Von Stefan Schaaf
Im Mai fand in New York die regelmäßige Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags (NPT) statt. Seit 1970 wird sie alle fünf Jahre abgehalten. Obwohl der NPT eines der wichtigsten Rüstungskontrollabkommen ist, fand dieses Ereignis in Deutschland keine große Aufmerksamkeit. Dabei einigten sich die 172 Staaten diesmal, anders als 2005, auf ein Abschlussdokument, das wichtige Weichenstellungen enthält.
Gut ein Jahr zuvor hatte US-Präsident Barack Obama in Prag seine Vision von einer Welt ohne Atomwaffen dargelegt und deutlich gemacht, wie weit wir davon noch entfernt sind. Ist es überhaupt ein realistisches Ziel angesichts der aktuellen Konflikte um die Atomprogramme des Iran und Nordkoreas? Darüber diskutierte am 29. Juni Ralf Fücks vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung mit zwei Teilnehmern der NPT-Konferenz und zwei weiteren Experten. Die Veranstaltung wurde gemeinsam mit dem Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin organisiert.
Daryl Kimball von der Arms Control Association in Washington hatte an der New Yorker Konferenz teilgenommen. Er bezeichnete es als durchaus überraschenden Erfolg, dass sich die 172 Teilnehmerstaaten auf die 64 Punkte umfassende Abschlusserklärung verständigten. Es komme nun drauf an, dass die darin enthaltenen Verpflichtungen umgesetzt werden, vor allem die zur Reduzierung und letztlich Abschaffung aller strategischen wie taktischen Nuklearwaffen. Außerdem sagten die Teilnehmer zu, den Atomteststopp-Vertrag von 1996 (CTBT) ohne weitere Verzögerungen zu ratifizieren (bislang steht die Ratifizierung durch Nordkorea, China, Indien, Pakistan, Israel und die USA noch aus; Nordkorea, Indien und Pakistan haben das Abkommen nicht einmal unterschrieben). Kontrovers blieb die Stationierung der etwa 200 taktischen Nuklearwaffen in Deutschland und vier weiteren europäischen Nato-Staaten.
Die Kontrollen der zivilen Atomprogramme durch die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA und aller Nuklearexporte sollen verstärkt werden, wie es das sogenannte Zusatzprotokoll zum NPT vorschreibt. Auch wenn der Iran nicht explizit erwähnt wurde, sei klar, dass dieser Passus auf dessen Atomprogramm zielt, sagte Kimball. Schließlich wurde festgelegt, dass ein Land sich bei einer Verletzung des NPT nicht den Konsequenzen entziehen kann, indem es aus dem NPT austritt. Genau das hatte Nordkorea 2003 versucht.
Ägypten konnte einen mit den USA abgestimmten Passus als wichtigen diplomatischen Erfolg verbuchen, in dem angestrebt wird, dass der Nahe und Mittlere Osten eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone werden soll. 2012 sollen alle Staaten der Region zu einer Konferenz eingeladen werden, die darüber beraten soll.
Kimball nannte vier Punkte, bei denen er auf Fortschritte in der nächsten Zeit hofft:
- Die USA und Russland müssen die Ratifizierung des neuen, im April unterzeichneten START-Vertrags abschließen. Dazu sind 67 Ja-Stimmen im US-Senat erforderlich. Kimball ist zuversichtlich, dass am Ende genug Republikaner dem Abkommen zustimmen werden.
- Es müssen Wege gefunden werden, die derzeit etwa 2.500 strategischen Atomwaffen auf jeder Seite weiter zu reduzieren. Dies seien wesentlich mehr, als zur Abschreckung erforderlich sind, sagte Kimball, und selbst die vom START-Vertrag bis 2017 anvisierte Reduzierung auf 1.550 strategische Sprengköpfe gehe nicht weit genug. Es sei auch für die USA und Nato nicht länger erforderlich, in Europa taktische Nuklearwaffen zu stationieren. Ihr Abzug könnte vielmehr helfen, Russland zu weiterer Abrüstung zu bewegen.
- Die USA sollten möglichst rasch den Atomteststopp-Vertrag ratifizieren. Dieses Abkommen ist bedeutend, weil es Staaten mit Atomwaffen daran hindert, neue Nuklearsprengköpfe zu entwickeln und es für andere Staaten – etwa den Iran – nahezu unmöglich machen würde, solche Waffen zur Einsatzreife zu bringen.
