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Karim Sadjadpour: Iran - Ein Jahr danach

Lesedauer: 6 Minuten

11. Juni 2010
In diesem Monat jährt sich zum ersten Mal die umstrittene Wiederwahl des iranischen Hardliner-Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad, die die größten Volksaufstände des Landes seit der islamischen Revolution im Jahr 1979 ausgelöst hat. Während es dem Regime nach und nach gelungen ist, die Dynamik der oppositionellen Grünen Bewegung gewalttätig zu zerschlagen, ist die tiefe innere Zerrissenheit des Landes – sowohl unter politischen Eliten als auch zwischen der Regierung und der Gesellschaft – weit davon entfernt im Einklang zu sein.

Zu den zahlreichen Opfern in der Folgezeit der Wahlen zählt die Auffassung von Iran als „Islamische Republik“. Den Worten des verstorbenen Großayatollahs Ali Montazeri zufolge, hat die Brutalität des Regimes gegenüber seinem eigenen Volk dazu geführt, dass das Land „weder islamisch, noch eine Republik“ ist.

Ein weiteres Opfer war die Legitimität des Obersten Führers Ayatollah Ali Khamenei. Zwei Jahrzehnte lang hatte Khamenei das trügerische Bild eines unparteiischen und großmütigen Führers kultiviert, doch seine trotzige öffentliche Unterstützung für Ahmadinedschad entlarvte ihn als engstirnigen, parteiischen Autokraten. Zu den nie dagewesenen Parolen während der Proteste auf den Straßen im letzten Sommer zählten lautstarke Sprechchöre der Demonstranten, die riefen: „Khamenei ist ein Mörder, seine Herrschaft ist unrechtmäßig!“

Unter der Führung von Khamenei übt zunehmend eine unheilige Dreieinigkeit aus neureichen Wächtern der Revolutionsgarde, Geistlichen, die einen harten Kurs verfolgen und indoktrinierten Basidsch-Milizionären Macht aus. Trotz seiner religiösen Ansprüche als geistiger Führer, liegt Khameneis Zukunft weitgehend in den Händen der Revolutionsgarde. Der Widerstand gegen seine Herrschaft unter führenden Geistlichen in Qom bereitet ihm zwar Sorgen, Widerstand innerhalb der Revolutionsgarde könnte jedoch fatale Folgen für ihn haben.

Trotz der Legitimitätskrise der Regierung und der Misswirtschaft im Lande, ist die Grüne Bewegung – angeführt von den Präsidentschaftskandidaten der Opposition Mir Hossein Mousavi und Mehdi Karroubi – vor große Hindernisse gestellt. Ihr Beraterstab sitzt entweder im Gefängnis, steht faktisch unter Hausarrest oder ist nicht in der Lage frei zu kommunizieren. Es mangelt ihr an Organisation und Strategie.

Als die Proteste im letzten Jahr ihren Anfang nahmen, dachte man zunächst der Basischarakter der Grünen Bewegung sei von Vorteil, da man sie nicht so einfach enthaupten kann. „Vor dreißig Jahren waren die Menschen Schafe und Khomeini war ihr Hirte“, erzählte mir ein bekannter iranischer demokratischer Aktivist. „Heute haben wir keinen Hirten, aber die Menschen sind keine Schafe mehr.“

Trotz ihrer zahlenmäßigen Stärke ist das übermäßige Vertrauen von Mousavi und Karroubi auf Straßenproteste verfehlt. Während ihre mutigen Anhänger für Toleranz eintreten und Gewaltlosigkeit praktizieren, werden sie von bewaffneten Regierungskräften überwältigt, die bereit sind zu töten und zu sterben, um die Macht zu bewahren.

Wenn die Grüne Bewegung die Regierung vor eine echte Herausforderung stellen will, muss sie die Unterstützung von Basarhändlern, Arbeitern in wichtigen Branchen, Transportgewerkschaften und Regierungsmitarbeitern hinter sich vereinen. Streiks, die von diesen Gruppen unterstützt werden, würden die Wirtschaft des Landes lahmlegen. In Anbetracht der Tatsache, dass die iranischen Arbeitskräftegruppen zwar extrem unzufrieden, aber genauso amorph sind wie die Grüne Bewegung selbst, ist das ein hoch gestecktes Ziel.

