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Ansprache zur Verleihung des Petra Kelly Preises 2010 an Marianne Fritzen

Lesedauer: 6 Minuten
Marianne Fritzen. Foto: Andreas Conradt / PubliXviewinG 

29. September 2010
Von Ralf Fücks
Heute Morgen haben wir eine neue Biographie vorgestellt, die unter dem Titel „Die Aktivistin. Das Leben der Petra Kelly“ soeben bei der Deutschen Verlagsanstalt erschienen ist. Die Autorin Saskia Richter, eine junge Politikwissenschaftlerin, hat dabei gestanden, dass sie 2003 zum ersten Mal auf den Namen Petra Kelly gestoßen ist. Immerhin war diese Begegnung offenbar so nachhaltig, dass sie anschließend fünf Jahre in die Recherche zu dem Buch gesteckt hat.

Wer mehr über die Höhen und Tiefen im Leben der Petra Karin Kelly erfahren möchte, dem sei dieses Buch sehr empfohlen. Es stellt Petra nicht auf einen Sockel, sondern vermittelt eine Idee davon, wieso sie zur Vorkämpferin der grünen Bewegung wurde, und zwar weit über die Bundesrepublik hinaus. Aber sie geht auch der Frage nicht aus dem Weg, wieso Petra noch zu ihren Lebzeiten allmählich an den Rand des öffentlichen Interesses rutschte und auch innerhalb der Grünen ihren Nimbus verlor.   

Mit dem nach ihr benannten Preis – wie mit dem Petra Kelly Archiv – wollen wir die Erinnerung an eine überragende Persönlichkeit aus der Gründerzeit der Grünen wach halten – nicht um sie zu verklären, sondern als Vergewisserung, woher wir kommen.

Dass die Grünen von heute nicht mehr die Partei von 1980 sind, dafür muss sich niemand rechtfertigen. Aber auch die vielen Neuen, die jetzt zu den Grünen strömen, sollten wissen, auf welchen Schultern sie stehen. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um insbesondere Lukas Beckmann zu danken, der viel dafür getan hat, um das Erbe Petra Kellys lebendig zu halten.

Wir verleihen den Petra-Kelly-Preis heute zum 7. Mal, und diesmal erklärt sich die Wahl der Preisträgerin beinah von selbst. Marianne Fritzen steht so offenkundig in Verbindung mit dem politischen Leben Petra Kellys, dass man darum nicht viel Worte machen muss.

Unter den großen Anliegen, die Petra umgetrieben haben, waren die Gefahren der Atomenergie und die Sorge vor einem Atomkrieg wohl der stärkste Impuls. Friedensbewegung und Anti-Atombewegung waren Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre zwei Seiten einer Medaille. Gemeinsam entwickelten sie die politische Schwungkraft, von der auch die Grünen binnen kurzem in den Bundestag katapultiert wurden.

Dieser Zusammenhang ist in der Folgezeit etwas aus dem Blick geraten, als nach dem Ende des Ost-West-Konflikts auch das Risiko eines Atomkriegs zu verblassen schien. Aber inzwischen ist es höchste Zeit, wieder daran zu erinnern, dass es keine stabile Trennwand zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomkraft gibt. Das zeigt sich nicht nur im Fall des Iran, der unter dem Deckmantel eines zivilen Atomprogramms zumindest die Option des Baus von Atombomben anstrebt. Auch das neu erwachte Interesse einer ganzen Reihe von Staaten an der Atomenergie hat einen militärisch-politischen Hintergrund, das kann man auch ohne Vergrößerungsglas erkennen.

Man muss kein Untergangsprophet sein, um vorauszusagen, dass die Dämme gegen die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen brechen werden, wenn sich diejenigen durchsetzen, die Atomenergie als unverzichtbaren Beitrag zur Lösung der Weltenergieprobleme propagieren.

Wer rund um den Globus Hunderte neuer Atomkraftwerke bauen will, landet unweigerlich beim Wiederaufbereitungsanlagen und Schnellen Brütern, um die Brennstoffzufuhr zu sichern. Denn auch Uran ist nicht unbegrenzt verfügbar, ganz zu schweigen von der Strahlenbelastung bei seinem Abbau.

Der Ausbau der Atomenergie mündet in die Plutoniumproduktion im großen Stil, in eine hochgefährliche, schwer beherrschbare Technologie und die massenhafte Erzeugung von Material für Atomwaffen. Das erinnert an den Zauberlehrling, der den Geist aus der Flasche lockt, dessen er dann nicht mehr Herr wird.

