischen Parlaments Fotos der während der Sommerproteste ermordeten Neda hochhalten, wenn Irans Außenminister Mottaki die europäische Bühne betritt? Zur Durchsetzung und zum Einfordern der Menschenrechte und Demokratie hat Europa bessere Maßnahmen.

Für ein friedliches Iran als Regionalmacht haben wir eigentlich alles: ein kulturell äußerst  reiches Land, eine kultivierte Bevölkerung, Bodenschätze, eine junge Nation, die sich für Freiheit und Demokratie bereit fühlt, intelligente junge Frauen und Männer, die zum Teil emigriert sind, aber bereit stehen, sobald sich die Situation geändert hat, in ihre Heimat zurückzukehren.

Wir hatten gehofft, dass mit dem Amtswechsel die Zeit gekommen war, uns auf kommende erfolgreiche Jahre und eine positive Entwicklung zu freuen. Falls wir letztes Jahr wussten, was wir nicht wollten, wissen wir durch die jetzt einjährige Erfahrung, was wir wollen: Wir wollen einen Heimat, in der der Mensch als Mensch respektiert und der Gegner toleriert wird.
Eine Heimat, die kulturbewusst und gleichzeitig weltoffen ist. Eine Heimat, in der sich jeder sicher fühlt, auch ein Tourist im iranischen Grenzgebiet zu Irak, Pakistan oder Afghanistan. Als eine religiöse Nation wollen wir die Trennung von Staat und Religion, und all das ist für uns nicht mehr nur ein Traum.

Dossier

Machtkampf im Iran: Wo ist meine Stimme geblieben?

Drei Millionen Iraner_innen gingen vor einem Jahr auf die Straße und drückten ihren Unwillen aus. Grün - wurde die Farbe der Bewegung; Grün - als Symbol der Hoffnung auf einen politischen Wandel. Kann aus dem grünen Funken, der besonders unter den gebildeten jungen Iraner/innen weiter lebt, erneut ein Feuer der Freiheit werden?