Eröffnung der 11. Außenpolitischen Jahrestagung der Heinrich-Böll-Stiftung
Dies ist bereits die 11. Auflage der außenpolitischen Jahrestagung unserer Stiftung, man sieht daran, dass auch die Heinrich-Böll-Stiftung langsam in die Jahre kommt.
Als wir im Jahr 1999 mit dieser Reihe begonnen haben, stellten die Grünen zwar seit kurzem den Außenminister der Bundesrepublik, aber von einer fundierten außen- und sicherheitspolitischen Programmatik konnte nicht wirklich die Rede sein. Wir wurden sozusagen ins kalte Wasser geworfen: kaum in der Regierung, rollte der Kosovo-Krieg auf uns zu, und bald darauf folgten 9/11 und die Afghanistan-Intervention. Die Grünen waren gezwungen, einen Crashkurs in internationaler Realpolitik zu absolvieren, unter Anleitung ihres politischen Großmeisters im Außenministerium.
Das galt erst recht für die Heinrich-Böll-Stiftung: Außenpolitik war für uns Neuland. Es gab das Engagement für Menschenrechte, für die europäische Einigung, für Abrüstung und für starke Vereinte Nationen, aber wie diese Ziele in konkrete Politik umzusetzen waren, darüber bestanden eher vage Vorstellungen. Das ist heute anders.
Unsere außenpolitischen Jahrestagungen reflektieren die weltpolitischen Ereignisse und Debatten des letzten Jahrzehnts: Afghanistan, Irak und der nahe Osten, die neue Rolle der NATO und die Zukunft der transatlantischen Beziehungen, die Schritte in Richtung einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik, die Debatte um Werte und Interessen als Triebkräfte der Außenpolitik.
Zugleich spiegeln sie das internationale Kontaktnetz der Stiftung, das über die Jahre gewachsen ist. Darauf sind wir ein bisschen stolz, und wir sind dankbar für die intellektuellen Anregungen, die politische Expertise und die persönlichen Verbindungen zu ausländischen Partnern und Freunden, ohne die unsere Arbeit sehr viel ärmer wäre.
Wer sich mit internationaler Politik befasst, braucht den internationalen Austausch wie der Fisch das Wasser. Deshalb freue ich mich besonders über die zahlreichen ausländischen Gäste auf dieser Konferenz. Wenn ich richtig gezählt habe, hören wir heute und morgen Referenten aus einem Dutzend verschiedener Länder, das ist selbst für Berlin nicht alltäglich.
Gestatten Sie mir noch ein paar Worte zum Thema dieser Tagung: Europas Osten – Impulse für die Politik der EU gegenüber ihren östlichen Nachbarn.
Wir haben eine Zeitlang überlegt, ob wir die Tagung unter den Titel „Neue Ostpolitik“ stellen sollten. Wie Sie wissen, hat der Begriff „Ostpolitik“ in der Bundesrepublik große Tradition. Er steht für die unter Willy Brandt entwickelte Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion und den von ihr beherrschten Staaten.
Aber heute ist dieser Begriff nur noch bedingt brauchbar. Er suggeriert einen „Osten“, den es als politische Größe nicht mehr gibt. Seit dem Fall der Mauer wurden zehn Staaten jenseits von Oder und Neiße Mitglied der Europäischen Union. In anderen haben sich autoritäre Machtverhältnisse verfestigt. Auf dem westlichen Balkan und im Kaukasus gibt es noch immer erhebliches nationalistisches Konfliktpotential, die Ukraine ist mit sich selbst uneins. Ob Russland den Weg einer europäischen Demokratie geht, ist nicht entschieden.
Für die EU bedeuten die Konfliktlinien in ihrer Nachbarschaft potentielle Stabilitätsrisiken bis hin zu neuen kriegerischen Konflikten. Es liegt deshalb im ureigenen Interesse der europäischen Gemeinschaft, die Transformation zu Demokratie und Marktwirtschaft in ihrer östlichen Nachbarschaft zu befördern und die europäische Integration auf allen Ebenen voranzutreiben.
Wo sollen künftig die Grenzen der EU in Südost- und Osteuropa verlaufen? Vermutlich ist das ein Streitpunkt auf dieser Konferenz; auf jeden Fall ist es ein Streitpunkt in der europäischen Politik. Unsere Position ist hier sehr klar: Die Vision einer gesamteuropäischen Union darf nicht aufgegeben werden, auch wenn sie noch in weiter Ferne liegen mag. Wir dürfen weder der Türkei noch der Ukraine die Tür zur europäischen Gemeinschaft zuschlagen, das gilt auch für Georgien oder Armenien.
Mir ist wohl bewusst, dass sich damit auch der Charakter der europäischen Union selbst verändern wird und verändern muss. Aber schon die heutige Gemeinschaft der 27 erfordert eine stärkere innere Ausdifferenzierung, eine EU mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Integrationsstufen. Die Zeiten einer politisch, kulturell und ökonomisch relativ homogenen Gemeinschaft sind bereits vorbei; die EU der Zukunft wird in einem flexibleren Verbund von Staaten bestehen, die durch gemeinsame Werte und Institutionen zusammengehalten werden.
Russland-Politik und Östliche Partnerschaft
Eine zweite entscheidende Aufgabe besteht darin, Kohärenz herzustellen zwischen einer aktiven europäischen Russland-Politik und einer ebenso engagierten Politik gegenüber den anderen östlichen Nachbarn, statt das eine gegen das andere auszuspielen. Dabei hat die EU ein vitales Interesse an einer Kooperation mit allen Staaten des Ostens, nicht nur mit dem Rohstoffgiganten Russland. Wir brauchen eine abgestimmte Energiepolitik ebenso wie die Zusammenarbeit in Fragen der Arbeitsmigration, sicherheitspolitischen Themen, bei der Eindämmung des organisierten Verbrechens oder dem Abbau von Barrieren für Handel und Investitionen.
