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"Das neue Energiekonzept hat deutlich an Substanz verloren"

Lesedauer: 5 Minuten
Jan Burck ist Referent für Klimaschutz-Index, Szenarien und Emissionshandel bei Germanwatch
Foto: privat.

1. Oktober 2010
Am  Dienstag, den 28. September stellte die Bundesregierung ihr Energiekonzept vor, schon drei Tage später berät der Bundestag schon über die umstrittene Verlängerung der Atom-Laufzeiten. Wir fragen Energieexperte Jan Burck von Germanwatch, was er vom Energiekonzept des Bundesregierung hält.


Heinrich-Böll-Stiftung: Welche Folgen haben die vorgesehen Laufzeitverlängerungen von 12 Jahren auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland?

Jan Burck: Die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke wirkt als massive Investitionsbremse für Erneuerbare Energien. Die Einnahmen durch abgeschriebene Atomkraftwerke als "Gelddruckmaschine" verstärken die Marktmacht der großen Energieversorgungsunternehmen weiter. Auf der anderen Seite hat die Bundesregierung in dem Entwurf des Energiekonzepts weitreichende Ziele für den Ausbau Erneuerbarer Energien, für Energieeffizienz und den notwendigen Ausbau der Netze angekündigt. Den Widerspruch versucht sie zu überbrücken, indem die Kernkraftwerksbetreiber in einem gewissen Ausmaß an der Finanzierung des Neuaufbruchs in Richtung Energieeffizienz und Erneuerbare Energien beteiligt werden sollen. Ich zweifele stark daran, ob das gelingen kann weil massive Investitionen in die Energieeffizienz (im Strombereich) und den Ausbau der Erneuerbaren Energien die Ertragslage der EVUs verschlechtern wird, solange der Einspeisevorrang für die Erneuerbaren Energien existiert.

Der Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit liegt zur Zeit auf den Atomkraftwerken. Zur Erreichung der Klimaschutzziele ist der Neubau von 17 Kohlekraftwerken ebenso gefährlich. Was sagt das Energiekonzept zu Kohle bzw. CCS (Carbon Dioxide Capture and Storage)?

Trotz der Laufzeitverlängerung verzichtet die Bundesregierung in Ihrem Energiekonzept darauf ein klares Aus für alte Kohlekraftwerke mit sehr schlechtem Wirkungsgrad und einen Stopp von neuen Kohlekraftwerken anzukündigen. Auch geht Sie nicht auf den von vielen Experten erwarteten Systemkonflikt zwischen Kohlekraftwerken (mit oder ohne CCS) und einem zu 80 Prozent erneuerbaren Strommix ein.
Der Entwurf zum Energiekonzept enthielt noch einige wichtige Entscheidungen für das CCS-Konzept. Ursprünglich war vorgesehen, dass eine Förderung von CCS-fähigen Anlagen nur gewährt werden soll, wenn im gleichen Umfang ineffiziente emissionsintensive Altanlagen stillgelegt werden sollten. Im fertigen Energiekonzept ist dies leider nicht mehr wiederzufinden. Man hält durch die Subvention von etwas effizienteren Kohlekraftwerken am „Klimakiller“ Kohle fest und macht es so sehr schwer die Klimaziele zu erreichen.
Wichtig ist aber die Anerkennung, dass CCS vor allem für energieintensive Industriezweige mit hohen prozessbedingten CO2-Emissionen (z.B. Stahl, Kalk, Zement, Chemische Industrie, Raffinerien) als Option erprobt werden soll.

Der Gebäudebestand macht 40 Prozent des Energieverbrauchs in Deutschland aus. Die Bundesregierung möchte den Gebäudesektor bis 2050 nahezu klimaneutral machen. Wird Sie das schaffen?

