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Benin - Die Dinge belasten den Menschen, aber Hauptsache, man bleibt obenauf

Florent Couao-Zotti ist heute einer der vielseitigsten Autoren Afrikas. Er schreibt u.a. für Zeitschriften, Tageszeitungen und das Fernsehn. Veröffentlicht Comics, Romane und Erzählungen. Foto: privat.

Von Florent Couao-Zotti
Wenn mein Cousin Robert es so weit bringt, eine solche Redensart von sich zu geben, dann kann man annehmen, dass diverse Unglücke ihm im großen Stil widerfahren sind.

Seit heute Morgen, derweil er gerade seine fünfzig Kerzen auspustete, sorgten Nachrichten, deren Existenz sein Gewissen eher unterdrückt hatte, dafür, dass seine Moral einen empfindlichen Kratzer bekam.

Robert, den man auch «Pokerface» nannte, sah düster und unnahbar aus. Heute früh hatte er sich gemäß dem alten Aberglauben gewaschen, wonach man am frühen Morgen seines Geburtstages sich nur von oben bis unten zu waschen brauchte, um allen Schmutz loszuwerden. In neuen Klamotten hatte er sich auf seine Terrasse gesetzt, um zu frühstücken. Natürlich hatte er es mit der Göre getrieben, die er aus einem Bordell in Missèbo mitgenommen hatte. Und natürlich hatte er sich großzügig aus der Gemeinschaftskasse bedient, die seine Kumpels und er füllten, indem sie Taxifahrer und andere Chauffeure, die keine Papiere hatten, ganz einfach erpressten.

In glücklicher Laune wartete er auf die Glückwünsche, die seine Freunde und Bekannten ihm sicher bald per Telefon übermitteln würden. Denn als guter Gendarm mit einer Neigung zu Tand und Luxus hatte er vier Mobiltelefone von verschiedenen Anbietern.

Schon klingelte das erste.

«Ja, Robert, ich bin’s»,  hörte er die Stimme einer Frau, kaum hatte er das Telefon am Ohr, «ich bin’s, Madé. Seit dreißig Jahren suche ich dich. Du erinnerst dich, ich war die Vorsitzende der Versicherung der Schüler und Studenten von Katagon… Wir haben dir die Kasse anvertraut – und du bist damit verschwunden. 500.000 waren drin. Gott hat es gewollt, dass ich dich heute wiederfinde. Wenn man die Zinsen berechnet, dann schuldest du uns ….»

Robert drückte sofort auf den Knopf und beendete das Gespräch. Seine Schläfen fingen zu klopfen an, er trank schnell noch einen weiteren Café. Und sofort klingelte das zweite Telefon.

«Hallo», hörte er am anderen Ende eine Männerstimme, «Robert, ich bin’s, Cyriaque!»

«Cyriaque? Ich kenn keinen Cyriaque.»

«Doch, doch», der Mann blieb dabei, «ich bin’s, dein Kollege von der Elfenbeinküste. Wir waren doch zusammen mit der ganzen Gruppe von Söldnern, die Charles Taylor in Liberia zusammengebracht hat. Erinnere dich doch an die zweihundert Zivilisten, die wir um die Ecke gebracht haben im Distrikt von Nimba. Der Leichenhaufen ist gefunden worden und Taylor, der ja jetzt vor Gericht steht, hat unsere Namen genannt. Wie sollen wir jetzt bloß verhindern, dass wir vor dem Internationalen Gerichtshof erscheinen müssen?»

Robert machte sofort das Telefon aus und warf es in den Wäschekorb. Natürlich hatte er verschiedene Leben gelebt, aber er glaubte, so manches Kapitel seines Lebens sei endgültig abgeschlossen. Derweil er sich noch aufrappelte, klingelte ein weiteres seiner Telefone. Diesmal kannte er die Nummer, es war die seines Chefs.

«Hallo, Kommandant?»

«Hallo, Sergeant, nehmen Sie Haltung an!»