- Viertens werden weitere Abrüstungsbemühungen enorm erschwert, falls sich tatsächlich weitere Staaten Atomwaffen beschaffen. Deshalb sei es nötig, dass im Iran die im Zusatzprotokoll des NPT genannten zusätzlichen Inspektionen der IAEA stattfinden können.
Später nannte er den Umgang mit den Staaten, die Atomwaffen haben, aber dem NPT nicht beigetreten sind, zwar „schwierig“, aber mit politischem Willen und Beharrlichkeit könne man Fortschritte machen. So müsse man Indien und Pakistan dazu bringen, den Atomteststopp-Vertrag zu ratifizieren, wie es eine Uno-Resolution schon 1998 von ihnen verlangt hatte. Auch sollten sie die Produktion von Plutonium und hochangereichertem Uran einstellen.
Israels Nuklearprogramm sei lange von niemandem debattiert worden. Auch dieser Staat solle möglichst bald das Teststopp-Abkommen unterzeichnen. Kimball hoffte, dass die für 2012 anvisierte Konferenz über einen atomwaffenfreien Nahen Osten endlich eine Gelegenheit bieten werde, über regionale Sicherheitsfragen zu debattieren. Israels Missfallen, im NPT-Abschlussdokument namentlich erwähnt worden zu sein, sei „bedauerlich und unangebracht“, sagte Kimball. Israel sei der einzige Staat der Region, der nicht Mitglied des NPT sei.
Ken Jimbo arbeitet am Japan Institute of International Affairs in Tokio. Er ist Experte für internationale Sicherheit im asiatisch-pazifischen Raum. Man müsse bei der Herangehensweise differenzieren, sagte er, ob man es mit dem Arsenal einer Supermacht zu tun habe, den Waffen eines nuklear gerüsteten, aber nicht dem NPT angehörenden Staats wie Indien, Pakistan oder Israel oder dem Bestreben nichtstaatlicher Akteure, die versuchen, sich nukleares Material für Anschläge zu beschaffen. Japans Nachbar Nordkorea hat im Mai 2009 einen zweiten Atomtest durchgeführt, wobei unklar sei, ob das Land aktuell über ein entsprechendes Trägersystem verfüge. Beobachten müsse man auch die derzeitige Aufrüstung Chinas. Für Japan sei deshalb der nukleare Schutzschirm der USA weiter von Bedeutung, aber man müsse vor allem Nordkorea zur Aufgabe seiner Nuklearwaffen bringen. Gegenwärtig werde von Japan und seinen Verbündeten die „regionale Architektur der Abschreckung“ neu konzipiert, damit sie sich zukünftig weniger auf die US-Nuklearwaffen stützen muss. Kimball forderte Japan auf, keinen Uranhandel mit Indien zu betreiben, da es keine internationale Aufsicht über den militärischen Teil des indischen Nuklearprogramms gebe.
Auch Agnieszka Malczak, die abrüstungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag war zur NPT-Konferenz nach New York gereist. Sie begrüßte zum einen das neue Denken, das mit der Obama-Regierung in Washington Einzug gehalten hat und das sich darin zeige, dass die USA ihre Atomwaffenbestände offengelegt haben. Sie sieht aber auch neue Gefahren durch Proliferation, sowie durch Staaten wie Iran oder Nordkorea oder nichtstaatliche Akteure. In Deutschland werde vor allem über den Verbleib der letzten Atomwaffen – die sogenannte nukleare Teilhabe – debattiert. Diese Waffen hätten keine Funktion mehr, meinte sie, aber ihre Zukunft hänge von der neuen Nato-Strategie ab, die im Herbst vorgestellt werden soll. Diese, so deuten erste Papiere an, werde nicht so deutlich von Atomwaffen abrücken, wie es die USA getan haben. Auch innerhalb der EU, mit den beiden Atommächten Großbritannien und Frankreich, lässt ein Umdenken noch auf sich warten. Sie sprach von den zwei nur schwer zu erschütternden „Mythen der Atomwaffen“ – dass sie die Sicherheit erhöhten und die Macht ihrer Besitzer vergrößerten. Fragwürdig sei auch die Betonung der Fähigkeit zur Raketenabwehr, die das Verhältnis zu Russland kompliziere. Darin stimmte ihr Kimball später zu. Er stritt sogar ab, dass es eine effektive Raketenabwehr geben könne.
