Hoffnung durch den demokratischen Souverän?

30. Juli 2010
Von Renée Legrand
 

Der 13. Abend der Reihe „Vordenken“, veranstaltet von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, war der Frage gewidmet, ob, auf welche Weise und wie effektiv die Demokratie die ökologische Krise steuern kann.

Ingolfur Blühdorn, Professor für Politikwissenschaft in Bath, GB, hielt in diesem Rahmen einen Vortrag mit dem Titel „Entpolitisierung und Expertenherrschaft. Zur Zukunftsfähigkeit der Demokratie in Zeiten des Klimawandels.“

Moderatorin des Abends war Anne Ulrich von der Grünen Akademie der Böll-Stiftung, die in das Thema einführte und dabei u. a. auf die Wichtigkeit und Aktualität von Themen wie demokratische Erneuerung, Politikverdrossenheit und mangelndes Demokratievertrauen hinwies und für eine Stärkung der Demokratie plädierte - angesichts der „autoritären Versuchung“ und der „Verlockung der Autorität“ zur schnellen Lösung von globalen Problemen, die sich, zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der autoritären Regime in Ost- und Mitteleuropa, wieder bemerkbar mache.

Blühdorn analysierte in einem ideenreichen, konzisen, hin und wieder mit scharfen Pointen versehenen Vortrag im Kontext seiner Thematik den Zustand moderner Demokratien in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft und zeichnete dabei ein sehr kritisches Bild.

Angesichts des heute herrschenden ökologischen Notstands, wie er im Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen im Dezember 2009, im Versagen der Politik angesichts der globalen Finanzkrise und der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko zum Ausdruck kommt, stellte Blühdorn die Frage, ob die Demokratie überhaupt in der Lage sei, einen Beitrag zur Überwindung der ökologischen Krise zu leisten und eine Wende zur Nachhaltigkeit herbeizuführen.

Bei einer Verschärfung der Klimakrise und einem ökologischen Notstand könnte, so der Referent, der Eindruck entstehen, dass zur Lösung des Problems demokratische Rechte und Verfahren zugunsten von schnellem und effektivem Handeln nach Vorgaben von Experten ausgesetzt werden müssten, wobei Expertengläubigkeit an die Stelle von Demokratievertrauen träte.

Ein Blick in die Geschichte der ökologischen Bewegung zeige, so Blühdorn weiter, dass schon früh auch in den Reihen der Grünen die Leistungsfähigkeit der Politik in Zweifel gezogen und ökologisch-autoritäre Ansätze befürwortet worden seien, um adäquat mit „elementaren Überlebens- und Menschheitsthemen“ umzugehen. Die ökologische Bewegung der 70-er Jahre hingegen habe sich eine radikale Demokratisierung der politischen und gesellschaftlichen Institutionen auf die Fahnen geschrieben, was zu mehr Beteiligung der Bürger an gesellschaftlichen Prozessen geführt habe. Seit der zweiten Hälfte der 80-er Jahre habe sich eine ökologische Modernisierung vollzogen, die Umweltprobleme zunehmend unter technologischem und naturwissenschaftlichem Aspekt gesehen und in Probleme des Managements umgewandelt habe.

Diese Modernisierung habe sich jedoch nicht als effektiv erwiesen und zu keinem strukturellen Wandel der ressourceintensiven, wachstums- und konsumorientierten modernen Industriegesellschaft geführt.

Heute beherrsche die ökologische Modernisierung die nationale und internationale Umweltpolitik, bei der demokratische Mittel wenig Einfluss hätten.

In der Folge sei der Ruf nach mehr Einfluss der Politik in Umweltfragen laut geworden, allerdings nicht im Sinn von mehr Demokratie, sondern starker Institutionen, die auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnis einen klaren politischen Ordnungsrahmen vorgeben und angesichts drohender Umweltgefahren Sicherheit garantieren sollten. Hierbei rekurriere man auf die Vorgaben von Fachleuten und auf Effektivität, jenseits des politischen Wettbewerbs, ungestört durch zeitaufwendige demokratische Diskurse und Verfahren.

Demgegenüber stehe der Anspruch, dass Demokratie ein zentrales Element einer Klimastrategie sein müsse, die auf Freiheit und Gerechtigkeit basiert. Gefordert werde eine Klimapolitik von unten, welche die Bürger zu ihrem Anliegen machten und an der sie selbst mitwirkten.

Der Referent stellte die Frage, ob partizipativ-demokratische Ansätze eher in der Lage sind, einen Systemwechsel herbeizuführen als eine Herrschaft von Experten, und welche Kapazitäten Demokratien in den fortgeschrittenen modernen Industriegesellschaften haben.