Wir beleuchten diesen Zusammenhang ausführlicher in einer neuen Studie zu den Kosten und Risiken der Atomenergie, die wir morgen der Öffentlichkeit vorstellen. Dabei geht es auch um den Mythos von der Atomenergie als Brücke in eine CO-2-neutrale Energieversorgung. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: die Atomenergie ebnet nicht den erneuerbaren Energien den Weg, sondern verfestigt die Marktmacht der Energiekonzerne und die zentralistische Erzeugungsstruktur.

Wenn wir heute den Petra-Kelly-Preis an Marianne Fritzen verleihen, dann ist das nicht nur eine Erinnerung an die Entstehungszeiten der grünen Bewegung. Damals waren Bewegung und Partei noch kaum voneinander unterschieden. Man traf sich heute am Bauzaun und morgen im Gemeinderat.

Es war folgerichtig, dass Marianne Fritzen auch zu den Gründerinnen der Grünen Liste Umweltschutz in Niedersachsen gehörte, die dann in den Grünen aufging. So harmonisch blieb das Verhältnis von Bewegung und Partei nicht immer. Als die Grünen während der ersten Jahre der rot-grünen Koalition mit der Energiewirtschaft den „Atomkonsens“ verhandelten, der einen schrittweisen Ausstieg bis zum Jahr 2020 vorsah, verließ Marianne Fritzen die Partei – die Frist war ihr zu lang.

Ich habe letztes Wochenende bei der großen Demonstration in Berlin alte Kämpen der Anti-Atom-Bewegung getroffen, die mir ein wenig ironisch sagten: „Wer hätte gedacht, dass wir jemals gegen die Aufkündigung des Atomkonsens demonstrieren würden“. So schlecht war er also vielleicht doch nicht. Jedenfalls gibt es heute einen erneuten Schulterschluss von Anti-Atom-Bewegung und Grünen, und das ist gut so.

Auch wenn wir zeitweise getrennte Wege gingen, so haben wir doch über die Jahre hinweg gemeinsame Ziele verfolgt – nicht nur in der Kritik der Atomenergie, sondern auch im Einsatz für eine alternative Energieversorgung, für den sparsamen, effektiven Umgang mit Energie, für Sonne, Wind und Biokraft und für eine dezentrale Erzeugungssstruktur.  

Ich vermute, das waren auch die Motive, die Jürgen Trittin dazu bewogen haben, Marianne Fritzen für den Petra-Kelly-Preis vorzuschlagen.

Es geht uns dabei nicht nur um die rückblickende Würdigung einer Biographie, auf die das Wort vom „aufrechten Gang“ ohne falsches Pathos zutrifft. Pathos war sowieso nie die Sache von Marianne Fritzen. Wofür sie steht, ist Zivilcourage im besten Sinn - also genau die Bürgertugend, die wir als politische Stiftung befördern wollen. Auf sie passt Heinrich Bölls Plädoyer für die „Einmischung von unten“ als Lebenselixier der Demokratie.

Wer je an der einen oder anderen Aktion im Wendland teilgenommen hat, bekommt eine Vorstellung von der Breite dieses Bündnisses, in dem die linke Szene aus Berlin oder Hamburg mit konservativen Bauern zusammengefunden hat, Schüler mit Rentnern, Alt-68er, Lebensreformer, Hausfrauen und ganz normale Angestellte.

Um diesen bunten Haufen zusammenzuhalten, brauchte es Personen mit großer Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Integrationskraft – Menschen wie Marianne Fritzen.

Natürlich ist diese Auszeichnung – wie jeder Petra-Kelly-Preis - auch ein politisches Statement. Die Auseinandersetzung um die Atomenergie ist zurück  auf der Tagesordnung, in der Bundesrepublik und international. Und damit ist auch die Atombewegung zurück – widerständig, bunt, phantasievoll und gewaltfrei. Petra Kelly würde das gefallen.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

Petra-Kelly-Preis

Der Petra-Kelly-Preis ist von der Heinrich-Böll-Stiftung begründet worden, um Menschen und zivilgesellschaftliche Vereinigungen auszuzeichnen, die sich auf besondere Weise für die Achtung der Menschenrechte, für das gewaltfreie Lösen von Konflikten und den Schutz unserer Umwelt einsetzen. Der Preis ist mit 10.000 EUR dotiert.