Der NPT vereine drei Ziele, sagte Malczak: Abrüstung, Nichtweitergabe und die Förderung der zivilen Atomenergie. Der dritte Punkt sei bis heute problematisch, denn der Übergang von der zivilen zur militärischen Nutzung der Atomkraft sei fließend – wie man am Beispiel des Iran sehe. Im Zuge des Klimawandels werde Nuklearenergie auch für viele Schwellenländer attraktiv – das berge „ein großes Problempotenzial“, schloss Malczak. Sie forderte auch von der Bundesrepublik, stärker auf Vermittlung in den politischen Konflikten zwischen Nuklearwaffenstaaten wie Indien und Pakistan zu setzen.
Der vierte Gast, General a. D. Klaus Naumann, war von 1996 bis 1999 Vorsitzender des Nato-Militärauschusses und damit der ranghöchste deutsche Nato-Offizier. Später gehörte er der im Juli 2008 gebildeten Internationalen Kommission für die Nichtweiterverbreitung und Abrüstung von Atomwaffen (ICNND) an. Anders als die 25-jährige Agnieszka Malczak habe er den gesamten Kalten Krieg miterlebt, in dem die nukleare Abschreckung „uns den Frieden bewahrt und Krieg verhindert hat, wenn auch gelegentlich mit viel Glück“. Er glaubt, dass bei konstantem Willen der Atomstaaten eine vollständige nukleare Abrüstung „in 20, 30, vielleicht 40 Jahren“ möglich ist – schneller werde es kaum möglich sein. Entscheidend sei es, bis dahin weiterhin sicherzustellen, dass diese Atomwaffen niemals eingesetzt werden. Dazu sei auf kürzere bis mittlere Frist eine wirksame Verteidigung gegen Raketen unumgänglich. Nuklearwaffen dürften auch nicht länger als Mittel gesehen werden, um konventionelle Unterlegenheit zu kompensieren, forderte er. Die ICNND hat Ende 2009 einen 230 Seiten starken Report Eliminating Nuclear Threats veröffentlicht, der drei Phasen bis zur vollständigen nuklearen Abrüstung vorsieht. Bis 2025 soll danach der weltweite Bestand an Atomwaffen auf 2000 reduziert werden – heute gibt es noch 23.000 Sprengköpfe. Erst in der dritten Phase sollen alle Atomwaffen verschwinden, wobei es darauf ankomme, dass niemals Instabilität entsteht und dass sich alle Beteiligten strikt an die Vereinbarungen halten – zur Not müsse man sie durch harte Sanktionsmöglichkeiten dazu zwingen. „Dieser ganze Weg kann in diesem Jahr zum Scheitern gebracht werden“, warnte Naumann, „wenn der Iran eine Nuklearwaffe erwerben sollte“. Dann würden viele Staaten in einen nuklearen Rüstungswettlauf einsteigen. Er nannte die Türkei als ein Beispiel. Sollte dies geschehen, werde das Risiko eines Nuklearkriegs doch wieder größer als heute.
In der folgenden Debatte widersprach Naumann der These Kimballs, dass die in Europa stationierten Atomwaffen für die Nato nutzlos seien und ein Hindernis für Abrüstung darstellen. Sie seien eher als Anreiz, als Tauschobjekt für weitere konventionelle Abrüstung Russlands von Nutzen. Er warb um Vertrauen: „Wir dürfen nichts tun, was Russland als Abwehrmaßnahme gegen seine vorhandenen Atomwaffen ansieht“. Russland sei von einer irrationalen Furcht geplagt, der Nato unterlegen zu sein und auch heute noch einen Angriff befürchten zu müssen. „Sie glauben uns nicht, dass wir keine Absicht haben, sie anzugreifen“, sagte der frühere hohe Nato-General.
Transparenz und Vertrauensbildung, sagte Ralf Fücks zum Abschluss, seien Bausteine für ein politisches Umfeld, in dem Abrüstung erst möglich wird.