Blühdorn analysierte im Folgenden die Bedingungen, unter denen die Demokratie die Kraft aufbringen könne, einen „effektiven politischen Ordnungsrahmen für die Begrenzung des Klimawandels und den strukturellen Umbau moderner Konsumgesellschaften“ zu schaffen. Expertokratisch-autoritäre Methoden schloss er aus, da er, wie er betonte, ebenso wie die Grünen Anhänger des partizipatorisch-demokratischen Weges sei. Allerdings ließ er keinen Zweifel daran, dass Ökologie und Demokratie nicht genuin zusammen gehören.

Die umweltpolitische Kapazität der Demokratie in der modernen Konsumgesellschaft werde durch verschiedene Faktoren in Frage gestellt: etwa dadurch, dass in der Demokratie der Mensch im Mittelpunkt stehe, weniger die Natur, dass sie gegenwartsbezogen und weniger auf Vergangenheit und Zukunft gerichtet sei, dass bei demokratischen Verfahren Kompromisse gefunden werden müssten, dass langsame und aufwendige demokratische Verfahren teuer und in akuten Krisen nicht schnell genug seien. Außerdem seien Mehrheiten im Sinn ökologischer Vernunft selten, da heute eine Ausweitung persönlicher Rechte, materielle Verbesserungen und Ansprüche eine wichtige Rolle spielten und mit der Einschränkung von Rechten nur schwer zu vereinbaren seien.

Damit die Demokratie für ökologische Ziele taugen könne, müsse aber der Souverän, die freien und emanzipierten Bürger, selbst für ein System der Nachhaltigkeit eintreten und die ökologische Vernunft vertreten.

Durch den mit der Modernisierung der letzten Jahre einhergehenden Kultur- und Wertewandel habe die Vorstellung von Freiheit und Emanzipation allerdings eine Bedeutungsverschiebung erfahren, die in Richtung Nicht-Nachhaltigkeit gehe.

Die stabile und unitäre Identität des früheren demokratischen Subjekts, dem Konsequenz, Moralität und Selbstdisziplin zu eigen gewesen und von dem die neuen sozialen Bewegungen getragen worden seien, sei durch eine moderne, „flüchtige Identität“ des Individuums ersetzt worden, und die von dieser neuen Identität bestimmten Personen seien flexibel, vielseitig, innovationsbereit, dem Arbeitsmarkt angepasst, beruflich erfolgreich und ihr Ziel bestehe in Selbstverwirklichung und Befriedigung immer steigender Ansprüche. Verpflichtung für das Gemeinwohl, politisches Engagement liege ihnen fern.

Wenn sich diese Art von Identität weiter durchsetze, werde dies Einfluss auf demokratische Prozesse haben und demokratisch legitimierte Strategien zum Klimaschutz und zur Nachhaltigkeitswende unmöglich machen.

Die erste Stufe demokratischer Emanzipation in den 60-er und 70-er Jahren habe zur Befreiung der Vorherrschaft von Eliten geführt, Bürger hätten zunehmend Verantwortung für das Gemeinwohl übernommen. In einer zweiten Phase sei dann aber die erkämpfte Selbstverantwortung partiell an Dienstleister delegiert worden. Der hierdurch entlastete Bürger widme sich nun zunehmend der Bewältigung seines immer komplexer werdenden Lebens.

Die Verminderung demokratischer Partizipation aber fördere Entpolitisierung und Expertenherrschaft.

Blühdorn sprach in diesem Zusammenhang von einer „postdemokratischen Wende“, in deren Zentrum die flüchtige Identität stehe. Sie habe dazu geführt, dass die politische Kapazität der Demokratie geringer geworden und diese heute kaum in der Lage sei, die Klima-, Umwelt- und Nachhaltigkeitskrise zu bewältigen, da sie keinen politischen Ordnungsrahmen durchsetzen könne, der der technologischen Innovation eine ökologische und soziale Richtung gebe.

So habe man kaum Anlass, der Demokratie eine Bewältigung der Klimakrise zuzutrauen. Dies sei allerdings ebenso wenig von der Expertenherrschaft zu erwarten.

Blühdorn skizzierte eine mögliche Lösung in der Stärkung der Kraft der Demokratie, weniger durch Weiterentwicklung demokratischer Formen wie direkte Demokratie, mehr Transparenz und Bürgerinformation als durch Veränderung des demokratischen Subjekts, des Bürgers selbst. Er forderte eine neue Debatte über Freiheit, Individualität, Identität, Selbstbestimmung, eine „Werte- und Kulturrevolution“, unabdingbare Voraussetzung für die Schaffung eines demokratisch legitimierten ökologisch und „sozial effektiven Ordnungsrahmens für die Wirtschaft und starke politische Leitplanken für den Markt“. Vor diesem Hintergrund wären auch technologische Errungenschaften in der richtigen Weise einsetzbar.