Hinzukommt, dass Mousavi und Karroubi, vielleicht teilweise durch die unerfüllten Versprechen und Exzesse der Islamischen Revolution gezügelt, anscheinend keine Eile haben abrupte Veränderungen herbeizuführen. Stattdessen haben sie einen gradualistischen Ansatz verfolgt, der darauf abzielt unzufriedene Mitglieder der traditionellen Klassen, einschließlich des Klerus und der Revolutionären Garden, für die Grüne Bewegung zu gewinnen und zu rekrutieren.

Die Dringlichkeit, die die nuklearen Ambitionen der iranischen Regierung für die Vereinigten Staaten, Europa und insbesondere Israel besitzt, macht die bedächtige Vorgehensweise der Grünen Bewegung kompliziert. Während die Rolle, die externe Mächte wie die USA bei der Beeinflussung politischer Reformen in Iran übernehmen können, eingeschränkt ist, sieht sich die Regierung Obama zwei grundlegenden Herausforderungen bei ihrer Iran-Politik gegenüber.

Zunächst stellt sich die Frage, wie man eine Verständigung mit einem Regime erreicht, das einen offenbar als Gegenspieler braucht. Während eine große Mehrheit der Iraner eine Wiederannäherung an die USA wünscht, ist die Feindschaft gegenüber den USA für die iranischen Hardliner zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität der Islamischen Republik geworden. „Wenn pro-amerikanische Tendenzen in Iran an die Macht gelangen, müssen wir uns von allem verabschieden“, räumte Ayatollah Ahmad Jannati ein, der Vorsitzende des mächtigen Wächterrates. „Schließlich zählt Antiamerikanismus zu den Grundzügen unseres islamischen Staates.“

Die zweite Herausforderung für die USA besteht darin, sich für Menschenrechte und Demokratie in Iran einzusetzen, ohne die Unabhängigkeit der Oppositionskräfte zu beeinträchtigen. In Anbetracht der Vielfältigkeit der Grünen Bewegung existiert kein klarer Konsens darüber, welche politischen Vorgehensweisen der USA besonders konstruktiv sind. Die Überzeugung, dass Amerika unbedingt von militärischen Aktionen Abstand nehmen sollte, die Verletzung der Menschenrechte in der Islamischen Republik verurteilen und moralische Solidarität mit dem iranischen Volk zum Ausdruck bringen sollte, wird offenbar allgemein geteilt. Wenn es um strittigere Fragen geht, wie etwa die potenzielle Wirksamkeit gezielter Sanktionen, herrscht allerdings wenig Übereinstimmung

Der erste iranische Premierminister nach der Revolution, Mehdi Bazargan, hat angeblich einmal gesagt, dass der wirkliche Revolutionsführer von 1979 nicht Ayatollah Khomeini gewesen ist, sondern der Schah, der unterschiedliche Gruppen gegen sich vereinigt hat. Heute existiert eine Dynamik, die eine gewisse Ähnlichkeit aufweist: Die beiden Personen, die wohl am meisten für die Widerstandsfähigkeit der Opposition verantwortlich sind, heißen nicht Mousavi und Karroubi, sondern Ahmadinedschad und Khamenei.

Brutalität und Einschüchterung durch die Regierung können den Fortschritt der Geschichte über Jahre aufhalten, aber nicht für immer. Wie auch immer sich die Grüne Bewegung kurzfristig entwickeln mag − Millionen mutiger iranischer Demonstranten haben der Welt im letzten Sommer klar gemacht, dass das sich über hundert Jahre erstreckende Streben ihres Landes nach Demokratie eine Idee ist, deren Zeit gekommen ist.

Zuerst erschienen bei Project Syndicate

Dieser Artikel ist urheberrechtlich geschützt:

Copyright: Project Syndicate, 2010.
www.project-syndicate.org
Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

Karim Sadjapour ist ein Associate des Carnegie Endowment for International Peace. Er war als vier Jahre lang Chefanalyst für den Iran bei der International Crisis Group und schreibt regelmässig für den Economist, Washington Post, New York Times und Andere.

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