Er schaltete das Telefon auf freihändig und nahm sofort Haltung an.
«Ja, die Sache ist die, Sergeant», fing der Offizier an, «es gibt da eine Gruppe von Frauen, die nennt sich "Vereinigung der Opfer von Pokerface". Sie sind mindestens fünfzig Jahre - und sie behaupten, sie seien bei nächtlichen Kontrollen auf den Straßen des ganzen Landes vergewaltigt worden. Und alle sind dann schwanger geworden und haben ein Kind gekriegt. Ich muss ihnen schon Glauben schenken, denn alle sind mit ihren Sprösslingen gekommen. Und wie sie dir ähneln in all ihrer Hässlichkeit! Ihnen allen geht es ganz gut, bis auf drei, die AIDS haben, und zwei weitere, die unterernährt sind.»
«Das muss ich berichtigen, Kommandant….»

«Sergeant, wenn du etwas zu der Sache sagen willst, dann musst du schon hier ins Quartier kommen, um zu beweisen, dass dein Dingsda-Spielzeug so böswillig nicht ist.»
«Jawohl, Kommandant, aber wird das alles nicht meine Anwesenheit beim militärischen Aufmarsch beim fünfzigjährigen Jubiläum der Unabhängigkeit beeinträchtigen?»
Der Kommandant brach ganz heftig in Gelächter aus.
«Warum sollte man dir verbieten, beim Aufmarsch mitzumachen? Mit deiner Art, dem Land zu dienen, wärst du ja geradezu ein Heiliger im Verhältnis zu uns anderen. Und jedenfalls, herzlicher Glückwunsch und Rührt Euch!»

Robert setzte sich sofort wieder hin. Er kam irgendwie von weit her. Bevor er sich aufmachen wollte, um auf all diese Anschuldigungen zu antworten, plusterte er sich auf wie ein Truthahn. Er seufzte.
«Die Dinge belasten den Menschen, aber Hauptsache, man bleibt obenauf!»

......

Florent Couao-Zotti (* 1964 in Pobé, Benin)  ist einer der vielseitigsten Autoren Afrikas heute. Er hat nach seinem Studium der Literatur in Benin als Lehrer für Französisch und Journalist gearbeitet, u.a. für zwei satirische Zeitschriften. Heute schreibt er als freier Autor (seit 2003) kulturelle Chroniquen für verschiedene Tageszeitungen, verfasst Szenarien für Comics und das Fernsehen, ist am Theater aktiv und schreibt Romane (auch Krimis und für jugendliche Leser) und Erzählungen, ein Genre, das er besonders schätzt. Er hat seit Mitte der 90er Jahre fast jedes Jahr in Frankreich oder bei afrikanischen Verlagen mehrere Texte veröffentlicht oder fürs Theater verfasst. Florent Couao-Zotti hat wiederholt Stipendien erhalten, um Projekte vollenden zu können, so in Kanada, Libanon und Frankreich. 2010 erhielt er auf der Buchmesse in Genf den vielbeachteten Preis Ahmadou Kourouma  für seinen Krimi Si la cour du mouton est sale, ce n'est pas au porc de le dire (Serpent à Plumes, Paris 2010, „Wenn der Hof des Schafs dreckig ist, so gehört es sich nicht für das Schwein, das anzusagen“).

Dossier

50 Jahre Unabhängigkeit in Afrika

Das Jahr 1960 war für viele Afrikaner/innen ein Jahr der Hoffnungen. 17 Länder erlangten die Unabhängigkeit von den kolonialen Mächten. Das Dossier soll „Blitzlichter“ auf die Länder werfen, die 1960 unabhängig wurden: mit ganz persönlichen Beiträgen. Daneben gibt es Hintergrundartikel von renommierten Autoren aus Deutschland und verschiedenen Ländern Afrikas sowie Auszüge aus den Reden, Schriften und Kurzporträts, die die Aufbruchstimmung von 1960 deutlich machen.