Konkret bedeute dies, heutige Lebensweisen, die sich durch steigende materielle Ansprüche und hohen Verbrauch von Ressourcen auszeichnen, zu verändern, und statt Verschwendung Begrenzung zu praktizieren.

Die Chancen, dass der modernen Demokratie eine solche Reform gelingen kann, schätzte Blühdorn als gering ein. Sie setze Verzicht, Disziplin und Askese voraus, einen kategorischer Imperativ auf dem Gebiet der Ökologie, und dies sei im Zeitalter von Flexibilität, Unverbindlichkeit und sich zunehmend an eigenen Ansprüchen orientierenden Individuen nur schwer zu vermitteln.

Immerhin regte er an, einen neuen Begriff von Emanzipation zu entwickeln, der nicht auf größtmögliche Entfaltung des Individuums zur Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse abzielen, sondern von „Mobilitätssucht, Innovationszwang, Konsumabhängigkeit und Wachstumsimperativ befreit“ sein müsse.

Explizit äußerte er sich dazu, was seine Erwägungen für die Heinrich-Böll-Stiftung und die Partei der Grünen bedeuten. Er übte Kritik an ihrer mangelnden Entschlossenheit, die Debatte um Entschleunigung, Deautomation, Exnovation zu aktivieren. Sie hätten sich, statt ihre Rolle als Avantgarde - sie seien nach wie vor national und international die einzige Partei der man diese Rolle zusprechen könne - wahrzunehmen, zu sehr in der Logik der Werte und Erwartungen der Nichtnachhaltigkeit festgefahren. Einen wichtigen Grund dafür sah er bei der grünen Wählerklientel, die zwar Einsicht in die Notwendigkeit radikaler Veränderungen habe, zugleich aber nicht bereit sei, ihre persönlichen Freiheiten und Lebensstile in Frage zu stellen. Angesichts dieser Tatsache scheine es geboten, dass die Grünen, anstatt einfach zu vermittelnde Debatten über technologische Innovation, Effizienzgewinn und grüne Jobs zu führen, auch über ungeliebte Dinge wie Beschränkung, Begrenzung und Genügsamkeit reden und neue Normen von Freiheit, Individualität und Selbstverwirklichung entwickeln müssten. Mit zu einseitiger Betonung einer Effizienzrevolution spiele grüne Politik nur der Expertenherrschaft in die Hände.

Bisher habe die ökologische Modernisierung das Ziel der Nachhaltigkeit nicht erreicht. Die Krise habe sich verschärft, und es bestehe die Gefahr eines ökologischen Notstands, bei dem man nach schnellen Lösungen suchen müsste, die einer demokratischen Politik den Boden entzögen.

Verhinderung von Entpolitisierung und Expertenherrschaft bedeute Arbeit am normativen Fundament, am “kulturellen Kapital“, das für eine demokratische Bewältigung der Nachhaltigkeitskrise unabdingbar sei.

In der anschließenden Diskussion wurden weiterführende und die Thematik vertiefende Fragen und Hinweise geäußert, die dem Referenten Gelegenheit gaben, seine Ansichten zu präzisieren und zu erläutern. Etwa, dass eine Wertediskussion allein nicht genüge, sondern parallel dazu Probleme der Industriepolitik weiter erörtert werden und demokratische Staaten im Sinn einer good governance durch Herrschaftskontrolle, mehr Transparenz, mehr Bildung etc. stabilisiert werden müssten. Ein Diskutant betonte, dass eine unökologische Entwicklung nicht Schicksal sei, sondern von Interessengruppen und politischen Akteuren gesteuert werde, die es auszumachen gelte. Die Frage, wie aus normativen Forderungen Politik werden kann, beantwortete der Referent u.a. mit dem Hinweis, dass diese Gegenstand von Parteiprogrammen werden sollten und Beispiele wie die Berechnung von Co²-Verbrauch Vorgaben seien, aus denen sich Normen für eine adäquate Lebensgestaltung entwickeln könnten. Solchen Forderungen auszuweichen bedeute, der Entpolitisierung Vorschub zu leisten. Blühdorns während des Vortrags deutlich formulierter skeptischer Haltung gegenüber den Möglichkeiten der Demokratie hielten ehemalige Bürgerrechtler der DDR entgegen, in wie hohem Maße 1989 gerade die Überzeugung Einzelner ein System habe sprengen können.