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Zentralafrikanische Republik: Fürs Erste unabhängig

Jean-Pierre Mara ist ein zentralafrikanischer Autor und Ingenieur. Foto: Adrien Poussou/independant-cf-com.

Von Jean-Pierre Mara

Als einer, der so alt ist wie sein Land - ich wurde 1960 geboren, im selben Jahr, in dem die Zentralafrikanische Republik unabhängig wurde - gehöre ich zu denen, die denken, dass den Staaten Afrikas die Unabhängigkeit zu früh gewährt wurde.

Oder anders herum ausgedrückt: Die afrikanischen Staaten, die 1960 unabhängig wurden, waren nicht entsprechend vorbereitet. Dies nicht zuletzt deshalb, weil der Kolonialherr die Unabhängigkeit nicht hinreichend vorbereitet hatte. In der Zeit von Anfang bis Mitte August 1960 wurde einer ganzen Reihe von Staaten die Unabhängigkeit gewährt und international proklamiert. In der Zeitspanne von nur einigen Tagen, die gerade genug Zeit für eine kurze Rundreise von Land zu Land ließ, sagte man der Bevölkerung „Ihr seid jetzt unabhängig“, und dann ging es einfach weiter wie zuvor.

Es handelte sich also - so sahen wir das damals -  um Unabhängigkeit auf dem Papier, denn in der Wirklichkeit gab es gar keine Unabhängigkeit. Natürlich: die Männer, die für die Unabhängigkeit gekämpft hatten, waren viel unterwegs und wir wussten schon, dass sie die Väter der Unabhängigkeit waren. Als Kinder sangen wir Lieder auf sie, ohne dass wir so recht wussten, was das alles bedeutete.

Später, in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, hörte ich die Leute oft sagen: „Wann hört denn nun endlich die Unabhängigkeit auf?“. Die Unabhängigkeit hatte den Menschen nicht das gebracht, was sie hätte bringen sollen. Das gilt ganz besonders für die Bauern. Da die Bauern keine Veränderung im Lande sahen, meinten sie damals, es handele sich um eine Periode des Übergangs. Irgendwann würde dann Frankreich wieder zurückkommen.

Seit dieser Zeit hat niemand mehr so gesprochen. Aber da ich intellektuelle Ambitionen hatte, fing ich an, mich dafür zu interessieren, wie es denn nun wirklich den Bauern und auch den anderen ging.

Natürlich lebe auch ich lieber in einem unabhängigen Staat als unter kolonialer Herrschaft. Aber auf der anderen Seite glaube ich auch, dass die Unabhängigkeit uns nicht nur Gutes gebracht hat.

Vor allem die Entfremdung. Alle diejenigen, die uns regieren – mit der Kraft der Unabhängigkeit und mit ihren Formalien – haben uns eine bestimmte Haltung eingepflanzt: Natürlich sind wir unabhängig – doch letztlich müssen wir alles auf die gleiche Weise tun wie damals der Kolonialherr.

Meine Generation sieht die Unabhängigkeit aus zwei unterschiedlichen Perspektiven: Wir sind unabhängig, weil die Politiker unseres Landes Entscheidungen selbständig treffen. Zugleich erkennen wir, dass wir so schrecklich unabhängig nun auch wieder nicht sind. Es gibt weiterhin alte und neue Abhängigkeiten. Und mit dieser Ambivalenz müssen wir wohl leben.

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Jean-Pierre Mara (* 1960 in Mara / Zentralafrikanische Republik) ist ein zentralafrikanischer Autor und Ingenieur. Eine kritische Abrechnung mit der Entwicklung seines Heimatlandes findet sich in dem 2008 bei L’Harmattan erschienenen Buch Oser les changements en Afrique: Le cas du Centrafrique (Den Wandel in Afrika wagen: Der Fall Zentralafrika). Auch in der Anthologie Indépendances CHA-CHA (Magellan & Cie 2010), in der eine Reihe afrikanischer Autorinnen und Autoren ihre Sicht auf die Unabhängigkeit Afrikas formulieren, ist Mara mit einem Beitrag vertreten. Jean-Pierre Mara studierte Elektrotechnik und arbeitet aktuell für den französischen Konzern Alcatel-Lucent.

Dossier

50 Jahre Unabhängigkeit in Afrika

Das Jahr 1960 war für viele Afrikaner/innen ein Jahr der Hoffnungen. 17 Länder erlangten die Unabhängigkeit von den kolonialen Mächten. Das Dossier soll „Blitzlichter“ auf die Länder werfen, die 1960 unabhängig wurden: mit ganz persönlichen Beiträgen. Daneben gibt es Hintergrundartikel von renommierten Autoren aus Deutschland und verschiedenen Ländern Afrikas sowie Auszüge aus den Reden, Schriften und Kurzporträts, die die Aufbruchstimmung von 1960 deutlich machen.