Die Ostpolitik der EU muss einer erneuten Teilung Europas in eine autoritär verfasste russische Einflusszone und eine Gemeinschaft demokratischer Staaten entgegenwirken. Dabei geht es nicht um die „Zurückdrängung“ Russlands aus Osteuropa, sondern um seine Einbindung in eine immer engere europäische Zusammenarbeit. Zugleich darf die EU keinen Zweifel daran lassen, dass sie ihre Beziehungen zu den anderen osteuropäischen Staaten auch dann ausbauen will, wenn dies im Kreml keinen Beifall findet. Russlands ökonomische und sicherheitspolitische Interessen ernst zu nehmen heißt nicht, seine Kontrolle über das „nahe Ausland“ zu akzeptieren. Ein Rückfall in ein Europa, das in eine russische und eine westliche Einflusslose aufgeteilt ist, darf es nicht geben.
Ein Schlüsselland für die europäische Nachbarschaftspolitik ist die Ukraine. Sie ist neben Russland der größte Staat der Region; ein relevanter Teil der Gesellschaft wünscht die Integration in die EU. Zugleich arbeitet Russland de facto gegen eine Westintegration der Ukraine. Dabei wäre die ökonomische und politische Integration der Ukraine in die europäische Gemeinschaft nicht gegen die legitimen Interessen Russlands gerichtet, sondern könnte im Gegenteil seine Verbindungen mit der EU stärken. Zu erkennen, dass Russland von einer verstärkten Westintegration der Ukraine oder Weißrusslands ökonomisch und politisch gewinnen kann, wäre tatsächlich neues Denken. Danach sieht es allerdings gegenwärtig nicht aus.
Für ein erweitertes europäisches Sicherheitssystem
EU und NATO sollten die russischen Forderungen nach einem „neuen europäischen Sicherheitssystem“ als Anstoß für eine Weiterentwicklung der bestehenden Sicherheitsarchitektur aufgreifen. Sollte die russische Führung allerdings den alten Traum hegen, Europa von den USA zu trennen, sollte man ihr diesen Zahn rasch ziehen. Aus unserer Perspektive kann es nur um die Einbeziehung Russlands in ein euroatlantisches Sicherheitssystem gehen, das auf Gewaltverzicht, gegenseitige Sicherheit, Demokratie und freiwillige Zusammenarbeit gegründet ist. In einem solchen System müssen die anderen östlichen Nachbarn ihre Interessen genauso gewahrt sehen wie Russland.
Ob ein Beitritt Russlands zur NATO mehr als eine Kopfgeburt ist, muss sich noch zeigen. So oder so muss die wechselseitige Vertrauensbildung befördert werden, Dazu zählt die Aufwertung des NATO-Russland-Rats zu einem politischen Konsultativmechanismus, die Entwicklung eines aufeinander abgestimmten Raketenabwehrsystems und der Abzug aller substrategischen Atomwaffen aus Europa, flankiert durch ein entsprechendes Abkommen, das ihren künftigen Einsatz auf europäischem Boden ausschließt.
Europäischen Grundwerten treu bleiben
Die Osteuropa-Politik der EU muss sich glaubwürdig an den Werten von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ausrichten und damit von einer bloß machtpolitischen oder an wirtschaftlichen Interessen orientierten Bündnispolitik absetzen. Ansonsten verspielt sie die wichtigste Ressource, über die die EU in Osteuropa noch immer verfügt: ihre Attraktivität als politische Gemeinschaft, die friedliches Zusammenleben, persönliche Freiheit und sozialen Fortschritt ermöglicht. Ähnlich wie für den Westbalkan sollte die EU auch für die osteuropäischen Länder einen Fahrplan für die Liberalisierung des Visaregimes erstellen. Die restriktive Erteilung von Schengen-Visa teilt Europa von Neuem und behindert den lebendigen Austausch zwischen den Bürgern.
Ein europäischer "Green New Deal"
Die Länder Osteuropas leiden fast durchweg unter hoher Arbeitslosigkeit und massiver Umweltzerstörung. Der Weg einer "nachholenden Entwicklung" verfestigt nur Strukturen, die bereits überholt sind. Die EU sollte sich deshalb auf Reformen konzentrieren, die als Katalysator für eine ökologische und soziale Modernisierung wirken. Dazu zählen eine sprunghafte Steigerung der Energieeffizienz, die Nutzung erneuerbarer Energien und nachwachsender Rohstoffe, die Modernisierung der Landwirtschaft auf ökologischer Basis sowie die Erneue-rung der öffentlichen Verkehrsnetze. Energiesektor und Landwirtschaft sind Schlüsselfragen auch für die Entwicklung einer demokratischen politischen Kultur in diesen Ländern. Dafür sollte die EU Know-how und Investitionskapital bereitstellen.
Zum guten Schluss möchte ich die Gelegenheit nutzen, allen zu danken, die zu dieser Konferenz beigetragen haben:
dem European Council of Foreign Relations und der Direktorin seines Berliner Büros, Ulrike Guerot; unseren Medienpartnern: dem Rheinischen Merkur, der Zeitschrift Internationale Politik und Radio Free Europe / Radio Liberty, das live aus Berlin berichten wird; Melanie Sorge als externer Konferenzmanagerin und last not least natürlich meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Stiftung, die sich um das Programm und die Organisation der Tagung verdient gemacht haben.
Ich wünsche uns allen eine lebhafte, anregende Tagung.