Zunächst einmal ist es erfreulich, dass die Bundesregierung den Effizienzbereich entdeckt hat. Die Bundesregierung legt mit der Verdopplung der Sanierungsrate auf jährlich 2 Prozent, einer Senkung des Wärmebedarfs um 20 Prozent bis 2020 und um 80 Prozent bis 2050, einer deutlichen Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien im Wärmebereich und einem nahezu klimaneutralen Gebäudebestand bis 2050 ehrgeizige Ziele vor. Allerdings ist unklar, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Nach unserer Analyse des Energiekonzeptes hat die Regierung im Gebäudebereich alle konkreten Zahlen etwa zur Aufstockung von Marktanreizprogrammen für den Einsatz Erneuerbarer Energien wieder gestrichen. Die Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms hat sie unter einen allgemeinen Finanzierungsvorbehalt gestellt. Zugleich wurde die Strafzahlung bei Nichterreichen der Ziele gestrichen. Auch die bisher mit 200 Millionen Euro pro Jahr angekündigte Aufstockung der Nationalen Klimaschutzinitiative bleibt jetzt offen. Ohne das notwendige Geld, wird es nicht den notwendigen Klimaschutz geben!
Anscheinend hat sich die Regierung dem massiven Lobbydruck gebeugt. Der Entwurf zum Energiekonzept war insbesondere im Gebäudebereich weitaus ambitionierter.

Was ist im Verkehrsektor geplant? Ist das aus Ihrer Sicht ausreichend?

Leider ist die Ankündigung, sich auf europäischer Ebene für "ambitionierte CO2-Grenzwerte für Neufahrzeuge einzusetzen“ im endgültigen Energiekonzept ebenso gestrichen wie das Ziel, die durchschnittlichen CO2-Emissionen von neu zugelassenen Autos von heute rund 160 Gramm pro Kilometer auf 35 Gramm im Jahr 2040 zu senken. Auch hier ein massiver Rückschritt zum Entwurf von vor 3 Wochen.
Im Bereich Personenverkehr setzt das Energiekonzept sehr strukturkonservativ an. Es geht davon aus, dass der Marktanteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV) bis 2050 bei 80 Prozent stabil verharren wird. Dabei werden etwa demographische Aspekte und sich abzeichnende Knappheiten (Rohöl, Agrosprit) ausgeblendet, die in eine andere Richtung deuten.
Damit geraten etwa die Potentiale des Schienenpersonennahverkehrs aus dem Blick. So wird etwa in keiner Weise angekündigt, den im Koalitionsvertrag erwähnten 'Deutschland-Takt' umzusetzen, der zum Ziel hat, die Nachfrage im Schienenpersonennahverkehr mit seiner Umsetzung in den nächsten Jahren zu verdoppeln (!).
Im Güterverkehr, der knapp 10 Prozent der deutschen Emissionen ausmacht, ist keine vorwärtsweisende Konzeption sichtbar. Dies scheint umso gravierender, als im Transitland Deutschland ein immenses Wachstum des Güterverkehrs zu erwarten ist und die Kapazitäten teilweise schon heute an der Auslastungsgrenze liegen. Auch eine angemessene Reaktion auf das Risiko erheblicher Preissprünge beim Rohöl zeichnet sich nicht ab.

Wie sieht Ihr Gesamtfazit aus?

Das neue Energiekonzept hat gegenüber dem Entwurf, den Umwelt- und Wirtschaftsministerium vorgelegt hatten, deutlich an Substanz verloren. Die Regierung steht auf der Bremse und kündigt zugleich an, Gas zu geben. Kohle und Atom konterkarieren die positiven Aspekte des Energiekonzeptes, wie den Ausbau der Erneuerbaren Energien, massive Steigerungen bei der Energie Effizienz und beim Netzausbau.
Insgesamt sind viele der Ankündigungen zu vage, um jetzt schon abschätzen zu können, ob die Maßnahmen geeignet sind, die selbst gesetzten Ziele zu erreichen. Keine Frage: Ein Zeitfenster liegt vor uns, in dem wichtige Weichenstellungen für die kommenden Jahrzehnte bis zu der wichtigen politischen Markierung 2050 vorgenommen werden.


Das Interview führte Dorothee Landgrebe, Referentin für Ökologie und Nachhaltigkeit der Heinrich-Böll-Stiftung

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